Süddeutsche Zeitung

Herrsching:"Mein Herz blutet"

Nach langem Hin und Her fällt der Beschluss, das Gemeindehaus Widdersberg neu zu bauen. Doch wieder regt sich Kritik

Von Astrid Becker, Herrsching

Jahrelang wurde darum gerungen: Nun wird das Gemeindehaus in Widdersberg neu gebaut. Der Abriss des alten, aus den Fünfzigern stammenden Gebäudes ist in vollem Gang. Noch in diesem Jahr soll der Rohbau samt Dach vollendet sein, die endgültige Fertigstellung ist für 2022 geplant. Das Projekt ist mit rund 1,2 Millionen Euro veranschlagt. Doch nicht alle in dem kleinen Herrschinger Ortsteil sind glücklich mit diesen Plänen.

"Ich finde es traurig, dass dieses ortsbildprägende Gebäude nun abgerissen wird", sagt beispielsweise Wolfgang von Nostitz. In den Fünfzigerjahren ist das Gebäude als Rathaus nach Plänen von Sigismund Göschel erbaut worden, der selbst in der damals noch eigenständigen Gemeinde gelebt hat und auch das Schwabinger Krankenhaus erbaute. Auch Claudia Strasser ist entsetzt: Sie hatte als Fünfjährige den Schlüssel bei der Einweihung getragen und ein Gedicht aufgesagt. "Mein Herz blutet", sagt sie. Wieder einmal verschwinde "ein Stück Widdersberger Geschichte", das sich perfekt ins Ortsbild gefügt habe.

Das Haus abzureißen und durch einen Neubau samt Veranstaltungssaal zu ersetzen, in dem 60 bis 80 Menschen Platz finden können, ist erstmals bereits 2015 entschieden worden. Seither wurden immer wieder Beschlüsse gefasst und verworfen, auch, weil die Widdersberger zunächst recht uneins schienen, was mit dem ehemaligen Rathaus geschehen soll. 2013 hatten die Vereine in einer Ortsteilversammlung moniert, dass der Veranstaltungsraum in dem alten Gemäuer zu klein sei, worauf das Thema immer wieder hochkochte, bis der Gemeinderat sich vor sechs Jahren auf einen Neubau verständigte. Doch trotzdem ging jahrelang nichts voran: Erst ging der Gemeinde 2017 das Geld für diese Pläne aus, die ohnehin trotz des Beschlusses für den Neubau aus finanziellen Gründen keinen Eingang in den Haushalt gefunden hatten. Zudem hatten die Widdersberger selbst sämtliche Pläne als zu wuchtig kritisiert.

Vor vier Jahren legte der Rat das Neubau-Thema komplett ad acta und votierte für die Renovierung des Hauses. Das wollte wiederum den Widdersberger Vereinen nicht schmecken, die daraufhin einen Antrag auf einen Anbau stellten. Um dem ewigen Hin und Her und auch den unterschiedlichen Meinungen dazu in der Widdersberger Bürgerschaft Rechnung zu tragen, sollten nun alle abstimmen, was denn eigentlich mit dem Gemeindehaus geschehen soll: Sollte alles so bleiben, wie es ist? Käme eine Sanierung mit überdachter Terrasse in Frage? Oder wäre doch ein Neubau die bessere Lösung? Das Ergebnis fiel für die Gemeinde Herrsching recht überraschend aus: 111 votierten für Abriss und Neubau, 83 für Sanierung und 27 dafür, alles zu belassen, wie es ist. Ein Dreivierteljahr zuvor hatte sich eine deutliche Mehrheit bei einer Probeabstimmung bei der Ortsteilversammlung strikt gegen einen Abriss ausgesprochen.

Und jetzt, während die Abrissarbeiten laufen, regt sich erneut Widerstand bei manchen Widdersbergern, die den Verlust des alten Gemeindehauses mit dem Verlust des Gesichts in dem mit seinem Weiher tatsächlich recht idyllisch wirkenden Ort gleichsetzen. Bei der Gemeinde Herrsching dürfte dies auf wenig Gegenliebe stoßen: Aus den einst auf etwa 770 000 Euro geschätzten Neubaukosten sind mittlerweile rund 1,2 Millionen Euro geworden. Wolfgang von Nostitz sagt dazu: "Wir haben einst Pläne für eine Sanierung vorgelegt, das wäre wesentlich billiger gewesen." Eine halbe Million Euro, wie Claudia Strasser sagt.

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SZ vom 20.07.2021
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