Süddeutsche Zeitung

Herrsching:Literarische Auftragskillerin

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Die Herrschinger Autorin Sabine Thomas veranstaltet seit 13 Jahren Krimifestivals. Die Lesungen finden im Gefängnis, in der Pathologie oder auf dem Dampfer statt

Von Anna-Elena Knerich, Herrsching

"Wenn man sich über etwas ärgert, ist es unheimlich befreiend, über Rachegedanken und Mordgelüste zu schreiben", gesteht Sabine Thomas, Autorin und Veranstalterin erfolgreicher Krimifestivals. Oft seien es Situationen aus dem Alltag, die sie zu einer Geschichte inspirieren. Sie war bereits als Kind eine Leseratte, verschlang vor allem Krimis wie "Die drei ???" und träumte schon immer davon, Schriftstellerin zu werden.

Nachdem sie lange als freie Musikredakteurin und Moderatorin gearbeitet hatte, erfuhr Sabine Thomas in den 1990er Jahren zufällig von einem Kurzkrimi-Wettbewerb. Innerhalb einer Nacht schrieb sie ihr erstes Buch: "Die Telefonterroristin" wurde prompt preisgekrönt. Jurymitglied Horst Bosetzky holte sie ins "Syndikat", eine Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren. "Von da an habe ich Blut geleckt", erzählt sie, "und bin so in die Krimiszene reingerutscht." Die erlebte damals einen regelrechten Boom, sie habe eine Anfrage nach der anderen bekommen: "Ich war sozusagen eine literarische Auftragskillerin", sagt Thomas lachend. Seit 30 Jahren veranstaltet das "Syndikat" jährlich in einer anderen Stadt die Criminale, den größten Branchentreff Europas, bei dem die Autoren an mehreren Tagen aus ihren Krimis lesen. Als 2002 die Münchner die Criminale ausrichten sollten, stellten sie fest, wie schwierig so eine kurzfristige Festivalorganisation ohne Kapital ist. Thomas erinnert sich, dass sie in etlichen Büchereien anfragten, ob sie dort Lesungen veranstalten dürfen. "Doch keiner hatte Interesse."

Mehr im Scherz schlug sie vor, einen Saal zu mieten und dort den Guinness-Rekord für die längste Krimiautorenlesung aufzustellen. Zu ihrer Überraschung war Reinhard Wittmann, Leiter des Literaturhauses München, von dieser Idee sofort begeistert. So lasen dann etwa 100 Autoren eine Woche lang ohne Unterbrechung aus ihren Büchern vor und stellten tatsächlich einen Weltrekord auf. Dadurch kam die Criminale in allen Medien vor und zog das Lesepublikum, aber auch Nichtleser an. "Sogar um vier Uhr morgens lauschten Krimifans den Autoren", berichtet Sabine Thomas.

Von diesem Erfolg ermutigt, gründete die Autorin im Jahr 2003 gemeinsam mit dem Marketing-Spezialisten Andreas Hoh das Münchner Krimifestival - wieder ohne Startkapital. Heute gilt es als eines der größten internationalen Festivals für Kriminalliteratur: Absolute Weltstars lasen schon aus ihren Werken: 2013 hörten mehr als 3000 Menschen Stephen King zu, der damit den Circus Krone-Bau füllte. Und dieses Jahr stellte Donna Leon in der "BMW-Welt" ihren neuen Bestseller vor: "Sie verliebte sich dabei so sehr in eine alte Isetta, dass sie ihren Text mit Mikrofon aus dem Inneren des kleinen Autos vorlas", erzählt Thomas. Für die Veranstalterin war das ein kurzer Panikmoment - denn das Publikum wollte die berühmte Autorin schließlich auch sehen.

Der Erfolg der Festivals mag wohl auch an den ungewöhnlichen Orten liegen, an denen die Geschichten manchmal vorgelesen werden: im Landeskriminalamt, in einer Gefängnis-Großraumzelle oder in der Pathologie. Dazu lädt Thomas auch mal Ermittler und Rechtsmediziner ein, denn "wenn jemand vom Fach live aus dem Nähkästchen plaudert, ist das natürlich noch spannender. Außerdem haben Pathologen einen herrlich schwarzen Humor."

Zwar bleibt ihr durch die Festivalorganisation wenig Zeit zum Schreiben, aber die Ideen für eigene spannende Geschichten gehen der Autorin nicht aus: Die besten Einfälle kommen ihr bei kleinen Begebenheiten aus ihrem Umfeld, deshalb sind auch ihre Krimi-Anthologien über den Ammersee, Starnberger See und den Tegernsee so erfolgreich. Wichtig sei ein "gewisser Lokalkolorit", den sie etwa in den Büchern des Starnbergers Guido Buettgen schätze. Diesen Newcomer habe sie entdeckt, erzählt sie stolz. Denn seit 2008 organisiert Thomas mit Hoh auch ein Festival im Fünfseenland eigens für Kriminalliteratur aus Bayern. Sie bekämen täglich Bücher von Verlagen zugesandt und freuten sich auf neue Entdeckungen aus der Region. Für ihr "individuelles Engagement" erhielten sie 2013 einen 3. Preis beim Deutschen Lesepreis: Sie betreuten nur zu zweit und mit viel Herzblut jeden Autor persönlich, hieß es in der Laudatio.

Für den 17. Juli organisieren Sabine Thomas und Andreas Hoh wieder den "Krimi-Dampfer", auf dem der Henkersnachfahre Oliver Pötzsch aus seinem Buch "Ludwigs-Verschwörung" lesen wird. Bei der Sonderfahrt auf dem Starnberger See wird die MS Stranberg zur Todesstunde des Märchenkönigs an der Votivkapelle halten und der Münchner Kripo-Leiter den "Fall Ludwig" aus heutiger Sicht kommentieren. "Ein interessanter Aspekt - denn Mord verjährt bekanntlich nie," findet die Krimi-Expertin. Sie selbst liest eine Woche später auf dem Staffelsee aus diversen Kurzkrimis.

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Quelle:
SZ vom 08.07.2016
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