Herrsching:Fräulein Karla und die Revolution

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Die Schauspielerin und Regisseurin Jule Ronstedt aus Herrsching schreibt sich inzwischen die Figuren selbst, die sie spielen will, weil es sonst keiner tut. Es geht ihr dabei vor allem um Authentizität

Von Astrid Becker, Herrsching

- Jule Ronstedt ist in Not. Gewissermaßen. An Erfolg mangelt es der Schauspielerin und Regisseurin zwar nicht. Im Gegenteil. Aber es gibt etwas, wonach sie sich sehnt: nach mehr spannenden und interessanten Frauengestalten im Fernsehen und im Kino. Und genau deshalb hält sie es ein wenig so, wie es der Schriftsteller und Satiriker Kurt Tucholsky es schon 1930 in seinem "Kreuzworträtsel der Gewalt" formulierte: "Der Rest der Bibliothek bestand aus feinerer Literatur, ich schreibe mir meinen kleinen Bedarf lieber selber." Auch Jule Ronstedt schreibt sich mittlerweile die Figuren selbst, die sie gern auf Bühne oder Leinwand sehen will.

Fräulein Karla beispielsweise. Eine schrullige, etwas altbacken und weltfremd wirkende Frau Mitte dreißig, der man eines mit Sicherheit nicht zutrauen würde: Dass sie sich eines Tages dazu hinreißen lassen würde, mit dem Messer auf ihre nervige Tante loszugehen. Fräulein Karla ist die Protagonistin des Kurzfilms, der am Montag im Rahmen des Fünfseen-Filmfestivals gezeigt wurde und der nun auch für den Kurzfilmpreis "Das goldene Glühwürmchen" nominiert ist.

Sie hat Respekt vor dem Können anderen, aber keine Vorbilder: Jule Ronstedt, die sich tief mit ihrer Heimat Herrsching verbunden fühlt. (Foto: F.-X. Fuchs)

Wenn man sich allein dies vor Augen führt, kann Jule Ronstedt mit ihrer Taktik à la Tucholsky nicht unrecht haben. Allerdings würde die Künstlerin, die in München geboren und in Herrsching aufgewachsen ist, Tucholsky wohl kaum als ihr Vorbild nennen. Nicht, weil sie dem Dichter keinen Respekt zollen würde, sondern schlicht und ergreifend, weil Jule Ronstedt nun mal keine Vorbilder hat. Und sich auch niemanden zum Vorbild nehmen will. Sie gehört vielmehr zu denjenigen, die die Leistungen anderer bewundern können, ohne neidisch darauf zu werden, wenn sie derartiges selbst nicht zustande brächte. Wim Wenders ist zum Beispiel so einer. Seinen Film "Das Salz der Erde" über den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado, den der bekannte Regisseur am Freitag selbst in Starnberg präsentierte, wollte sie auf keinen Fall verpassen. Nicht nur, weil sie darauf hoffte, den Meister selbst kennenzulernen. Sondern, weil sie seine starke Bildsprache bewundert, wie sie sagt: "Ich könnte das gar nicht." Ronstedt sieht sich vielmehr als jemand, der mehr für Sprache zuständig ist als für das Visuelle: "Wenn ich schreibe, dann feile ich stundenlang an Sätzen herum." Und sie schreibt eine ganze Menge: Kolumnen, Texte, Geschichten, Drehbücher - wie die Trilogie rund um Fräulein Karla. Zwei Kurzfilme sind daraus bereits entstanden: "Fräulein Karlas letzter Versuch" - und eben den nun für den Kurzfilmpreis nominierten "Fräulein Karlas erster Besuch." Teil drei soll noch folgen: "Fräulein Karlas großes Glück". Wer sie gesehen hat und sich zu schrägen Gestalten hingezogen fühlt, der stellt sich schnell die Frage, warum Ronstedt aus dem wirklich verheißungsvollen Stoff nicht gleich einen langen Spielfilm gemacht hat. Doch die Erklärung dafür klingt nachvollziehbar: "Für mich sind Kurzfilme eine Etüde, eine Fingerübung." Denn die Herrschingerin, die mittlerweile mit Mann und 13 Jahre alter Tochter in Haidhausen lebt, hat schon seit fünf Jahren große Pläne: Sie hat ein Drehbuch geschrieben für eine Mafiakrimi-Komödie in Spielfilmlänge. Mit Produzenten steht sie dafür bereits in Verhandlungen. Und wenn es nach ihr ginge, würden die Dreharbeiten dafür im nächsten Jahr starten.

Dabei hatte Ronstedt zunächst gar nicht vor, selbst Filme zu drehen, Regie zu führen, Bücher zu schreiben. Im Alter von acht Jahren habe sie vielmehr beschlossen, Schauspielerin zu werden, erzählt sie: "Ich hatte nur eine ganz andere Vorstellung davon: Ich dachte, da spricht man nur französisch und läuft den ganzen Tag mit einer Stola um den Hals herum." Damals habe sie sich einfach gern verkleidet, heute empfinde sie die Sache mit den ständigen Kostümwechseln bei den Drehs als eher mühselig und anstrengend. Einen kleinen Vorteil sieht sie darin allerdings schon noch: "Es fällt einem leichter, in eine andere Rolle zu schlüpfen." Doch das mit den Rollen ist eben so eine Sache. Als sie mit 24 Jahren die Alicia in "Aus heiterem Himmel" spielt, fand sie die Serie "total spießig": "Heute würde man so etwas überhaupt nicht mehr drehen", sagt die 43-Jährige. Weil dort ein kleiner Junge nackt gebadet wird, weil dort zwei Männer in einer WG mit den Kindern des einen leben: "Da denkt man gleich an Pädophilie." Auch an Kultserien à la "Irgendwie und Sowieso" würde sich das Fernsehen nicht mehr wagen. Und an diesem Punkt landet Ronstedt auch gleich wieder bei ihrem Lieblingsthema: dem Fehlen charaktervoller Frauenfiguren. "Wir sind wieder bei Heinz Erhardt gelandet." In einer Zeit also, in der Frauen nur als Anhängsel ihrer Männer dargestellt werden, die diesen das Leben erleichtern. Selbstbestimmte weibliche Persönlichkeiten gebe es dagegen heutzutage nur selten im Film. Erst vor kurzem sei sie in der Vorauswahlkommission für den Deutschen Filmpreis gesessen, erzählt sie. 65 Filme habe sie dabei gesichtet, nur bei etwa fünf davon hätten die Protagonistinnen Figuren verkörpert, die der Zeit entsprächen. Diese Beobachtungen entsetzen Ronstedt, sie machen sie sogar wütend - auch wenn sie sich nicht als Emanze sieht: "Ich bin doch auch Hausfrau, Mutter, Ehefrau." Aber ihr geht es um Authentizität, Treue zu sich selbst und um eine "Revolution" im deutschen Film. Es könnte gut sein, dass genau sie es ist, die diese anzettelt.

© SZ vom 30.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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