„Wer kennt Carla Pohle?“ Monatelang haben die Kunsthistorikerin Catharina Geiselhart vom Herrschinger Kulturverein und Kreisarchivarin Friedrike Hellerer recherchiert, um mehr über die fast vergessene Künstlerin zu erfahren. Ihr Ziel war es, ein Werkverzeichnis von Pohles Arbeiten zu erstellen und eine Ausstellung im Kurparkschlösschen zu organisieren. Die Idee dazu hatte Alexandra Aichberger. „Meine Großmutter war mit Carla Pohle befreundet“, erzählt die Kraillingerin bei der Vernissage. Aichberger hat mehrere Bilder von Pohle für die Ausstellung ausgeliehen.
Am Anfang habe sie nicht so gezogen, erinnerte sich Hellerer. Doch je länger sie sich mit Carla Pohle beschäftigte, umso mehr zog sie die Malerin in den Bann. Bis zum Sonntag, 17. November, sind im Kurparkschlösschen auf drei Etagen Ölgemälde, Radierungen, Druckgrafiken, Zeichnungen und Aquarelle ausgestellt. „Ausdrucksstark, eindringlich und von hervorragender Qualität“, lobt Geiselhart. Auch die Vielfalt der Techniken beeindruckt.
Geiselhart und Hellerer dachten, dass sich vor allem Herrschinger Bürger melden würden. Schließlich hat Pohle von 1931 bis zu ihrem Tod 1962 in der Ammerseegemeinde gelebt. „Mit dem, was dann passiert ist, haben wir nicht gerechnet“, staunte Hellerer bei der Vernissage. Es meldeten sich Privatleute, Sammlungen und Museen aus Städten wie Hamburg, Leipzig, Ingolstadt, München. Sogar im Lyonel-Feininger-Museum in Quedlinburg hängt ein Werk von Pohle. „Wir waren völlig überwältigt“, so Hellerer. Das Werkverzeichnis wuchs schnell von anfänglich 30 auf über 400 Werke. Da die meisten der Bilder nicht datiert sind, wurde der Katalog nach Techniken wie Öl, Aquarell und Pastellkreide sortiert.
Von zwei Ölgemälden gibt es jedoch kein Bild im Werkverzeichnis. Die Nationalsozialisten diffamierten 1937 Pohles Werke „Die Kranke“ und „An der Ostsee“ als „entartete Kunst“ und zerstörten diese. Warum? Das weiß Hellerer nicht. Sie fand lediglich die Werke auf der Inventarliste mit dem Vermerk „vernichtet“. Geiselhart geht davon aus, dass dies Auswirkungen auf die Karriere der Künstlerin gehabt hatte. Eigentlich war Carla Pohle „auf dem besten Weg, mit ihrem Werk bekannt und geschätzt zu werden“, sagt sie.

Trotz des beachtlichen Werkverzeichnisses ist außer einem dürren Lebenslauf wenig Biografisches über die Künstlerin bekannt. Carla Pohle wurde 1883 in Lehe bei Bremerhaven geboren. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts kam sie nach München und studierte an der Debschitz-Schule Kunst. In dieser Zeit freundete sie sich unter anderem mit Käthe Kollwitz an. In der Ausstellung sieht man zwei Kohleporträts von ihr, aber auch Porträts von Katharina von Sanden, ihrer langjährigen Lebenspartnerin.
1929 zogen beide nach Feldafing, 1931 nach Herrsching. „Dem Hörensagen nach soll Carla auch mit Gabriele Münter, Wassily Kandinsky und Oskar Kokoschka bekannt gewesen sein“, liest man im Begleitbuch zur Ausstellung. Nach dem Tod ihrer Partnerin zog ein Italiener, der Giovanni geheißen haben soll, bei Pohle ein. Eine Schicksalsgemeinschaft. Beide waren mittellos. Das wenige Geld gab Carla Pohle lieber für Malutensilien als für Lebensmittel aus.


Es gibt ein paar Fotos, die eine ernste schmale Frau zeigen. „Ihre Werke müssen für sie sprechen – und das tun sie auch“, versichert Geiselhart; die ruhigen, naturalistischen Landschaftsbilder, ihre intensiven Porträts und ihre mit schnellem Strich aufs Papier gebrachten Skizzen und Zeichnungen. Da sieht man Josephine Baker beim dynamischen Tanz und viele in Leidenschaft verschlungene Leiber.
Nicht alle Bilder sind im guten Zustand. „Manch eines ist in desolatem Zustand, wiedergefunden auf dem Dachboden oder auf dem Weg zum Wertstoffhof“, so Geiselhart. Auf einem Stück ungerahmter Leinwand tanzen expressiv nackte Leiber auf einer Waldlichtung, bei einem Porträt vom Schwager Ernesto La Villa fehlt eine Ecke. Das Bild war schon zum Wegwerfen aussortiert worden und konnte gerade noch gerettet werden. Auf den Selbstporträts sieht man eine ausgemergelte Frau mit wirren Haaren und eindringlichem Blick.

Am 13. Januar 1962 stirbt Carla Pohle in der Gautinger Lungenklinik an Tuberkulose. Das Grab in Herrsching existiert nicht mehr. „Es wurde wohl aufgelassen“, mutmaßt Hellerer.
Die Forschungen sind noch nicht zu Ende. Hellerer hat von weiteren Bildern erfahren, die ins Werkverzeichnis aufgenommen werden sollen. „Heute ist ein eigenständiges, charakteristisches Werk von Carla Pohle erhalten, das nur darauf wartet, entdeckt und weiter erforscht zu werden“, schreibt Geiselhart.
Die Ausstellung im Kurparkschlösschen Herrsching, Scheuermannstraße 3, ist bis Freitag, 15. November, jeweils von 14 bis 17 Uhr sowie am Samstag, 16., und Sonntag, 17. November, jeweils von 11 bis 17 Uhr zu besichtigen.