Just in dem Moment, in dem das Gespräch beginnen soll, geht der Alarm los: ein Rettungseinsatz, nicht weit entfernt vom Feuerwehrhaus. Daniel Pleyer entschuldigt sich: Da muss er hin. Der 34 Jahre alte Herrschinger leitet die örtliche Feuerwehr als angestellter Gerätewart, ehrenamtlich ist er seit zwölf Jahren Kommandant. Als er mit 22 Jahren das Amt übernahm, war er bayernweit der jüngste Feuerwehrkommandant.
Christian Münch überbrückt die Pause mit einer Führung durch das moderne Feuerwehrhaus. Der 49 Jahre alte Eventmanager und Unternehmer führt seit 37 Jahren eine Agentur in München und ist seit etwa zweieinhalb Jahren bei der Herrschinger Feuerwehr aktiv. Als er begann, Führungsprinzipien aus Einsätzen auch in seinem Job anzuwenden, entstand die Idee für ein Buch. Ende Mai ist „Führung mit Feuer und Flamme“ (Springer Gabler Verlag) erschienen, seither werden die beiden regelmäßig für Vorträge von Firmen gebucht.
SZ: Herr Münch, Sie haben lange gezögert, sich bei der Feuerwehr zu bewerben? Was hat Sie abgehalten?
Christian Münch: Für mich war die Feuerwehr eine unzugängliche Einheit. Mir hat das Bewusstsein gefehlt, dass man da einfach hingehen kann. Obwohl ich immer intrinsisch gefühlt habe, dass ich da hingehöre, erschien das unmöglich – bis mir ein Flyer der Herrschinger Feuerwehr begegnet ist.
Sie dagegen, Herr Pleyer, sind schon sehr lange bei der Feuerwehr. Wie kam das?
Daniel Pleyer: Ich bin ein Kind Herrschings, und es gibt Bilder, die zeigen mich schon mit drei Jahren beim Tag der offenen Tür zwischen Feuerwehrautos. Es war klar: Mit zwölf kann man zur Jugendfeuerwehr gehen, und so habe ich begonnen, meinen Traum zu leben, und habe ihn letztlich sogar zum Beruf gemacht.
Was hat Sie am meisten überrascht bei der Feuerwehr, Herr Münch?
Christian Münch: Die Zugänglichkeit. Ich wurde gleich im Anschluss an mein Vorstellungsgespräch eingekleidet. Und nach drei Monaten Ausbildung saß ich im Feuerwehrauto und war bei Einsätzen dabei. Aber auch die Professionalität. Man bekommt nicht einfach einen Schlauch in die Hand gedrückt. Alles muss gelernt und trainiert werden. Es sind zig Geräte auf den Fahrzeugen und für fast jedes braucht es eine eigene Ausbildung.
Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über Führung und Feuerwehr zu schreiben?
Daniel Pleyer: Die Idee hatte Christian. Er kam damit ums Eck...
Christian Münch: Ich hatte bemerkt, dass ich das, was mir Daniel und andere Führungskräfte bei der Feuerwehr vorleben, immer wieder benutzt habe, um die Führungskräfte in meiner Firma zu instruieren. Die waren schon genervt, wenn ich wieder anfing mit: „Also bei der Feuerwehr machen wir das so.“ Mich hat das aber überzeugt. Wenn in der Firma etwa die Frage auftauchte, warum wir uns Briefings bis zur letzten Seite durchlesen müssen, bemühte ich eine Feuerwehr-Analogie: Wenn ich zu einem brennenden Haus komme, muss ich logischerweise auch auf die Rückseite schauen, weil dort vielleicht jemand aus dem zweiten Stock springen will. Da ist es plötzlich ganz offensichtlich. Letztlich waren meine Führungskräfte dankbar für diesen Pragmatismus.
Ist der Pragmatismus der größte Profit, den Sie für Ihr Unternehmen nutzen können?
Christian Münch: Die Ausgangslage ist ja ähnlich. Es gibt kaum einen Einsatz bei der Feuerwehr, der stressfrei abläuft. Ebenso stehen Führungskräfte unter großem Druck. Sich dann auf ganz einfache Mechanismen und Schemata berufen zu können, ist das, was ich mitgenommen habe.
War Ihnen bewusst, dass Sie bei der Feuerwehr Abläufe selbstverständlich praktizieren, von denen auch Unternehmen profitieren können?
Daniel Pleyer: Ich habe mich mit den Prozessen in der Wirtschaft nie auseinandergesetzt. Mit Führung bei der Feuerwehr wiederum schon. Als Christian mir die Zusammenhänge erläuterte, war mir schnell klar, dass es Symbiosen gibt. Bei der Feuerwehr haben wir auch Prozesse, die heißen Dienstvorschriften. Wir haben aber auch die Freiheit, den Pragmatismus in diese Prozesse zu integrieren. Damit tun sich Unternehmen schwer.
Christian Münch: Stichwort weiße Handschuhe: Daniel verfolgt als Kommandant immer seine strategische Führungsaufgabe und lässt sich nie dazu hinreißen, beim Einsatz mit anzupacken. Für ihn ist das selbstverständlich, für mich total beeindruckend, neigt man doch gerade in Stresssituationen dazu, als Chef überall mitzuwurschteln. Doch der Chef braucht die Übersicht und einen klaren Kopf.
