Süddeutsche Zeitung

Herrsching:Zeit der Frauen

Der diesjährige Kapellentag am Ammersee wird von Musikerinnen und Komponistinnen beherrscht. Zu erleben ist ein breit gefächertes Programm mit besonderen Reizen

Von Reinhard Palmer, Herrschin

Das war diesmal nicht im Sinne der Erfinder: Vom Kapellen-Hopping mit dem Rad schreckten Regen und Kälte ab. Zudem sind Haus- und Hofkapellen des ursprünglichen Konzepts in Corona-Zeiten zu klein, um die nötigen Abstände wahren zu können. So startete das diesjährige Vorspiel zur Ammerseerenade mit kurzen Konzerten in Kirchen am Ammersee in Dießen, im Herrschinger Ortsteil Breitbrunn, im Windacher Ortsteil Hechenwang, in Schondorf, sowie abgelegen in St. Ottilien. Die Idee, E- und U-Musik zu mischen, ist geblieben: Auf dem Programm standen Klassik, Pop, Jazz, Volks- und Weltmusik, Alte Musik auf historischen Instrumenten, Neue Musik - gespielt, gesungen und rezitiert. In Breitbrunn gab es sogar eine Uraufführung mit dem Trio Masilka, nachdem die Komponistin Dorothee Eberhardt-Lutz den drei Musikerinnen ein Stück auf den Leib geschrieben hatte.

. Was die Entstehungszeit der Werke betrifft, schafften es wohl die beiden letzten Ensembles an diesem Tag in der Pfarrkirche Hl. Geist in Breitbrunn - neuerdings Kulturkirche genannt und von Oktober an mit einer eigenen Reihe bespielt - , den weitesten Bogen zu spannen. Das Septett Estampie schickte seine drei Multiinstrumentalisten mit einem optisch wie klanglich reizvollen Instrumentarium an den Ammersee: Sigi Hausen (Gesang, Flöten, Portativ), Michael Popp (Santur, Saz, Dilruba, Gesang) und Ernst Schwindl (Drehleier, Gesang). Das Ensemble verschreibt sich seit seiner Gründung 1985 der Alten Musik, die weit ins Mittelalter reicht.

In diesem Fall wäre eine zauberhafte Kapelle der richtige Konzertsaal gewesen, sind doch diese kleinen Perlen immer auch an geradezu magischen Orten gebaut worden. In der modernen Breitbrunner Hl. Geist-Kirche profitierte das Ensemble indes von der hallenden Akustik des Pyramidenbaus, die dem eher leisen Instrumentarium und den lyrischen Gesangspartien mehr Tragweite verlieh. Ein altes, klösterliches Gemäuer hätte es nicht besser hingekriegt. Das Trio führte überzeugend vor, wie reichhaltig und vielfältig mittelalterliche Musik war. Vor allem, was die komplexen, nicht selten gebrochenen Rhythmen betrifft, die auch tänzerische Verve ins Spiel brachten. Die arabischen und jüdischen Einflüsse auf die mediterrane Musikkultur verzauberten zudem mit einer reizvollen Farbigkeit des Klangs und fremdartigen Elementen, die der Lyrik oder auch der Heiterkeit der Lieder immer eine besondere Würze verliehen.

Das rein weibliche Trio Masilka verlängerte dann den Bogen bis in die Gegenwart. Und das auf ungewöhnliche Weise: Die Stücke waren nicht chronologisch angeordnet, sondern zogen nach dramaturgischen Aspekten einen roten Faden durch seltene Musikliteratur - auch Improvisation war dabei - ohne Unterbrechungen. Eine unübliche Konzertpraxis, doch nicht ohne Reiz. Die drei Musikerinnen Maura Knierim (Harfe), Katharina Krau (Violine, Gesang) und Silvia Berchtold (Blockflöten) aus der Landsberger Gegend sind auch sonst kreativ und ließen sich von Corona nicht in die Schranken weisen. GiG heißt die Initiative des Ensembles, die eine Plattform für junge, lokale Künstler bietet und Konzerte in privaten Gärten vermittelt.

Im Komponistinnen gewidmeten Programm des klangfarbigen Ensembles dürfte den meisten Zuhörern Clara Schumann - hier mit dem bewegt fließenden Lied "Ich stand in dunklen Träumen" - ein Begriff gewesen sein. Aber wer kennt schon Herrad von Landsberg aus dem 12. Jahrhundert? Erst recht ihren zart-poetischen Hymnus "Verli flores"? Erstaunlich, dass die zwei Sätze aus einer Sonate der Prinzessin Anna Amalie von Preußen aus dem 18 Jahrhundert den Faden nahtlos fortzuspinnen vermochten. Konzertante Passagen steigerten die Intensität für einen Kontrast zu Clara Schumann, die wiederum von Eberhardt-Lutz mit virtuosen Einlagen pfiffiger Spieltechniken durchaus experimentierfreudig abgelöst wurde.

In der Zeit zwischen Romantik und Moderne waren offenbar viele Komponistinnen aktiv. Zu hören hier anspruchsvolle und emotional ansprechende Werke von Rosy Wertheim, Ilse Weber, Augusta Holmès und Yael Deckelbaum, von denen man mehr hören sollte. In der zweiten Zugabe kamen auch Freunde irischer Klanglyrik noch auf ihre Kosten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5396964
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.09.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.