Herrsching:Botschafter des scharfen Geschmacks

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Jürgen Rahm will vom Ammersee aus mit pikanten Soßen aus Belize den deutschen Markt erobern. Dafür braucht er einen langen Atem.

Armin Greune

Bunte Produktpalette: Der Herrschinger Jürgen Rahm importiert die mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Chili-Soßen aus der Karibik. (Foto: Franz X. Fuchs)

Es war die Liebe, die Jürgen Rahm zum Belizer werden ließ. 1987 - als Globetrotter war er damals auf dem Weg von New York zum Carnival auf Trinidad - lernte er eine nordische Schönheit kennen, die seine Frau werden sollte. "Beim Weihnachtstänzchen in St. Ignacio", mit heute 16 000 Einwohnern zweitgrößte Metropole des zentralamerikanischen Staates, funkte es. Nicht nur die Tochter eines zugewanderten US-Literaturprofessors gewann sein Herz, sondern auch das Land, das sich so deutlich von allen Nachbarn unterscheidet: "Winzig, unbedeutend und als Volk die volle Promenadenmischung", so charakterisiert es Rahm.

Fast 20 Jahre lebte er auf einer Farm im Regenwald, arbeitete bei der Nutzung und Wiederaufforstung von Edelholzplantagen mit. Während seine Tochter und sein Sohn "dort unten als einzige Bleichgesichter weit und breit aufgewachsen sind", erhielt Rahm die belizische Staatsbürgerschaft. Als Job und Ehe vor dem Aus standen und obendrein seine Schwester in Deutschland zum Pflegefall wurde, kehrte der gebürtige Hofer 2005 zurück. Er strandete am Ammersee, denn in Herrsching wartete eine "größere oberfränkische Exilgemeinde" auf ihn, die ihn freundlich aufnahm.

Für Rahm war es auch eine Herzensangelegenheit, nach mehr als einem Jahr als Pfleger den Vertrieb von Marie Sharp's Chilisoßen für Deutschland in die Hand zu nehmen. Diese Liebesbeziehung ging tatsächlich durch den Magen: "Über die Jahre hinweg hatte ich die Flaschen immer als Souvenir aus Belize mitgebracht", erzählt Rahm. Viele seiner Bekannten waren von den geschmackvollen Mitbringseln ebenso begeistert wie er selbst. Und so reifte allmählich der Plan, "Maries Mann in Deutschland" zu werden: Als leidenschaftlicher kulinarischer Missionar und nicht akkreditierter Botschafter des in Europa kaum bekannten Landes an der Peripherie der Karibik. Seit einem guten Jahr hat Rahm die Vertriebsrechte für Deutschland, Österreich und die Schweiz und neun verschiedene Soßen im Angebot: von fruchtig-pikanten Sorten für Anfänger bis zu den heftigen Belizean Heat, Beware und No Wimps Allowed ("nichts für Weicheier"), von denen wenige Tropfen reichen, um einem Gericht die nötige Würze zu verleihen.

Allen gemeinsam ist, dass sie ausschließlich aus Naturprodukten gewonnen werden und weder künstliche Aromen noch Farb- oder Konservierungsstoffe enthalten. Die Zutatenliste beginnt fast immer mit Habanero-Schoten: Mittlerweile werde nahezu die gesamte belizische Ernte in der kleinen Fabrik verarbeitet, sagt Rahm. Außerdem finden nur Früchte (Grapefruits, Orangen und Kaktusfrüchte) und Gemüse Verwendung: Auch hier greift der Hersteller auf die teurere inländische Produktion zurück, nur in der heißesten Jahreszeit müssen Zwiebeln und Karotten aus Mexiko bezogen werden. Und schließlich werden ihre Soßen nicht wie etwa die bekannte Marke Tabasco vergoren, so dass die Aromen unverfälscht erhalten bleiben. Dennoch sei eine angebrochene Flasche auch ungekühlt fast unbegrenzt haltbar, schwärmt Rahm. Der Verbraucher erhält für den Literpreis einer guten Spirituose ein Produkt, das allerdings viel sparsamer dosiert werden kann, um Wirkung zu entfalten. Hinter der mehr oder minder ausgeprägten Schärfe offenbart sich dem Gaumen eine erstaunliche Geschmacksvielfalt an intensiven Aromen.

