Wiedererstarken des Reservistenverbands:„Ich bin stolz darauf, mich in Uniform zu zeigen“

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Übungen wie diese prägen das Bild, das die meisten von Reservisten haben dürften. In einer solchen Kameradschaft passiert aber mehr als das. (Foto: Reservistenkameradschaft Murnau)

Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist Krieg plötzlich wieder ein Thema in Europa. Das bringt auch den Reservistenkameradschaften neuen Zulauf. In Herrsching hat sich eine solche Gruppe ehemaliger Soldaten nun wiedergegründet – und das auch aus ganz lokaler Motivation heraus.

Von Max Fluder, Herrsching

Es gebe da ein Wort, sagt Michael Hertrich, das werde bei ihm wirklich, wirklich großgeschrieben. Ein Wort, ohne das er nicht auskäme und es augenscheinlich auch gar nicht will. Gemeint ist: die Kameradschaft. Der Herrschinger war vier Jahre lang Soldat beim Bataillon für elektronische Kampfführung in Donauwörth. Zusammen mit anderen Reservisten – also ehemaligen Soldaten – will Hertrich sich jetzt in der Ammerseegemeinde einbringen.

Die Reservisten wollen bei öffentlichen Festen, Veranstaltungen und offiziellen Akten aushelfen. Sie planen, Übungen zu veranstalten, mit denen Reservisten für den militärischen Ernstfall fit gehalten werden. Und sie wollen einen Ort schaffen, an dem sich „Gediente“ verstanden und aufgehoben fühlen. Kameradschaft halt.

Am Dienstagabend sind im Gemeindesaal des Herrschinger Rathauses knapp 20 Menschen zusammengekommen, um die dortige Reservistenkameradschaft wiederzugründen. Das Besondere dabei: In Herrsching wurde die Kameradschaft erst vor wenigen Jahren stillgelegt, auch weil in den 2010er-Jahren das Interesse merklich geschwunden war. Zeitgleich wurden die Mitglieder immer älter. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf. Unterstützt wird dieser von Christian Schiller, dem parteilosen Bürgermeister der Gemeinde.

Warum ausgerechnet jetzt? Fragt man einen Soldaten oder eine Soldatin, ob nun aktiv oder ehemalig, wird sofort klar, dass die Reserve wichtig ist. Im Ernstfall kann die Bundeswehr auf ihre Reservisten zurückgreifen, sie sind nach Eigendarstellung ein „unverzichtbarer Teil der Streitkräfte“ und „gewährleisten den Aufwuchs und die Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte in Krisenzeiten“. Wenn es ernst wird, sind sie es, die zur Wehrhaftigkeit des Landes beitragen. Etwa 115 000 Reservisten und 1900 Kameradschaften gibt es in Deutschland. Unter dem Dach der Kreisgruppe Oberland, zu der auch das Fünfseenland gehört, befinden sich 20 Kameradschaften.

Wahr ist allerdings auch Folgendes: Von außen betrachtet kann das Reservistenwesen seltsam anmuten, erst recht aus Sicht derjenigen, die mit der Bundeswehr nie wirklich Kontakt hatten. Da halten sich Menschen fit für einen Katastrophenfall, der hoffentlich nie eintritt. Die Katastrophe, das ist der Krieg und im Zweifel gar die Landesverteidigung. Sie üben das Leben im Felde, Gewässerüberquerungen oder den Umgang mit der Waffe. Und dann ist da die Sprache, oft in Abkürzungen, die technischer und härter ist als das Alltagsdeutsch. RK zum Beispiel, das meint eine Reservistenkameradschaft. Oder „Grün“, was hier in etwa militärische Übungen in Uniform meint.

Blickt man nach Herrsching, auf die geglückte Wiedergründung der Kameradschaft am Ammersee, muss man sich zwei Dinge vor Augen führen. Einerseits ist da die größere Rolle, die die Bundeswehr in den vergangenen Jahren in der Gesellschaft wieder eingenommen hat. Soldaten unterstützten während der Corona-Pandemie die Impfzentren und leisteten bei vergangenen Naturkatastrophen wie den Überflutungen im Ahrtal Soforthilfe. Spätestens seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und der Verabschiedung des im Grundgesetz verankerten Sondervermögens für die Bundeswehr stehen Soldaten, aber auch die Reservisten im Licht der Öffentlichkeit.

Das öffentliche Interesse an Reservistinnen und Reservisten ist gestiegen

Bei den Reservistenkameradschaften herrscht mehr Aktivität als noch vor wenigen Jahren. Gleichzeitig steigt die Zahl derjenigen, die sich zu Soldatinnen und Soldaten der Reserve ausbilden lassen wollen. Und es steigt die Zahl derjenigen, die sich für Reservisten interessiert. „Das öffentliche Interesse an Reservistinnen und Reservisten, aber auch an der Bundeswehr allgemein ist deutlich angestiegen“, sagt ein Sprecher des Deutschen Reservistenverbands.

