Herrsching:Ende des Dornröschenschlafs

Was nützt ein Buch, das 200 Jahre lang ungelesen im Regal steht? Nichts. Deswegen wurde nun eine der größten agrarhistorischen Bibliotheken Wissenschaftlern aus aller Welt zugänglich gemacht.

Patrizia Steipe

Eine der bedeutendsten agrarhistorischen Bibliotheken im deutschsprachigen Raum befindet sich im Haus der Bayerischen Landwirtschaft in Herrsching. Mehr als 20.000 Bände aus den Bereichen Land-, Haus-, Forst- und Naturwissenschaft, Technik, Gesetzgebung und Verwaltung stehen in den Regalen des Dachgeschosses. Jetzt wurden die Bücher, die bisher lediglich auf Karteikarten erfasst waren, in den Katalog des Bibliothekverbunds Bayern aufgenommen. Damit können Wissenschaftler weltweit auf die Bücher zurückgreifen.

Was nützt ein Buch, das 200 Jahre lang in einem Regal steht?", fragte sich Büchereimitarbeiterin Tanja Kodisch-Kraft, die sich gemeinsam mit Katharina Höninger darum bemüht, die Bücherei aus ihrem Dornröschenschlaf zu holen. Immer wieder einmal komme ein Professor, um Quellen für eine Veröffentlichung zu sammeln sowie Studenten und Doktoranden, die Dokumente aus dem reichhaltigen Fundus für ihre Arbeiten finden. "Es sind aber nur wenige", bedauert Kodisch-Kraft. Als "Schätze, die verschlossen sind", bezeichnet sie die Bücher, die sie für die Wissenschaft öffnen möchte. Seit gut einem Jahr katalogisiert deswegen Höninger die Bücher, Zeitschriftenreihen und Handschriften, damit sie per Computer in den Katalog der Staatsbibliothek und damit in den Bibliotheksverband Bayern aufgenommen werden können. "Ab 1000 Stück darf man in den Verband", weiß Höninger.

Eine große Hilfe ist ihr ein Findebuch von 1987, in dem bereits alle Akten sortiert aufgeführt worden sind. "Sonst würde ich tagelang nur an einer Akte sitzen", berichtet Höninger und zieht als Beweis eine Akte hervor, in der alle möglichen Schriftstücke in schwer entzifferbarer alter deutscher Handschrift gesammelt wurden. "Eigentlich müssten weiter verdichten", überlegt sie. Doch zuerst soll einmal der Bestand gesichtet werden. "Wenn wir die Bücher im Computer eingeben, dann können wir sehen, ob es in einer anderen Bibliothek ein weiteres Exemplar gibt oder ob das Buch selten ist". Dadurch kann der Wert der Bibliothek ermessen und können Unikate festgestellt werden.

Neben den landwirtschaftlichen Büchern beherbergt die Bücherei auch Zeitschriften wie das landwirtschaftliche Wochenblatt ab dem Jahrgang 1811sowie das Archiv des Landwirtschaftlichen Vereins mit Sitzungsunterlagen, Jahresberichten und Karten. Das älteste Buch der Sammlung ist "Ain künstlichs und nutzlichs Kochbuch" aus dem Jahr 1556, das nur ein paar Jahre jünger ist als die Bibelübersetzung Martin Luthers. Die Lieblingsbücher von Kodisch-Kraft sind die handcolorierten Folianten, in denen detailgetreue Obstsorten oder Tierrassen abgezeichnet wurden, aber auch das "Noth- und Hülfs-Büchlein für Bauersleute", ein Aufklärungsbuch für die ländliche Bevölkerung, das erstmals im Jahr 1787erschien, ist eine Rarität, die interessante volkskundliche und kulturgeschichtliche Einblicke in das landwirtschaftliche Leben vergangener Zeiten gibt.

Der Bayerische Bauernverband hat die agrarhistorische Bibliothek als Rechtsnachfolger des Landwirtschaftlichen Vereins nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen. Schwerpunkt der Sammlung ist das 19. und beginnende 20. Jahrhundert. Die Bücher waren jahrelang im Keller der Herrschinger Bauernschule gelagert. Anfang der achtziger Jahre wurden die Bücher ins Dachgeschoss umgesiedelt. Eine glückliche Fügung, denn ein paar Wochen später stand nach einem Unwetter der Keller unter Wasser, berichtet Kodisch-Kraft. Das wäre das Ende der wertvollen Bücherei gewesen. Um die Bücherei bekannter zu machen, hat Kodisch-Kraft alle agrarwissenschaftliche Hochschulen angeschrieben. Außerdem sollen Ausstellungen organisiert werden. Nach Voranmeldung ist die Bücherei montags bis donnerstags von 9 bis 12 Uhr geöffnet.

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