Kultur:Groovige Urgewalt aus dem Woid

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Selten gehörte Klänge im Herrschinger Kurparkschlösschen: Jazz aus dem Wald mit dem Jonas Brinckmann Quartett. (Foto: Georgine Treybal)

Das Jonas Brinckmann Quartett präsentiert im Herrrschinger Kurparkschlösschen eine eigene, kernige Jazz-Variante bairischen Brauchtums.

Von Reinhard Palmer, Herrsching

Sie haben es mal wieder gewagt: Sie verließen den Wald, um ihre Botschaft in die Welt zu tragen: „Mir san vom Woid dahoam, da Woid is schee.“ Mit dieser tiefgründigen Botschaft bekennen sich die vier Mannen zum Woidlertum der eigenwilligen Bajuwaren, die den heutigen Bayerischen Wald noch als mystische Wildnis bewohnten und Nordwald nannten, bevor er zum Böhmerwald mutierte, wie ihn viele Volkslieder besingen. Kein Wunder also, dass den Gstanzln, Jodlern und Zwiefachen dieser Gegend viel Kraft, ja groovige Urgewalt innewohnt.

Das erkannte man vielleicht nicht gleich beim ersten Hinhören, da zeigte sich der zwei- bis vierstimmige Gesang doch eher harmlos und betulich. Erst der Jazz kehrte seine inneren Qualitäten nach außen. Denn die Woidler des Jonas Brinckmanns Quartetts (JBS) stammen bis auf Brinckmann selbst nicht aus dem Bayerischen Wald, sondern sind längst allesamt in der Münchner Jazzszene etabliert. Ins Herrschinger Kurparkschlösschen brachten sie auf Einladung des Kulturvereins am Sonntag eine eigene, kernige Variante urbairischen Brauchtums.

Der einzige „echte“ Woidler, der Baritonsaxophonist und Klarinettist Jonas Brinckmann aus Bischofsmais, ist nicht nur Kopf der Band, sondern auch der Komponist und Arrangeur. Zudem Musikethnologe, der die Volksmusik seiner Heimatgegend nach brauchbarem Material durchforstet, um es mit Raffinesse und viel Können neu aufzulegen und in modernen Jazz zu überführen. Neben Brinckmann sind sich der Tenor- und Sopransaxophonist aus Tirol Raphael Huber, der Kontrabassist Jakob Jäger sowie der Schlagzeuger Valentin Renner wohl an der Münchner Musikhochschule begegnet, wo sich jedenfalls ihre Wege musikalischen Werdegangs kreuzten. Ihre Referenzen den Jazz betreffend sind allesamt glänzend.

Als singende Volksmusikanten machten sie sich aber ebenfalls nicht schlecht, auch wenn in ihrem A-cappella-Gesang die Intonation nicht immer hundertprozentig saß. Aber darum ging es hier auch nicht. Schließlich ist das Quartett primär eine instrumentale Jazzband, in deren Mittelpunkt nach Vorbild der Saxophonlegenden Gerry Mulligan und Stan Getz die beiden Bläser stehen. Was allerdings nicht bedeuten soll, dass die zweiköpfige Rhythmusgruppe der Band zu kurz kam: Deren Soli mit erdigem Drive konnten sich energetisch, aber auch im Erfindungsreichtum als Gegengewicht zum impulsiv-virtuosen Wuchern der Saxophone absolut behaupten.

Brinckmann gibt sich in seiner Jazz-Findung mit rein vordergründigen Elementen nicht zufrieden

Die Verbindung aus alpenländischer Volksmusik und Jazz ist längst kein Novum mehr. Dennoch ist die Variante des JBS schon etwas Besonderes. Und das liegt an der Art der Verarbeitung des traditionsorientierten Ausgangsmaterials: Hier zeigt sich das Quartett bestens aufeinander eingespielt, denn die rhythmische, thematische und harmonische Komplexität des Übergangs mit all seinen Brechungen und Spannungen verlangt eine mühelose Verständigung aus dem Bauch heraus. Sezierendes Ineinandergreifen und vor allem die rhythmische Transformation sind aus der Feder Brinckmanns schon eine besondere Herausforderung.

Jedenfalls gibt sich Brinckmann in seiner Jazz-Findung mit rein vordergründigen Elementen nicht zufrieden. Auf diese Weise ist es den Musikern stets möglich, auf das musikantische Ausgangsmaterial zurückzugreifen, selbst in den kernigsten Bebop-Soli. Das war nicht immer leicht zu erkennen. Die harmonische Anreicherung der Jazz-Variante ließ die Originalthemen recht schräg rüberkommen, zumal gerade die zwei Frontmänner an den Saxophonen gerne auch in Dissonanzen schwelgten und die betulichen Gesänge in aller Dur-Härte dahin schmetterten.

Noch macht alles einen etwas konstruierten Eindruck, doch an Originalität fehlt es dieser Musik keinesfalls. Besonders publikumswirksam zeigten sich die Stücke mit schwungvollen Themen des Ausgangsmaterials, die dann auch in der stets kernigen Jazz-Variante mitzureißen vermochten. Mit Titeln wie „I bi fidey“, „Baumhaus“ oder „In der Schwammer“ kokettiert Brinckmann musikalisch wie in seiner Moderation gerne mit einer vermeintlichen Einfältigkeit seiner Ideen, die sich aber in der Umsetzung stets als sehr intelligent und anspruchsvoll erwiesen – zur Begeisterung des Publikums, das dann noch eine Zugabe bekam.

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