Heinrich Oberreuter:"Ich habe immer ein erotisches Verhältnis zur Politik gehabt"

Jetzt ist Schluss. Nach 18 Jahren verlässt Heinrich Oberreuter die Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Der scheidende Direktor über seine Verbundenheit mit Tutzing, die Zukunft der Parteien und seine eigene.

Sabine Bader und Gerhard Summer

Die Kabarettisten auf dem Nockherberg haben ihn den Unvermeidlichen genannt. Denn immer wenn Wahlen anstehen oder Parteien in Kalamitäten geraten, bevorzugt die CSU, greifen Fernsehmoderatoren und andere Journalisten gerne auf das Urteil des Politikwissenschaftlers und Analysten Heinrich Oberreuter zurück. Der Mann kann einfach prägnanter formulieren als viele seiner Kollegen und gilt schon deshalb als absoluter CSU-Kenner, weil er Mitglied dieser Partei ist und sich trotzdem den nötigen Abstand bewahrt hat.

Akademiedirektor Prof. Heinrich Oberreuter geht in den Ruhestand

Heinrich Oberreuter, Direktor der Politischen Akademie in Tutzing, geht in den Ruhestand.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Ende dieses Monats wird für den 69-Jährigen, dessen Amtszeit als Direktor der Tutzinger Akademie für Politische Bildung zuletzt noch einmal um ein Jahr verlängert worden ist, eines unvermeidlich: der Ruhestand nach 18 Jahren im Amt. Die SZ sprach mit Oberreuter über die Verbindung mit Tutzing, den neuen Hörsaal der Akademie und politischen Analysen.

Herr Oberreuter, sind Sie, um es nach amerikanischer Art zu sagen, ein Tutzinger?

In dem Sinne ja, eigentlich sogar mehr. Denn es ist schon eine starke Verbindung gewachsen. Ich bin zwar nicht nach Tutzing gezogen, weil ich meinen Lehrstuhl für Politikwissenschaft parallel in Passau hatte und der Familienwohnsitz dort ist. Aber ich bin fast die ganze Woche hier gewesen, durchsetzt mit auswärtigen oder ausländischen Terminen. Jetzt, da sich die Sache dem Ende zuneigt, merke ich doch sehr deutlich, dass ich mit der Region ziemlich stark verwachsen bin und auch mit Menschen hier, die ich im ferneren Leben nicht missen möchte. Familienwohnsitz hin oder her, ein Stück weit werde ich Tutzinger bleiben.

Wie wichtig ist Tutzing für die Akademie?

Das sieht man daran, dass es mal eine Zeit gegeben hat, in der daran gedacht wurde, den Standort aufzugeben. Der Blattschuss, den ich dieser Idee verabreicht habe, war der Hinweis: Na ja, dann verlegt sie halt in die gerade frei gewordene Grenzschutzkaserne in Nabburg. Spätestens in dem Augenblick . . .

... hatten sie keine Lust mehr . . .

... hat jeder gelacht darüber. Die erste Idee des damals zuständigen Ministers war: Wir haben eine Villa in Bogenhausen, essen und schlafen könnt ihr dann in irgendeinem Hotel. Also diese Einheit von Akademieaufenthalt mit geistiger und anderer Kost ist da zuerst nicht gesehen worden. Das war aber nicht die freie Entscheidung des Ministers: Die Landesversicherungsanstalt, der diese Immobilie gehört, sollte per Gesetz zum Verkauf gezwungen werden, damit Renten ausgezahlt werden können. Nur: Der Wert des Objekts ist damals auf 18 oder 20 Millionen Mark geschätzt worden. Die LVA Südbayern gibt schon an einem Montagvormittag so viel aus, wie sie für dieses Gelände kriegt. Und hier kommt dann vielleicht Scientology rein, weil das die Einzigen sind, die so eine Schulungsstätte brauchen. Außerdem wäre das abendliche Gespräch, in dem vieles funktioniert, in München nicht mehr möglich gewesen, weil der eine in die Oper geht, der zweite ins Konzert, der dritte ins Hofbräuhaus und der vierte ins Rotlichtmilieu. Diese Argumente habe ich immer wieder gespielt und den zuständigen Minister gefragt: Wo passiert denn bei euren Klausurtagungen das Intensivste? Ja, sagt er, im Bierkeller. Sag' ich: Sehen Sie. Wenn man einen intellektuellen Prozess in einer Gruppe anregen will, braucht man die Chance auf ein intensives Gespräch außerhalb des Hörsaals. Man kann, abstrakt gesprochen, auf Tutzing verzichten, aber nicht auf einen Platz wie Tutzing. Und einen Platz wie Tutzing gibt es so schnell nicht wieder. Gerade jetzt, wenn Sie sich den neuen Hörsaal anschauen . . .

