Essen und Trinken:Gesundes Unkraut

Essen und Trinken: Wildkräuter lassen sich gut mit frischem Obst und Gemüse kombinieren.

Wildkräuter lassen sich gut mit frischem Obst und Gemüse kombinieren.

(Foto: Georgine Treybal/Starnberger SZ)

Um die grünen Kräuter zu ernten, braucht es keinen Ausflug in Wald und Wiese: Viele Vitalmacher wachsen auch im eigenen Garten. Man muss sie allerdings kennen. Ein Besuch bei Heilkräuterpädagogin Natalie Stahl in Herrsching.

Von Carolin Fries, Herrsching

Natalie Stahl sucht das Wiesen-Schaumkraut. "Es muss hier irgendwo sein, ich habe es doch schon gesehen". Mit pinkfarbenen Gartenclogs an den Füßen streift die 51-Jährige an den Beeten in ihrem Garten entlang, den Blick auf die nasse Erde und den überall sprießenden Frühling gerichtet. In der linken Hand hält sie ein Küchensieb, in der rechten eine Schere. Es ist Donnerstagvormittag, Erntezeit. Irgendwo hier unter den Obstbäumen oder zwischen den Stauden hat es sich versteckt, das nussig-scharfe Kreuzblütengewächs mit den unerkennbar zartblauen kleinen Blüten. "Ahhhh, hier ist es", sagt sie schließlich, geht in die Hocke und streicht mit der rechten Hand durch die Pflanze, als würde sie das zarte Grün zur Belohnung seines Erscheinens streicheln. Erst dann legt sie ein paar Stängel davon zwischen die Finger, durchtrennt mit der Schere die Stiele und legt die zarten Blätter ins Sieb zu den anderen Wildkräutern, die sie täglich aus ihrem Garten holt.

"Das sind meine Vitalmacher", sagt die gebürtige Kasachin und strahlt. Jedes Kraut nehme die Sonne und die Energie der Erde auf und gebe beides beim Verzehr an den Menschen weiter. Zu spirituell? Vielleicht. In jedem Fall aber nachhaltig, kostenlos und gesund. Und für jeden zu haben, ob mit eigenem Garten oder ohne. Denn Wildkräuter, wie nicht-kultivierte, essbare und krautige Pflanzen umgangssprachlich bezeichnet werden, wachsen überall: in Parks, am Weges- oder Feldrand, am Bolzplatz, rund ums Haus oder dem Grünstreifen an der Straße. "Sie sind einfach da", sagt Stahl. Ohne, dass jemand sie hegt und pflegt, gießt oder auszupft. Und sie haben Kräfte, davon ist die Heilkräuterpädagogin aus Herrsching überzeugt. Das Wiesen-Schaumkraut zum Beispiel wird in der Volksmedizin als Tee gegen Rheuma angewendet. Kann das schlecht sein?

Stahl hat ihre Ausbildung bei dem Anthropologen und Botaniker Wolf-Dieter Storl im Allgäu gemacht. An der Akademie des 80-Jährigen sei die Nachfrage nach Seminaren und Vorträgen zu Wildkräutern unverändert groß, sagt Mitarbeiter Nicolai Bekker. Angesichts der steigenden Energiekosten und des Krieges in der Ukraine habe die Selbstversorgung für viele Menschen wieder an Bedeutung gewonnen.

Essen und Trinken: Natalie Stahl ist seit fünf Jahren Vorsitzende des Gartenbauvereins in Herrsching.

Natalie Stahl ist seit fünf Jahren Vorsitzende des Gartenbauvereins in Herrsching.

