"Ich vermisse meine Kunden ja jetzt schon", sagte Ulrike Soré bei der Abschiedsparty im vergangenen Dezember. Nach 33 Jahren hatte sie ihr Modegeschäft in Herrsching in jüngere Hände gegeben. Jetzt, neun Monate später, steht sie wieder in einem Laden. Sie hat alles schön gemacht für den Eröffnungsabend: Getränke stehen bereit, es gibt Häppchen. Überall brennen Kerzen, in silberfarbenen Leuchtern, auf silberfarbenen Beistelltischen. Der ganze Raum ist Ton in Ton dekoriert. Sie liebe die "Nichtfarbigkeit" von Grau, Beige, Weiß und Schwarz, sagt Soré. Aber diesmal will sie keine Mode in der von ihr bevorzugten "Farbschiene" verkaufen, sondern selbst gemalte Bilder.
"Farbe trifft Leinwand", so hat Ulrike Soré das Projekt genannt, für das sie ein ehemaliges Fotogeschäft an der Mühlfelder Straße in Herrsching gemietet hat. Die komplette Inneneinrichtung ist herausgerissen, Wände und Boden sind nackt, es gibt Spachtelspuren und Farbspritzer, hier und da auch Löcher im Boden. "Das war genau das, was ich gesucht habe", sagt die Malerin.
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Die Baustellenatmosphäre passt ihr perfekt ins Konzept: Das Grau des Fußbodens und die rauen Oberflächen bilden den Hintergrund für die Leinwände, die sie auf Betonsockeln und Mauersteinen aufgebaut hat. Weitere Gemälde sollen direkt vor Ort entstehen. Jeden Donnerstag und Freitag von 10 bis 18 Uhr sowie jeden Samstag von 10 bis 13 Uhr kann man Ulrike Soré in ihrem neuen Laden, der zugleich temporäres Atelier ist, besuchen. Vorerst hat sie die Räume für vier Wochen gemietet, sie könne sich aber eine Verlängerung gut vorstellen, sagt sie bereits am ersten Abend.
Sie sei Autodidaktin, male aber mit großer Begeisterung seit ihrem 30. Lebensjahr, erklärt Soré. Jetzt, im Alter von 62 Jahren und im selbstgewählten "Unruhestand" habe sie endlich ausreichend Zeit für ihr Hobby. Eigentlich wollte sie nicht mehr jeden Tag im Laden stehen, aber jetzt habe sie sich doch eine neue "Plattform", wie sie selbst es nennt, gesucht.
Kurz vor der Eröffnung ihrer ersten Ausstellung war sie am vergangenen Wochenende in einem Malseminar in Klagenfurt. Dort entstand erstmals ein Bild in kräftigen Rottönen. Kurz vor der Abreise griff sie noch einmal zum Pinsel, übermalte ihr Werk in Weiß und Grau, fügte wie immer eine ruhige Fläche an die andere, setzte am Ende kräftige Akzente in Schwarz. Das Ergebnis war wieder einmal eine abstrakte Komposition in harmonisch aufeinander abgestimmten Nichtfarben, nur an manchen Stellen schimmert ein wenig das wilde Rot durch: "Jetzt ist es meins", sagt Soré, "das Rot bin ich einfach nicht."
Das Malen bedeutet ihr viel. Sie finde ihr eigenes Ich in den Bildern. Das Schwarz, das sie meist zum Schluss mit einem Kohlestift als "Finish" aufträgt, ist für sie Dynamik und "eine unheimliche Kraft". Was sie darüber hinaus mit ihren Bildern ausdrücken will, hat Soré mit diesem Kohlestift auch auf den grauen Fußboden geschrieben und auf einer Tafel im Schaufenster ausgedruckt: "Gedanken, Gefühle & Inspiration" steht da, "Liebe zum Detail" und "Die Seele malt mit". Und natürlich: "Die Strahlkraft der Nichtfarbigkeit".
Schon vor der Eröffnung am Freitagabend strecken Neugierige die Köpfe herein, Passanten winken im Vorbeigehen. Natürlich kennt man Ulrike Soré in Herrsching. Sie winkt zurück, begrüßt Bekannte und ehemalige Stammkundinnen. "Ich bin gleich bei Dir", sagt sie zu einer Besucherin, immer noch ganz Geschäftsfrau. Und man kann sich gut vorstellen, wie sie gleich im Gespräch von der "Strahlkraft der Nichtfarbigkeit" schwärmen wird.