Aufarbeitung der NS-GeschichteProblemfall Ploetzstraße

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Die Ploetzstraße in Herrsching  darf bleiben, denn sie bezieht sich laut Gemeinderat nicht mehr auf den Rassenhygieniker Alfred Ploetz, sondern auf dessen unbescholtene Nachfahren.
Die Ploetzstraße in Herrsching  darf bleiben, denn sie bezieht sich laut Gemeinderat nicht mehr auf den Rassenhygieniker Alfred Ploetz, sondern auf dessen unbescholtene Nachfahren. (Foto: Foto: Nila Thiel)

Die Madeleine-Ruoff-Straße und die Erich-Holthaus-Straße in Herrsching sollen umgetauft werden, weil sie nach Personen benannt sind, denen Verfehlungen in der NS-Zeit zur Last gelegt werden. Bei der Ploetzstraße dagegen tut sich der Gemeinderat mit solch einer eindeutigen Haltung schwer.

Von Patrizia Steipe, Herrsching

Über drei Straßen, die nach Personen mit NS-Bezug benannt wurden, diskutierte der Herrschinger Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung. Wieder einmal, denn mit dem Thema hat sich das Ratsgremium bereits wiederholt beschäftigt. Zwei Straßen sollen umbenannt werden: die Madeleine-Ruoff-Straße, benannt nach einer Frau, die zu Spottpreisen Immobilien von Juden erwarb, und die Erich-Holthaus-Straße, benannt nach einem Denunzianten. Eine andere Straße behält dagegen ihren Namen: die Ploetzstraße. Sie bezieht sich nämlich nicht mehr auf den Rassenhygieniker Alfred Ploetz, sondern auf seine unbescholtenen Nachfahren, so Bürgermeister Christian Schiller.

Gibt man auf der Gemeindehomepage „Ploetzstraße“ ein, öffnet sich das Fenster zu „Alfred Ploetz 1860-1940“. Der Arzt, der 1914 nach Herrsching zog, gilt als Wegbereiter der Euthanasie. In seinen Werken forderte er die „Ausmerzung Minderwertiger“ etwa durch Eheverbote, Sterilisierung und „dauernde Asylierung der Geistesschwachen, Epileptiker und Ähnliches“. Trotzdem benannte Herrsching 1957 eine Straße nach ihm. Laut damaligem Sitzungsprotokoll, das Archivarin Friedrike Hellerer vorlegte, begründeten die Ratsmitglieder dies mit „den Verdiensten des Herrn Alfred Ploetz um viele Gemeindebürger“. Ploetz habe „in den schlechten Wirtschaftsjahren nach dem Ersten Weltkrieg durch seine Forschung vielen Herrschingern Verdienstmöglichkeiten geboten und für arme Leute immer ein Verständnis und Unterstützung gezeigt“.

Die Aufarbeitung der NS-Geschichte stand damals nicht auf der Tagesordnung, viele Akten lagen noch unter Verschluss, erklärte Hellerer. „Es darf angenommen werden, dass entscheidende Fakten nicht bekannt waren.“ Madeleine Ruoff galt damals als Wohltäterin, weil sie Herrsching das Gebäude für den Gemeindekindergarten schenkte, und Erich Holthaus sorgte als VdK-Vorsitzender für günstigen Wohnraum im Ort. Erst im Laufe der Jahrzehnte wandelte sich das Geschichtsbewusstsein.

2002 änderten die Gemeinderäte zumindest den Straßennamen von Alfred-Ploetz-Straße in Ploetzstraße. In einer nicht öffentlichen Sitzung entschieden die Mitglieder damals, dass nun nicht mehr der Rassenhygieniker aus der NS-Zeit, sondern seine Nachfahren auf dem neuen Straßenschild gemeint sind. Immerhin stellte Familie Ploetz günstigen Baugrund für das Herrschinger Einheimischenmodell und den Trinkwasserbrunnen Ried bereit. Für die Mehrheit im Gemeinderat stand in der jüngsten Sitzung deshalb fest, dass die Straße keinen NS-Bezug mehr hat und die Schilder bleiben können.

Alfred Ploetz war Arzt und Rassenforscher. Im Jahre 1914 zog er nach Herrsching.
Alfred Ploetz war Arzt und Rassenforscher. Im Jahre 1914 zog er nach Herrsching. (Foto: Foto: oh)

Faktisch ändere sich aber nicht, dass ursprünglich Alfred Ploetz auf dem Schild stand, mahnte Anke Rasmussen (Grüne). Sie forderte, die Hinweise zum Arzt nicht von der Homepage zu nehmen, sondern um Erklärungen zu ergänzen, was die Umbenennung 2002 für den Namen bedeutet.

Vor einem Jahr hatte der Gemeinderat die Archivarin Hellerer außerdem beauftragt, alle 38 nach Personen benannten Straßen in Herrsching auf möglichen NS-Bezug zu untersuchen. Bei ihren Recherchen fand Hellerer kein neues belastendes Material. Einzig beim Adolf-Ockert-Weg bleibt ein Fragezeichen. Der Weg trägt seit 1980 den Namen des ehemaligen Bürgermeisters (1949 bis 1954) und Trägers der Goldenen Bürgermedaille. In einer Biografie entdeckte Hellerer ein Foto von ihm als Wehrmachtsoffizier und den Hinweis, dass er Mussolini empfangen habe. „Eine Personalakte konnte weder im Archiv der Gemeinde noch im Staatsarchiv München gefunden werden“ - und der einzige Verwandte, den Hellerer fand, wollte sich nicht äußern. „Mangels Unterlagen ist keine Aussage zu einem NS-Bezug möglich“, folgerte die Historikerin.

Bei Madeleine Ruoff und Erich Holthaus sieht der Gemeinderat die Sache anders. Für diese beiden Straßen sollen in Absprache mit den Bürgern neue Namen gefunden werden. „Bitte vorher mit mir abklären“, bat Hellerer. Und Schiller ergänzte: „Bloß keinen Personennamen.“

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