(Foto: Georgine Treybal)

Ihr Ernte-Streifzug führt Natalie Stahl fast durch den kompletten Garten. In nahezu jeder Ecke und jedem Beet entdeckt sie brauchbares Grünzeug für Salat, Suppe, Smoothie oder Pesto. Die weiße Küchenschürze flattert um ihre Beine, wenn sie sich bückt, einzelne Blätter auseinanderschiebt, aneinander reibt, riecht und probiert. Natürlich Bärlauch, die scharf nach Knoblauch schmeckenden Blätter, sammelt sie ein - aber auch Löwenzahn, Gänseblümchen, Brennnesseln, Giersch, Sauerampfer, Schafgarbe, Knoblauchrauke und Scharbockskraut. Alles darf wachsen in ihrem 2000 Quadratmeter großen Nutzgarten. Nicht alles überall - aber wen stören schon die Brennnesseln unter dem Apfelbaum oder der Giersch in der Einfahrt, wenn er sich im Sommer unter den üppigen Anemonen wegduckt? Die stark Vitamin C-haltige Vogelmiere pflückt Stahl am Fuße des Hochbeets, in dem schon der Salat gesetzt ist. Und für Spitz- und Breitwegerich schaut sie auf der Wiese zwischen den Fußballtoren der Kinder. Drei von fünf wohnen noch zuhause. "Sie haben noch nie ein Antibiotikum gebraucht", sagt die Mutter stolz.

Essen und Trinken: "Drei mal drei" lautet die Erkennungsformel für Giersch: Die Pflanze hat an drei Stielen jeweils drei Blätter und einen dreikantigen Stängel.

"Drei mal drei" lautet die Erkennungsformel für Giersch: Die Pflanze hat an drei Stielen jeweils drei Blätter und einen dreikantigen Stängel.

(Foto: Georgine Treybal/Starnberger SZ)

Natalie Stahl kocht jeden Tag frisch - und immer mit Zutaten aus dem Garten. Warum vom Herd nochmal raus für ein paar frische Kräuterchen, wo es die doch auch ohne Dreck und schon geschnitten aus dem Supermarkt gibt? "Weil ich mir das wert bin", sagt sie. Der Zeitaufwand sei minimal, die Wirkung groß. Und der Geschmack erst: frisches Grün auf dem Teller verleihe jedem Gericht die Geschmacksnote Frühling oder Sommer. Den grünen Smoothie machen sich die Kinder längst selbst, auf ihre Brote streichen sie sich selbstgemachtes Pesto, Salate und Suppen garnieren sie mit Gänseblümchen- oder Löwenzahnblüten, erzählt Stahl. "Früher beim Spazierengehen habe ich sie nach den Namen der Kräuter gefragt und ihrer Wirkung", berichtet Natalie Stahl. Für jede richtige Antwort habe sie zehn Euro gezahlt. Es waren teure Ausflüge für sie.

Essen und Trinken: Die jungen Blätter des Löwenzahn schmecken kaum bitter, die Knospen kann man wie Knoblauchzehen einlegen.

Die jungen Blätter des Löwenzahn schmecken kaum bitter, die Knospen kann man wie Knoblauchzehen einlegen.

(Foto: Georgine Treybal/Starnberger SZ)
Essen und Trinken: Gänseblümchen sind nicht nur dekorativ im Essen. Sie wirken schleimlösend.

Gänseblümchen sind nicht nur dekorativ im Essen. Sie wirken schleimlösend.

(Foto: Georgine Treybal/Starnberger SZ)
Essen und Trinken: Brennnesseln sind entwässernd und fördern die Durchblutung.

Brennnesseln sind entwässernd und fördern die Durchblutung.