Und auch die Frau, die hinter dem Produkt steht, hat es in sich. Weit über 70 Jahre alt ist die Lady, die tatsächlich Sharp heißt (was im Englischen freilich nur im mechanischen Sinne scharf bedeutet, für die Geschmacksrichtung steht "hot" oder "spicy"). Begeistert gibt Rahm die Karriere des Mädchens aus einfachen Verhältnissen wieder, die sich von einer fleißigen Schülerin "zweifellos zur erfolgreichsten Geschäftsfrau des Landes entwickelt" habe. Als Verwaltungsangestellte in der dortigen Zitrusindustrie stieg Marie noch zu Kolonialzeiten bis in die Chefetage auf. Nach dem Krebstod ihres ersten Mannes heiratete sie Gerald Sharp, Besitzer einer 160 Hektar großen Farm bei Dangriga und wie sie begeisterter Gärtner. Auf Wunsch eines lokalen Soßenkochs begannen sie Habanero-Stauden zu ziehen.

Doch als der Abnehmer dann nur eine Kiste der Ernte brauchen konnte, drohten sie auf einem Berg von Pfefferschoten sitzen zu bleiben. Kurzerhand kochte Marie sie auf ihrer Terrasse mit Karotten, Kohl oder Chayote (tropisches Kürbisgewächs) ein. Beim Experimentieren mit verschiedenen Rezepturen dienten der eigene Garten als Rohstoffquelle, Freunde und Nachbarn als Versuchskaninchen. Unter dem Farmnamen Melinda eroberten ihre Produkte von 1980 an allmählich den heimischen Markt. Als seinerzeit weltweit erste Habanero-Soßen waren sie bald auch in Mexiko und Nordamerika erfolgreich - bis der damalige US-Importeur sie ausbootete, den Markennamen schützen ließ und dann mit "Melinda" eine in Costa Rica billig produzierte Chilisoße etikettierte, erzählt Rahm. Damals, 1991, konnte Sharp sich keinen langwierigen und teuren Prozess leisten, sie verlor dennoch viel Geld. Doch sie gab nicht auf und etablierte ihre Produkte unter dem eigenen Familiennamen mühsam neu auf dem Markt. Inzwischen stellt sie auch Marmeladen und Fruchtsirups her, ihre Soßen sind wieder in den USA vertreten, sie haben selbst im kulinarisch höchst anspruchsvollen Japan Fuß gefasst. Auf Messen erhielten ihre "Proud Products of Belize" zahlreiche Auszeichnungen. Doch am stolzesten sei Marie Sharp wohl auf ihre Ehrenbürgerschaft in New Orleans, meint Rahm - der größten Stadt Louisianas, Heimat von Tabasco.

Trotz der Qualität verkaufen sich Maries Soßen hierzulande noch nicht wie warme Semmeln: Es sei "ein hartes Brot", hier Vertriebspartner nur mit Ideen, aber ohne hinreichendes Startkapital zu gewinnen, sagt Rahm, der seine berufliche Qualifikation mit Selbstironie und fränkischem Understatement als "verkrachter BWL-Student und ansonsten Autodidakt" umreißt. Dabei hat der 54-Jährige mit Herrschinger Freunden hochprofessionelle, ansprechende Flyer und Werbeaufsteller gestaltet. Auch ein Video mit Marie Sharp in ihrer Fabrik ist entstanden, auf dem beispielsweise der hohe hygienische Standard der Produktion deutlich wird. Sogar die Musik ist eigens für den Clip komponiert worden.

Obwohl die Produkte im Internet ebenso attraktiv präsentiert werden (www.marie-sharp.de), läuft auch der im April gestartete Onlineverkauf nur langsam an. Deshalb bescheidet sich Rahm vorerst mit einem Lager im Keller und einem kleinen Büro in der Herrschinger Wohnung, die er mit seiner neuen Lebensgefährtin bewohnt. Immerhin ist es ihm im ersten Jahr gelungen, etwa 30 Einzelhändler für Sharps scharfe Spezialitäten zu gewinnen. "Im Grunde genommen vor allem in München und einmal rund um den Ammersee", sagt Rahm: Matos Fischladen nebenan ist darunter, "Il Kiosko" am Wörthsee, der Echinger "Rewe", die Schondorfer Kneipe "KuBa" und das Feinkost-Minikaufhaus "Loh" in Dießen.

Dass Marie Sharp's "einmal zum Maggi des neuen Jahrtausends wird", erwartet Rahm nicht wirklich: Bei den Discountern etwa werde man die Flaschen wohl noch in zehn Jahren vergeblich suchen. Besser passt die heiße Ware schon auf die Tische gehobener Gastronomie: So hat sie etwa schon im "Finespitz's", "Das Schiefer" und "Red Hot" in München Einzug gehalten. Was die Hobbykulinariker betrifft, hofft Rahm nun auf die nächste Grillsaison. Und falls der Durchbruch etwas länger dauern sollte, kann er sich ja an der Beharrlichkeit von Marie Sharp ein Beispiel nehmen.

© SZ vom 24.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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