Süddeutsche Zeitung

Nachhaltiges Leben:Raus aus dem Alltag, rauf auf den Acker

Lesezeit: 3 min

Seit 20 Jahren kann man im Fünfseenland auf sogenannten Sonnenäckern selbst Obst und Gemüse anbauen. Carolin Vogel war recht früh mit dabei. Über Naturverbundenheit, Pommes aus der Tüte und die Frage, warum Gärtnern auch gut für den Kopf ist.

Von Christina Denk, Herrsching

Carolin Vogel bückt sich zu ihrem Gemüsebeet hinunter. "Das ist Knoblauch, hier gibt's noch eine Zwiebel." Sie deutet nacheinander auf die grünen Pflänzchen, die aus der Erde im Beet entlang der Einfahrt ragen. "Das ist der Rest aus dem vergangenen Jahr vom Acker", sagt die Herrschingerin. Als sie ihren Teil des Sonnenackers vergangenen Herbst wieder abgeben musste, hat sie die Pflänzchen mitgenommen - zum Überwintern bis zum nächsten Frühjahr.

Seit zwölf Jahren fährt Carolin Vogel von April bis Oktober jede Woche mit dem Rad zu ihrem Sonnenacker. Es wird gesät, gepflanzt und geerntet. Wenn sie im Sommer zu Hause mit ihrem Mann den Ertrag aus den Taschen holt, sei manchmal der ganze Tisch voll mit Gemüse. "Das finde ich wunderbar, totale Fülle", schwärmt die zweifache Mutter. Während andere malen oder ins Café gehen, kümmert sich Vogel um ihren Acker - es ist für sie nicht nur ein liebgewonnenes Hobby geworden, sondern noch mehr. Denn viele Menschen hätten das Bewusstsein für die Natur verloren, erklärt die 53-Jährige.

Die Pommes kommen aus der Tüte. Das jedenfalls dachten einige der Kinder, die Carolin Vogel vor Jahren im Kindergarten betreute. Auf dem ersten gemeinsamen Sonnenacker, den sie zusammen mit den Kitakindern bepflanzte, "haben wir deshalb nur Kartoffeln angebaut", erzählt sie. Die Kinder sollten lernen, woher das Gemüse stammt, sie sollten die Kartoffeln wachsen sehen und am Ende selbst ausbuddeln. Der Bezug zum Gemüse und Obst - für Carolin Vogel ist das der Weg, um Lebensmittel "wieder mehr zu schätzen und zu achten".

Damit angefangen, einen Sonnenacker zu bewirtschaften, hatten Vogel und ihr Mann schon einige Jahre vor dem Kartoffeljahr. Es war zu der Zeit, als ihre beiden eigenen Töchtern zehn und 15 Jahre alt waren. Auch die sollten sehen, woher die Lebensmittel kommen. Und weil im Garten vor dem Haus der Anbau nicht klappte, die Schnecken die Salatköpfe wegfraßen, wurden Gurken-, Salat- und Karottenpflänzchen vom heimischen Beet auf den Acker verlegt.

Das Gärtnern kannte Carolin Vogel bereits aus dem Gewächshaus ihrer Mutter. Die ersten Jahre auf dem Feld seien dennoch ein reines Ausprobieren gewesen. Wie pflanzt man Tomaten? Wie lagert man Karotten? Wie bleibt Rote Bete haltbar? "Wir haben am Anfang wirklich Experimente gemacht", so die 53-Jährige. Die Karotten und Rote Bete wurden wie in früheren Zeiten im Keller in Sand eingelegt. Mittlerweile könnte man Familie Vogel wohl als Pflanzexperten bezeichnen - mit viel Erfahrung. Nach zwölf Jahren sind sie immer noch als Hobbylandwirte unterwegs, auch wenn die Töchter inzwischen beide aus dem Haus sind.

"Ich glaube das tut uns Menschen total gut", sagt Vogel

Es ist eine Entschleunigung aus dem sonst so schnellen Alltag, in dem viele Menschen heutzutage leben. Platz für Leistungsgedanken - das gibt es auf dem Acker nicht, sagt Vogel. Im vergangenen Jahr hat sie auf dem Feld zum ersten Mal Artischockensamen ausgesät. Aus den Samen wurden Triebe, aber aus den Trieben keine Blüten. Artischocken konnte sie keine ernten. Auch das gehört für Vogel zum Pflanzalltag dazu. "Es kann sein, dass mal was eingeht, aber dann geht's halt ein", sagt die Herrschingerin, die in ihrem Garten auch Äpfel, Birnen und Kirschen züchtet . Das seien die natürlichen Prozesse. Pflanzen, ein bisschen hegen und beim Wachsen zuschauen - viel mehr könne man nicht tun, denn künstliche Düngemitteln sind auf dem Sonnenacker verboten.

Gerade das scheint Carolin Vogel, die mittlerweile als Atemtherapeutin arbeitet, zu genießen. "Ich glaube das tut uns Menschen total gut", sagt sie. Den Leistungsdruck rauszunehmen, Ansprüche an die Ernte fallen zu lassen. "Eher das sehen, was da ist, als das sehen, was nicht da ist", fasst sie zusammen. Bei der Beschäftigung mit den Pflanzen könne sie die Gedanken schweifen lassen. Ein zusätzlicher Ausgleich zum Beruf.

Naturverbundenheit in einer schnelllebigen Zeit? Die Sonnenäcker scheinen anzukommen. Aus den 22 Pächtern in Gilching, mit denen das Starnberger Land im Jahr 2003 gestartet ist, sind 20 Jahre später mittlerweile neun Standorte mit mehr als 400 aktiven Hobbygärtnern geworden. Das Konzept ist einfach: Von Ende April an werden die sogenannten Bifänge (vier mal 25 Meter lange Kartoffeldämme) vergeben. Anschließend dürfen die Pflanzbegeisterten bis Ende Oktober säen, hacken und ernten, bis die Flächen wieder an die Bauern übergeben werden. Die Leute würden immer kreativer, so Vogel. Im vergangenen Jahr hat sie bei ihren Ackernachbarn Linsen und Amaranth auf dem Feld entdeckt.

Familie Vogel selbst ist von einem Bifang, nachdem beide Kinder aus dem Haus waren, mittlerweile auf einen halben umgestiegen. Doch das Pflanzen verbindet die Familie weiterhin. "Vergangenes Jahr haben wir die Kartoffeln dann mit den Enkelkindern geerntet", erzählt die Atemtherapeutin. Beide ihrer Töchter gärtnern übrigens weiter gerne. Eine von ihnen hat mit ihrer Familie in diesem Jahr einen eigenen Sonnenacker.

Bis zum 31. März können Hobbygärtnerinnen und -gärtner sich noch für einen Sonnenacker anmelden . Am 28. März findet für alle Interessierte im großen Sitzungssaal im Landratsamt Starnberg eine Infoveranstaltung mit Tipps rund ums Pflanzen statt. Beginn: 19 Uhr.

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