(Foto: Georgine Treybal/Starnberger SZ)

Inzwischen gibt die Herrschingerin ihr Wissen als Vorsitzende des Herrschinger Gartenbauvereins weiter. Seit 2008 ist sie Mitglied, zunächst als Beisitzerin. Vor fünf Jahren übernahm sie den Vorsitz und richtete auch eine Kindergruppe ein. Knapp 165 Mitglieder hat der Verein, erzählt die Vorsitzende, darunter zahlreiche Münchener. Natalie Stahl organisiert Lehrfahrten oder gibt Kompostierkurse in ihrem Garten. "Es geht immer um den Austausch", sagt sie. Die Arbeit im Garten ist für sie wie die Vorbereitung eines Festes. Denn nichts anderes sei die Ernte. Ihre Eltern und Großeltern hätten als Selbstversorger Obst und Gemüse angebaut, die Kinder mussten selbstverständlich helfen. Später schenkte ihr der Schuldirektor ein paar junge Pflänzchen, "so ging es los". Während des Elektroingenieur-Studiums in Sibirien hatte sie dann zwar weder einen Garten noch die nötige Zeit. Doch sie beobachtete genau, welche Kräuter noch unter dem Schnee sprießten und wie die Einheimischen sie zubereiteten. "Das Scharbockskraut zum Beispiel: Das hilft auch gegen Hämorrhoiden."

Essen und Trinken: Scharbockskraut (links) wächst neben Schnittlauch.

Scharbockskraut (links) wächst neben Schnittlauch.

(Foto: Georgine Treybal)
Essen und Trinken: Vogelmiere wirkt kühlend und abschwellend.

Vogelmiere wirkt kühlend und abschwellend.

(Foto: Georgine Treybal)
Essen und Trinken: "Wie oft hast du heute schon gelogen?": Wer ein Blatt vom Wegerich abzupft, muss für die Antwort nur die Fäden am Blattstumpf zählen.

"Wie oft hast du heute schon gelogen?": Wer ein Blatt vom Wegerich abzupft, muss für die Antwort nur die Fäden am Blattstumpf zählen.

(Foto: Georgine Treybal)

Stahl sammelt und sammelt - sie weiß genau, wo sie was findet. Ein bisschen Ruprechtskraut noch, umgangssprachlich auch als "Kinderwunschkraut" bekannt. Es soll blutstillend sein. Und den lila blühenden Gundermann natürlich, entzündungshemmend. Den Ehrenpreis liebt sie wegen der schmückend hellblauen Blüten, beim Pflücken des Wegerichs zählt sie danach, wie viele Fäden aus dem Blattstumpf ragen. "Es heißt, so viele Lügen hätte man am Tag schon erzählt." In der Küche spült sie die Kräuter nur mit Wasser ab und schneidet sie dann klein - auch die Stiele. "Wieso sollte ich die wegwerfen?", fragt Stahl. Die Brennnesseln übergießt sie zuvor mit heißem Wasser, "damit sie nicht mehr bissig sind". Stahl gibt die frischen Kräuter in einen Spätzleteig und kocht eine schnelle grüne Suppe, bereitet Pesto im Mixer zu und Tees. Wer eine Frühjahrs-Kur plant: Von allen Kräutern einen Tee- bis einen Esslöffel pro Tasse mit kochendem Wasser aufgießen und fünf Minuten ziehen lassen. Über drei Wochen täglich drei Tassen trinken.

Essen und Trinken: Natalie Stahl bei der Bärlauch-Ernte.

Natalie Stahl bei der Bärlauch-Ernte.

(Foto: Georgine Treybal/Starnberger SZ)

Was nicht benötigt wird, friert die Kräuterpädagogin portionsweise ein oder trocknet die Blätter. "Täglich eine kleine Menge", empfiehlt sie. Doch keinesfalls zu viel: "Die Wirkung kann sehr stark sein, vor allem, wenn man die Kräuter nicht gewohnt ist". Smoothies macht sie darum immer auf der Basis von Äpfeln und Birnen.

Am Samstag, 6. Mai, gibt Natalie Stahl von 10 bis 11.30 Uhr den Kurs "Die Grüne Suppe - was uns vital macht" (Teilnahmegebühr zwölf Euro), am Sonntag, 7. Mai, veranstaltet der Gartenbauverein von 9 bis 11 Uhr einen Pflanzentauschmarkt auf dem Platz vor dem Rathaus. Mehr Infos und zum Programm und Anmeldung hier.

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