Kultur im Landkreis Starnberg:Das revolutionärste Adventslied

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Das Adventskonzert Magnificat unter der Leitung von Birgit Henke erfreute sich großer Beliebtheit. Doch das Programm war für die Sopranistinnen mitunter zu anspruchsvoll. (Foto: Georgine Treybal)

Beim Adventskonzert „Magnificat“ in Herrsching dürfen sich die Sopranistinnen über frenetischen Schlussapplaus freuen. Doch das Programm war mitunter zu anspruchsvoll für sie.

Kritik von Reinhard Palmer, Herrsching

Die derzeitige Häufigkeit der Aufführungen von Magnificat-Vertonungen ist nicht zufällig. Denn „Magnificat anima mea Dominum“ (Meine Seele preist/erhebt den Herrn) aus den drei Cantica des Lukas-Evangeliums hängt im weitesten Sinne mit der Weihnachtsgeschichte zusammen. Auch wenn sich die Luther-Übersetzung im Einzelnen von der sogenannten Einheitsübersetzung unterscheidet: Beide Kirchen verankerten das Magnificat in der Weihnachtsliturgie, obwohl es „das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied“ (Dietrich Bonhoeffer) ist.

Das dürfte die Beliebtheit in der jüngsten Zeit erklären, insbesondere aus der Sicht der feministischen wie der Befreiungstheologie. Dass die Evangelische Kantorei mit Projektsängern und -sängerinnen der Ensembles Alamuntinga und Chorperation unter der Leitung von Birgit Henke das Adventskonzert „Magnificat“ am Samstag in der katholischen St.-Nikolaus-Kirche gab, passte daher gut ins Konzept, auch wenn die zahlreichen Besucher doch eher die bessere Temperierung lobpreisten.

Letzteres ist wohl nur in Herrsching der Fall. Die Idee hinter einem Konzertkonzept unterscheidet sich aber offensichtlich in den beiden christlichen Kirchen. Protestanten setzen auf die eigenen Potenziale zur Stärkung der Gemeinschaft, lassen ein Konzert daher lieber auf Spenden basieren und verzichten auf teure Gesangssolisten. Aber auch wenn die Sopranistinnen Johanna Dömel, Amelie Scheffels und Anja Jedlitschka sowie die Altistin Brigitte Heigenhuber schöne, geübte Stimmen haben und meist auch richtig intonierten, waren gerade die Arien im Magnificat von Carl Philipp Emanuel Bach, dem begabtesten der Bach-Söhne, doch einfach zu anspruchsvoll für sie.

Und da es der evangelischen Kantorei offenbar auch an Männersolisten fehlt, konnte dieses Werk nur in einer stark gekürzten Fassung realisiert werden, endete auch überraschend und recht schroff, weil wohl der Schlussteil fehlte. Diese Praxis ist zwar seit jeher legitim, war aber doch sehr bedauerlich, ist doch dieses Werk des Wegbereiters der Stilepoche der Klassik ein sehr in sich schlüssiges Werk. Und eine über das Entstehungsjahr 1749 weit vorausweisende Komposition, der ansonsten die Interpretation Henkes gänzlich Rechnung trug.

Dank des technisch gewandten und gestalterisch vielseitigen Chores, vor allem aber des mit professionellen Instrumentalisten besetzten Orchesters war auch sehr Anspruchsvolles zu hören. Gerade im eröffnenden „Magnificat“ und im abschließenden „Gloria Patri“ erklang damit die von Bach überaus wirkungsvoll angelegte und von Henke in fulminanter Breite exponierte Sinfonik in ihrer ganzen Klasse.

Zum Konzept des Konzerts gehörte ein eklektischer Gedanke, den Henke immer wieder mit eigenen Arrangements verfolgt und der in John Rutters Magnificat von 1990 später nachträglich zum Konzertausgang seine Legitimation bekommen sollte. Schon für die Einleitung „Ecce Intro“ stellte Henke vier Marienlieder zusammen, die dramaturgisch in einem Medley zu einer Einheit verschmolzen und vor allem durch zwei Lieder des Norwegers Ola Gjeilo (geb. 1978) eine elegisch-schönmalerische Prägung bekam, im „Ecce novum“ von großer sinfonischer Wirkung. Eine gewagtere Dramaturgie lag der Idee zugrunde, drei Strophen des musikalisch wohl feierlichsten Weihnachtsliedes „Es ist ein Ros entsprungen“ von drei verschiedenen Komponisten zusammenzustellen, mit der Spätrenaissance-Version von Michael Praetorius im Zentrum.

Ein Highlight in diesem Konzert war zweifelsohne die erste Strophe des Schweden Jan Sandström (geb. 1954), der die Melodie weit gedehnt aus einem übers ganze Stück erklingenden Clusters sich herauskristallisieren und wieder darin verschwinden ließ. Ein Meisterwerk, in dem auch die Choristen in der komplexen Chromatik über sich hinauswuchsen. Die dritte Strophe von John Rutter nahm schon die stimmungsvolle Atmosphäre der Inszenierung zwischen Chor und Orchester in dessen Magnificat vorweg. Da diese Lobpreisung Marias mit nur einer Gesangssolistin auskommt und sonst auf ein einfühlsames Orchester und einen flexiblen Chor setzt, konnte das wohl aufgrund seiner Unterhaltsamkeit beliebte Werk komplett und in anspruchsvoller Qualität realisiert werden.

Dömels Stimme fügte sich in dieses in sich stark eklektische Werk stimmig, zumal hier auch musikalische Charakteristika aus Musical, Rock und Jazz eine tragende Rolle spielten. Mit der Wiederaufnahme des spritzig-beschwingten Kopfsatzes am Schluss stellte Rutter zwar eine gewisse Einheit her, doch dazwischen passieren schon sehr heterogene Dinge.

Die Reichhaltigkeit an Konstellationen, enormen sinfonischen und vokalen Effekten und vor allem die bildgewaltige Erzählung im Kopfkino begeistern nicht nur die Ausführenden. Die Eingängigkeit und eine ungemein mitreißende, abwechslungsreiche wie berührende Dramaturgie haben es geschafft, das Publikum zum frenetischen Schlussapplaus hinzureißen.

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