Seit ein paar Tagen hat Familie Müller einen neuen Mitbewohner im Garten: Ein Frosch, der sich den Gartenteich als Zuhause ausgesucht hat. Friederike Hartung-Müller zeigt ihr Handy-Foto den beiden staatlich geprüften Gartenzertifiziererinnen Andrea Oberhofer und Ulrike Breitenberger. „Das ist ein kleiner Teichfrosch, wie schön“, sagt Breitenberger. Das Tier lässt sich an diesem Vormittag aber nicht blicken. Lediglich ein paar Wasserläufer bevölkern die Wasseroberfläche. Familie Müller möchte die begehrte Plakette „Bayern blüht – Naturgarten“ bekommen. Dafür muss ihr Garten am Herrschinger Fendlbach bestimmte Kriterien erfüllen.
Andrea Oberhofer wandert mit der Checkliste durch den Garten. „Keine Torferde“, „keine chemischen Dünger und Pflanzenschutzmittel“ und auch kein Rasenroboter, der Kleintiere zerstückelt. Dafür „Wildkräuter“, „variantenreiche Sträucher und Gehölze“, „hohe ökologische Vielfalt“, „Insektenhotel“, „einfach gefüllte Blumen und Stauden“, „Gemüse und Obst“ – fast überall kann sie einen Haken machen. Mindestens sieben Punkte müssen erreicht werden, maximal gibt es 28. „Hier gibt es nicht viel zu verbessern. Fast überall volle Punktzahl“, freut sich Breitenberger. Nur bei der Regenwassernutzung muss Familie Müller passen: In ihrem Neubau gibt es nur eine innenliegende Regenrinne.
Als die Familie vor drei Jahren in die Wohnanlage eingezogen ist, bestand der Garten nur aus zwei Bäumen, Rasen und einer Hecke. „So kann es nicht bleiben“, waren sich die beiden Gartenfreunde einig und begannen mithilfe eines Naturgarten-Gärtners, die Ödnis in ein grünes Biotop zu verwandeln. Statt Rasen wachsen jetzt Wildkräuter im Garten. Riesige Karden – eine Pflanzengattung aus der Familie der Geißblattgewächse – strecken ihre stacheligen Blätter aus, eine mannshohe Königskerze setzt erste Blüten an. Die blaue Wegwarte bildet einen farblichen Kontrast zu Leimkraut, Beifuß, Braunelle und Natternkopf. Zweimal im Jahr wird gesenst. Dann lässt Jörg Müller das Schnittgut ein paar Tage liegen, damit die Samen herausfallen. Anschließend kommt es in den großen Komposter. Im hinteren Gartenbereich liegt ein Steinhaufen. Hier könnten Eidechsen und andere Kleintiere einziehen. Gartenzertifiziererin Breitenberger rät dazu, neben den kleinen noch größere Steine zu legen.
Die ursprünglich verlegten Betonbodenplatten wurden durch sparsam gesetzte Gneisplatten aus Österreich ausgetauscht. Zwischen breiten Fugen wächst bereits Moos. „Wir haben so wenig es geht versiegelt“, erklärt Hartung-Müller. Deswegen ist die Terrasse schmaler geworden, im Garten liegen nur wenige Trittsteine. Beim letzten Starkregen hat die Familie bereits gemerkt, dass viel Wasser in ihrem Garten versickern und dadurch den Fendlbach ein klein wenig entlasten konnte. „In der Gegend ist alles zugepflastert“, bedauert Oberhofer. „Wenn jeder in seinem Garten wenigstens ein wenig entsiegelt, das bewirkt schon etwas.“
Die Idee für die Zertifizierung bekamen die Müllers durch den Herrschinger Gartenbauverein, in dem sie Mitglied sind. Das ist jedoch keine Voraussetzung, um sich für eine Zertifizierung zu bewerben. Der eigene Garten muss auch kein perfektes Paradies sein. Wichtig ist, dass bestimmte Kriterien erfüllt werden. Der Kreisverband für Gartenbau und Landespflege Starnberg hat mittlerweile etwa 15 Gartenzertifizierer, die landkreisweit die Bewerber-Gärten begutachten. 40 Euro kostet das für Mitglieder eines Gartenbauvereins, falls dieser die Gebühr nicht gleich übernimmt, andere zahlen 80 Euro.
Sooft es nur geht, halten sich die Müllers in ihrem Naturgarten auf. An einigen Stellen sind Sitzecken eingerichtet. Ingenieur und Unternehmensberater Müller setzt sich nach einem anstrengenden Arbeitstag am liebsten in seinen Liegestuhl mit Blick in den Wald. Hier bekomme er Kraft und Inspirationen. Hinter dem Haus verläuft der Fendlbach, dahinter beginnt der Wald, von dem ein kleiner Streifen zum Anwesen dazu gehört. Am Waldrand haben die Müllers einen Apfel-, Birnen- und Pflaumenbaum angepflanzt und eine Benjeshecke angelegt. Im Garten trägt die Felsenbirne ihre dunklen Beeren.
Ein Bestandsbaum musste leider gefällt werden, „er hat die Bauphase nicht überlebt“, bedauert Hartung-Müller. Den Stumpf haben sie aber stehen lassen zur Freude eines Buntspechts, der ihn im Frühling begeistert bearbeitet hat, wie die Gartenfreundin auf einem Video festgehalten hat. Meister Specht ist nicht der einzige tierische Besucher. Am Baum hängt ein Futterspender, den die beiden aus einer alten Flasche und einem Stock gebastelt haben. Hier findet sich regelmäßig eine bunte Vogelschar ein, aber auch ein Eichhörnchen schaut vorbei, klettert in ein Futterhäuschen und vor dem Insektenhotel summt und brummt es. Oberhofer hat eine Schnecke und ein paar Blattläuse entdeckt – ein Pluspunkt für Familie Müller. „Das beweist, dass kein Gift im Garten verwendet wird“, freut sich Oberhofer und alle sind sich einig, dass auch diese Tiere in einen Naturgarten gehören.
Eichhörnchen, Igel und Co. haben längst die Nahrungsangebote im Garten der Müllers entdeckt. Erst vor ein paar Tagen ist ein Reh über den Bach gesprungen und hat sich eine Rose einverleibt. „Das ist so schön zu beobachten, da bin ich dem Tier gar nicht böse“, versichert Hartung-Müller. Im Gegenteil: Ihre Naturaufnahmen postet sie auf ihrem Instagram-Account „NaturgartenLebensraum“ und bekommt dafür viel Lob. „Das ist ein wunderbares Beispiel und Vorbild, dass auch in Neubaugebieten mit kleinen Gärten ein Naturgarten verwirklicht werden kann“, lobt Breitenberger.
Die Müllers können jetzt ihre Naturgarten-Plakette an die Hauswand schrauben. Dann wird es sicherlich noch mehr Zaungespräche mit Passanten als bislang geben, vermuten die beiden.