Süddeutsche Zeitung

Streitobjekt Bahnhof:Der Herrschinger Patient

Seit 15 Jahren schon gehört das Bahnhofsgebäude der Gemeinde - und ebenso lang gibt es Diskussionen darüber, was damit passieren soll. Nun macht der Gemeinderat den Weg frei für eine Wiederbelebung des alten Hauses.

Von Tim Graser, Herrsching

Der Herrschinger Bahnhof soll neu gestaltet und mit kulturellen Veranstaltungen wiederbelebt werden - inklusive Gastronomie, Kleinkunstabenden, fliegenden Marktständen und einer öffentlichen Toilette. Das hat der Herrschinger Gemeinderat entschieden. Nach Jahren der Unsicherheit geht er damit "all in" - inklusive Bürokratie und hoher Kosten.

Mit diesen Worten eröffnete der Herrschinger Bürgermeister Christian Schiller am Montagabend die Diskussion im Gemeinderat über die Zukunft des mehr als hundert Jahre alten Bahnhofsgebäudes: "Jetzt geht's ums Bahnhofsgebäude, da krankt unser Patient ein bisserl." Schon 2008 hatte die Ammersee-Gemeinde das denkmalgeschützte Haus von der Bahn erworben. Seither gab es viele Ideen für das denkmalgeschützte Gebäude im Jugendstil . Gaststätte, Veranstaltungssaal oder Café-Bar?

All diese Ideen, die nie realisiert wurden, kamen auch bei der jüngsten Beratung erneut auf den Tisch. Eine Kneipe mit Bühne für kleine Konzerte, ein Bistro mit Freifläche und Straßenverkauf, eine Art "geschlossener Marktplatz" im Innenraum: An Vorschlägen mangelte es keiner Fraktion. Bevor das große Wunschkonzert beginnen konnte, legte Bauamtsleiter Guido Finster die Fakten auf den Tisch: Die im Vorjahr eingeholte bauliche Einschätzung eines Experten habe ergeben, dass ein Ausbau, wie ihn sich der Gemeinderat vorstellt, eine amtliche Nutzungsänderung erfordere.

Wieviel Geld sollte man in Zeiten knapper Kassen in die Visitenkarte der Gemeinde stecken?

Die "große Lösung" brächte enormen baulichen Mehraufwand und auch deutlich höhere Kosten mit sich - und das in einer Zeit, in der die Baukosten explodieren. Steckt man in Zeiten knapper Kassen viel Geld in die Visitenkarte der Gemeinde? Oder lässt man es besser und schränkt sich ein? Keine einfache Entscheidung. Konkret müssten die Geschossdecken gestärkt und statisch geprüft sowie Rettungswege errichtet werden. Zudem bräuchte es Absprachen mit dem Landesamt für Denkmalpflege. Bei einer kleineren Lösung erspart man sich das Ganze. Dann aber hätten Kulturschaffende hier keine Chance.

"Das zieht sich dann Jahrzehnte hin", bemerkte Gertraud Köhl (Grüne) im Hinblick auf die "große" Lösung. Auch Bürgermeister Schiller befürchtet, dass es bei einer Änderung des Nutzungskonzepts einige Jahre dauern könnte, bis im Bahnhof wieder Leben einkehrt. Vertreter der CSU argumentierten dagegen: Der Zeitverlust sei hinnehmbar. Überdies wolle man kein "Provisorium" und längerfristig sei eine Nutzungsänderung unausweichlich. Am Ende stimmten 18 der 20 Gemeinderäte für die "All-in"-Lösung - also mehr Aufwand, Kosten und Zeit für die Sanierung. Die Gemeinde hatte sich das Bahnhofsgebäude vor 15 Jahren mühsam vor Gericht erstritten und sich dabei auf ihr Vorkaufsrecht berufen.

Die Ideen und Wünsche der Fraktionen liegen gar nicht so weit auseinander.

Doch wie soll der neue alte Bahnhof aussehen? Eine Frage, über die die Bürgergemeinschaft Herrsching (BGH) bereits mit Bürgern beraten hat. Tatsächlich liegen die Wünsche der Fraktionen gar nicht weit auseinander, sodass man sich auf erste Eckpunkte einigen konnte. Demnach soll auf jeden Fall wieder Gastronomie in den Bahnhof einziehen mit der Möglichkeit für Kulturangebote. Auch das Reisezentrum, für viele Herrschinger eine Instanz im Ort, soll weiter bestehen. Zudem sollen erneut Geschäfte ins Gebäude. Derzeit gibt es ein Obst- und Gemüsegeschäft sowie einen Weinhandel. Es wird eine öffentliche WC-Anlage am Bahnhof geben, möglicherweise auch in einem externen Bau. Die Wohnungen im Obergeschoss bleiben bestehen und sollen saniert werden.

Was vorab bereits Konsens war, ist nun auf den Weg gebracht. Wirklich schnell dürfte es trotzdem nicht gehen: Die Gemeinde muss den Auftrag ausschreiben, auch hofft man auf Fördermittel. Sobald ein Planungsbüro gefunden und der Auftrag vergeben ist, können weitere Kosten und die Machbarkeit berechnet werden, ehe es zum eigentlichen Umbau kommt. Wann dann wirklich mit einer Komplettsanierung der "Visitenkarte für die Ankunft in Herrsching" gerechnet werden kann, wie Gemeinderat Rainer Guggenberger (BGH) den Bahnhof gerne nennt, hängt laut Bauamtsleiter Guido Finster von den verfügbaren Haushaltsmitteln und der Höhe der Fördermittel ab. Je nachdem, was dem Landratsamt und der Denkmalschutzbehörde noch an Einwänden einfällt, könnte möglicherweise schon Ende nächsten Jahres, wahrscheinlicher aber erst 2025 mit dem Umbau begonnen werden.

Für den rückwärtig gelegenen Teil des Bahnhofs gab es bereits erste Konzepte. 2018 schlugen die Gewinner eines städtebaulichen Wettbewerbs einen großzügigen Platz ohne Autoverkehr vor, der auch für Feste, Konzerte oder Marktstände genutzt werden könnte. Das Problem ist aber grundsätzlicher Natur: Das Areal gehört nicht der Gemeinde, sondern der Bahn. Und die will den asphaltierten Vorplatz und das dahinterliegende, dicht bewachsene Gelände südlich des Bahnhofs bislang partout nicht verkaufen - zum Missfallen von Bürgermeister Schiller.

Die Bahn wolle sich, sagt Schiller, ihre Ausbauoptionen im Rahmen der Verkehrswende erhalten. Das Straßenbauamt bemüht sich schon geraume Zeit, auf dem ehemaligen Gelände eines Direktvertreibers von Tiefkühlkost und Speiseeis eine Gleisunterführung zu bauen. Die Gemeinde hatte die "Bofrost"-Lagerhalle in der Ladestraße neben Gleisen und Parkplatz schon 2015 erworben. Wann es hier weitergeht, ist nicht absehbar. Schiller wandte sich zur Unterstützung bei den Verhandlungen mit der Bahn auch an den CSU-Bundestagsabgeordneten Michael Kießling, der den Wahlkreis Starnberg-Landsberg vertritt. "Ich hab' alle Geschütze aufgefahren", sagt Herrschings Bürgermeister. Genutzt hat es bisher nichts.

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