Herr Münch, Sie beschreiben Herrn Pleyer im Buch als emotionsfrei und roboterhaft. Ist er deshalb prädestiniert als Führungskraft oder kann das jeder?
Christian Münch: Ich glaube nicht, dass man das komplett lernen kann. Die Voraussetzung muss da sein. Aber man kann sich verbessern und das sehe ich bei meinen Kollegen.
Bei der Feuerwehr gibt der Kommandant Befehle. In der Firma kommt das wahrscheinlich nicht so gut an.
Daniel Pleyer: Man darf nicht vergessen: Menschen wollen geführt werden. Gerade in Stresssituationen und wenn die Lage schwer überschaubar wird, sehnen wir uns nach klaren Ansagen. Wenn ich eine starke Führungspersönlichkeit bin, muss ich das im Einsatz unter Beweis stellen – nur so funktioniert es.
Nicht alle Ratschläge aus dem Buch sind neu, etwa sich in sogenannten Notfallsituationen einen Moment zu besinnen, bevor womöglich vorschnell oder fehlerhaft eine Entscheidung getroffen wird.
Christian Münch: Es ist nicht alles neu, das stimmt. Und doch steckt für jeden etwas drin. Für mich war das 10-für-10-Prinzip neu und auch beeindruckend, dass es jemandem gelingt, sich vor einem brennenden Haus die Zeit zu nehmen, zehn Sekunden die Handlungsschritte für die nächsten zehn Minuten zu überlegen. In der Theorie wissen auch Unternehmer, dass das klug wäre – sind aber nicht in der Lage, es auch konsequent anzuwenden.
Daniel Pleyer: Das ist der Punkt. Bei der Feuerwehr mache ich das konsequent, weil ich mir eine fehlerhafte Entscheidung nicht leisten kann, wenn es um Menschenleben geht. In Unternehmen ist die Führungslehre in der Regel aus Studium oder Fortbildungen bekannt, allerdings nur in der Theorie. In der Praxis kommt es in Stresssituationen immer wieder zu Ad-hoc-Entscheidungen, die sich nicht mehr revidieren lassen.
Das liegt vielleicht auch daran, dass Sie bei der Feuerwehr jeden Tag im Schnitt zwei Einsätze haben, während die Führungskraft womöglich nur zweimal im Jahr wegweisende Entscheidungen treffen muss. Sie haben Routine.
Daniel Pleyer: Definitiv. Stressresistenz gehört zu unserem Werkzeugkasten. Das kann man aber lernen.
Was läuft in Ihrer Firma jetzt anders, Herr Münch?
Christian Münch: Vieles. Ein Beispiel: Wenn früher eine Anfrage hereinkam, war die Begeisterung groß und alle wollten dabei sein, wenn es auf den ersten Seiten der Projektbeschreibung um große Shows und Events ging, meinetwegen im Ausland. Dass es auf der letzten Seite hieß, dass dafür kaum Geld budgetiert war, haben viele Mitarbeiter schon gar nicht mehr gelesen vor lauter Euphorie. Bei der Feuerwehr wäre das so, als stünde man ohne Löschwasser mit seiner Mannschaft vor einem brennenden Haus. Die Aufgabe ist in dem Fall klar: Zuerst kümmert man sich ums Wasser. Solche Analogien helfen uns in der Firma sehr. Da hat definitiv ein Umdenken stattgefunden.
Und was haben Sie für die Feuerwehr vom Unternehmer Christian Münch gelernt, Herr Pleyer?
Daniel Pleyer: Die Managementsprache (lacht). Und wie es funktionieren kann, die Leute bei der Stange zu halten. Dass wir noch stärker auf die sozialen Bedürfnisse unserer Kameraden eingehen.
Christian Münch: Ein anschauliches Beispiel ist auch der Co-Working-Space, den wir hier bei der Feuerwehr eingerichtet haben. Es gibt den „War for talents“ und ich muss als Arbeitgeber wie auch im Ehrenamt um die Leute kämpfen und mit meinem Angebot überzeugen. Da braucht es Motivatoren und Wertschätzung, wie zum Beispiel eine nette Geburtstagsnachricht oder die Möglichkeit, den Fitnessraum zu nutzen. Daran arbeiten wir bei der Feuerwehr jetzt zusammen.
Könnten Sie sich denn vorstellen, in die Wirtschaft zu wechseln, Herr Pleyer?
Daniel Pleyer: Nein. Bei der Feuerwehr habe ich immer den absoluten Ertrag. Und wenn es nur die belächelte Katze auf dem Baum ist: Ich habe einem Menschen geholfen. Das kann man in der Wirtschaft nicht erfahren. Auch, wenn ich dort womöglich mehr verdienen könnte – Geld ist nicht alles.
Wie sehen ihre Pläne bei der Feuerwehr aus, Herr Münch?
Christian Münch: Weiter lernen. Mein Ziel ist es aber nicht, sofort wieder eine Führungsposition zu erreichen. Ich bin ganz froh darüber, auch mal geführt zu werden. Und es gibt für mich noch sehr viel zu lernen.
Das Buch „Führung mit Feuer und Flamme – Was jede Führungskraft von einem Feuerwehrkommandanten lernen kann und umgekehrt“ ist im Verlag Springer Fachmedien Wiesbaden erschienen, ISBN 978-3-658-44334-4.