Andererseits ist da die ganz konkrete Lage in Herrsching, wo eben ein bereits bestehender Verband eingeschlafen war, sich aber dieses Frühjahr zeigte, wie wertvoll eine Reservistenkameradschaft sein kann. Als im vergangenen Januar ein Wintersturm große Teile von Promenade und Uferlandschaft beschädigte, waren die Aufgaben groß und die Zahl der Helfer knapp. Christian Schiller, der Bürgermeister, bat den Reservistenverband im Bezirk Oberbayern um Hilfe. Und so halfen mit der „Aktion Kieselstein“ etwa 40 Reservisten der Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk und dem Bauhof bei den Aufräumarbeiten. Wenige Monate später wurden bei der „Aktion Stegbau“ die Stege wieder fit gemacht. Schiller sagt: „Die Reservisten haben uns so super geholfen, die Hochwasserschäden zu beseitigen.“ Und Reservist Hertrich sagt: „Wir haben Herrsching wieder zum Strahlen gebracht.“

Die Reservisten packen da an, wo es nötig ist, etwa an der Uferpromenade

Die „Aktion Kieselstein“ brachte einen Prozess ins Rollen, der nun in der Wiedergründung mündet. Angeregt von den Helferinnen und Helfern am Seeufer – und unterstützt von der Gemeinde, unter anderem in Person des Bürgermeisters, der sagt: „Ja, die Kameradschaft gibt es ja schon, dann lass uns das doch wiederbeleben.“ Denn sich auf Reservisten aus ganz Oberbayern verlassen zu können, ist zwar gut. Eine eigene Kameradschaft aber ist noch besser.

Die Vorzeichen für die Wiedergründung standen gut: Vor wenigen Wochen erst wählten sie bei der benachbarten Kameradschaft in Andechs den Vorstand neu und gaben der Gruppe damit neue Energie. Als Erster unter Gleichen gilt in der Region die recht erfolgreiche, weil sehr aktive Kameradschaft in Murnau.

Mitten in der Gesellschaft: Reservisten bei einer Übung am See - umgeben von Freizeitlern. (Foto: Reservistenkameradschaft Murnau)

Vor wenigen Wochen veröffentlichte der Deutsche Reservistenverband einen neuen Imagefilm, in dem das Leben als Reservist angepriesen wird. Zu sehen sind sehr viele militärische Übungen, sehr viel „Grün“. Allerdings seien solche Übungen nur ein Bruchteil dessen, was eine solche Kameradschaft ausmache, maximal ein Drittel. Das Beisammensein soll einen Großteil des Kameradschaftslebens in Herrsching prägen, sagt Michael Hertrich. Als Stammtisch etwa oder bei Grillabenden und anderen Veranstaltungen. Hinzu kämen sicherheitspolitische Veranstaltungen wie Vortrags- und Gesprächsabende. Man wolle, sagt Hertrich, auch Familienangehörige an Bord holen, etwa wenn es um Ausflüge in die Natur gehe.

Hertrich hat vor knapp drei Jahren zu den Reservisten gefunden, einige Jahre nach seiner aktiven Zeit bei der Bundeswehr. Fragt man ihn, warum es ihm wichtig sei, Reservist zu sein, sagt er: „Es hat etwas mit Stolz zu tun. Ich bin stolz darauf, dass ich im Einsatz war. Ich bin stolz darauf, mich in Uniform zu zeigen.“ Vor allem geht es aber auch ihn um den Kontakt zu anderen, um Zugehörigkeit halt. Er sagt: „Es geht darum, eine Gemeinschaft am Ammersee zu erzeugen, wo sich auch ein jeder unterstützt.“

„Ein wichtiges Bindeglied zwischen Bundeswehr und Gesellschaft“

Ganz konkret geht es ihm aber auch darum, in seiner Heimat etwas bewirken zu können. Immerhin haben die Reservisten in Herrsching mit der Gemeinde einen seltenen, aber fähigen Partner an der Hand. „Wenn Probleme aufkommen, sind wir da“, sagt Hertrich. Und Bürgermeister Schiller sagt: „Im besten Fall kommt eine verlässliche Gruppe bei herum, die für die Gemeinschaft da ist.“ Etwa als Wahlhelfer, er denke da aber auch ganz konkret an den bevorstehenden Volkstrauertag. „Die Reservisten“, sagt Schiller, „sind ein wichtiges Bindeglied zwischen Bundeswehr und Gesellschaft.“

Mit der Wiedergründung zeigt sich Hertrich zufrieden. Die Veranstaltung im Herrschinger Rathaus sei super aufgenommen worden, sagt er am Mittwochmorgen. Der neue Vorstand ist gewählt, das nächste Treffen steht auch schon fest. Im Gemeindesaal, sagt Hertrich, sei sogar der Vorstand der eingeschlafenen Kameradschaft gewesen. Dieser habe eine Träne verloren. So gerührt sei er gewesen.

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