Süddeutsche Zeitung

Herrsching:Der Klassen-Roman

20 Jungen der Realschule Herrsching haben ein Fantasy-Buch geschrieben. Ein Glücksfall

Von Anna-Elena Knerich, Herrsching

Alles beginnt mit einer geheimnisvollen Tarotkarte. Kommt sie mit Wasser in Berührung, wechselt sie die Farbe und es erscheinen rätselhafte lateinische Wörter. Alex ist sich sicher: Dies sind Hinweise, wie er seinen verschollenen Vater wiederfinden kann - denn dass dieser beim Tauchen gestorben ist, daran glaubt er nicht mehr. Gemeinsam mit seinem Freund Samuel macht er sich auf die Suche, wobei die mysteriöse Karte immer zu glühen beginnt, wenn sie auf der richtigen Spur sind: Sie führt die beiden Freunde zu Steinfiguren am Ammersee, wo sie mystische Stimmen vernehmen und auf eine Pforte stoßen, die vom "Wächter zwischen Licht und Schatten" bewacht wird. So beginnt ein Abenteuer zwischen zwei Welten und eine Reise in die Dämmerwelt, wo Drachen und andere magische Kreaturen leben.

Diese Fantasygeschichte stammt nicht etwa von Joanne K. Rowling - sondern aus der Feder von 20 Jungen der Realschule Herrsching. "Schattenrisse" heißt ihr spannendes Buch, das sie kurz vor den Sommerferien 2015 auf Initiative von Referendar Benjamin Rosenschon und von Verleger Gerhard Knülle geschrieben haben und am Montag, 18. April, 17 Uhr, vorstellen werden. Es mag verwundern, dass 12-jährige Realschüler nach Notenschluss fieberhaft im heißen Klassenzimmer über ihre Ideen diskutieren, sie kombinieren, ausformulieren und illustrieren. Doch vielleicht liegt es genau daran: einfach mal der Fantasie freien Lauf lassen, ohne Notendruck. Nachdem der Lehrer ihnen einen provisorischen Prolog vorgelesen hatte, fingen die Schüler Feuer, und er überließ es ganz ihnen, die Geschichte zu entwickeln. Einige lesen begeistert Actionbücher, andere wurden von Computerspielen und Filmen wie vom "Hobbit" inspiriert. Sie hatten den Einfall, das Ganze am Ammersee spielen zu lassen und verfassten in fünf Teams ihre eigene Fantasiegeschichte. Denn dass es Fantasy sein sollte, darüber waren die Jungs sich sofort einig.

Jeder im Team brachte sich nach seinen Interessen und Begabungen ein, auch Schüler mit Lese-Rechtschreib-Schwäche und Schreibmuffel. Das Verzwickte war: Die Gruppen schrieben je ein Kapitel, ohne zu wissen, was die anderen in ihrem Teil entwickelten. Das war das Schwierigste, erzählt Yannick Glatting, 13, der einen Großteil der Geschichte verfasste: "Ich konnte den Figuren nicht irgendwelche Eigenschaften oder Erinnerungen an zuvor Geschehenes zuschreiben. Denn ich wusste ja nicht, was vorher passiert war!" Streit gab es jedoch nie, beteuern die Jungs, alle hätten sich immer auch von den tollen Einfällen der anderen begeistern lassen.

Geschrieben wurde aber meist nach der Schule, in Ruhe zu Hause - so motiviert war die Klasse. Die Seminarrektorin Jutta Gilb wundert das nicht: "Herr Rosenschon hat es geschafft, die ganzen Jungs für das Schreiben zu begeistern - vor allem mit dem Heldenbegriff fesselte er sie." Auch die Schüler bestätigen, durch das Projekt mehr Freude und Interesse am Deutschunterricht zu haben. Darum genehmigten die Seminarbetreuerin und die Direktorin Rita Menzel-Stuck dem Referendar ein gewagtes Projekt, das es in Bayern so noch nicht gab: ein Buch zu veröffentlichen, das allein von Schülern geschrieben ist. Dank der Unterstützung von Sponsoren und des Gachenau Verlags konnte es auch gedruckt werden. Ob die Schüler eine Fortsetzung schreiben? "Auf jeden Fall!", versichern die Jungen einstimmig.

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Quelle:
SZ vom 16.04.2016
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