Haben Sie dem Finanzminister den Hörsaal im Bierkeller abgerungen?

Wir reden über zwei Minister. Der erste kam mit der Villa. Mit dem zweiten habe ich die Idee mit dem Neubau hin und wieder besprochen.

Kurt Faltlhauser.

Ja. Er war dafür, viel intensiver als viele andere. Bei einem Sommerempfang der Evangelischen Akademie fragte mich dann Faltlhauser: Was ist denn jetzt mit dem Hörsaal? Es stagniert, meinte ich. Sagt er, da drüben läuft Schneider, den holen wir jetzt. Dann haben also Schneider, der damals Kultusminister war, Faltlhauser und ich in einem Zehn-Minuten-Gespräch den Hörsaalbau festgemacht, und dann lief's. Nur zuletzt haben wir wegen irgendwelcher Einsprüche ein Jahr verloren - ich hätte ein Monogramm in den Teppich beißen können!

Die Nähe zur Evangelischen Akademie hat also viel Positives?

Das hatte überhaupt nie etwas Negatives.

Gab's nie Konkurrenz?

Na ja.

Sie haben mal gesagt, die Fernsehteams sind in den ersten Jahren zur falschen Akademie gefahren.

Gut, das sind sie später auch noch, denn in dem Augenblick, da mein Freund und früherer Akademiedirektor Friedemann Greiner Vorsitzender des Fernsehausschusses war, haben die auch nichts mehr anderes gekannt.

Freundschaftliche Konkurrenz

Aber darauf kann man's ja nicht reduzieren.

Nein, ich hab' am Anfang meiner Existenz die evangelischen Kollegen mal eingeladen und gesagt: So, dann lasst uns halt um die Meinungsführerschaft am Starnberger See streiten. Aber dieses Haus wäre völlig schief gewickelt, wenn es nicht in der gleichen Liga spielen könnte wie die evangelische und die katholische Akademie, auch wenn die Öffentlichkeit das nicht sehen will oder Politiker das nicht sehen wollen. Wir haben also relativ gute Möglichkeiten und eine sichere, wenn auch keine üppige Finanzgrundlage. Das Akademiegesetz befiehlt dem Freistaat Bayern, uns die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, ohne dass der Freistaat inhaltlich etwas zu sagen hätte. Diese Konstruktion - Hans-Jochen Vogel ist der Vater gewesen - ist geradezu genial. Und wer diese Konstruktion genießt, muss sich ihrer würdig erweisen und muss was tun. Wir kooperieren also in einzelnen Fällen mit der Evangelischen Akademie, jeder macht aber seins auf seine Weise, jeder hat die gleichen Probleme. Wenn ich bei den Kollegen mal referiere, seh' ich auch, dass die ein überaltertes Publikum haben. Unsere Arbeit ist wissenschaftlicher und weniger spektakulär. Insofern ist das schon eine Konkurrenz, aber eine sehr fruchtbare und freundschaftliche.

Wie hoch ist Ihre Auslastung?

Auslastung ist für mich das Bettenhaus. Wir haben 72 Betten, ich würde sagen, wir kommen auf eine Auslastung von 60, 65 Prozent. Dabei müssen Sie sehen: Wir haben Weihnachten zwei Wochen zu. Im Sommer ist das Haus drei Wochen geschlossen, irgendwann muss renoviert und gestrichen werden. Und an Ostern und Pfingsten ist mindestens eine Woche schlecht belegbar, es sei denn durch eine Gasttagung. Im Klartext: Sieben Wochen im Jahr ist mehr oder weniger sowieso Ruhe, was in der Auslastung eingerechnet ist. Das heißt, unter der normalen Jahreszeit sind wir sogar stärker als 60 Prozent ausgelastet.

Sie haben Kommunalpolitik und Haushaltsprobleme erwähnt. Hatten Sie nicht Lust, in die Politik zu gehen?

Ich habe viel Palamentarismusforschung gemacht, wahrscheinlich kenne ich die Parlamente besser als manche Abgeordneten. Ich hab es nie ausgeschlossen, in die Politik zu gehen, und habe immer ein erotisches Verhältnis dazu gehabt. Aber ich habe dem nicht die Priorität beigemessen.

Gab's nicht mal einen Versuch 1992 in Passau?

Die Geschichte war völlig abseitig, auch deshalb, weil ich damals gleichzeitig Gründungsdekan an der Uni Dresden war. Der damalige Sozialminister Gebhard Glück hatte mich dazu überredet, dass ich für den Stadtrat kandidiere. Aber ich hatte in Dresden einen Job, der mich 16 Stunden am Tag beschäftigt hat. Ich war zugleich Dekan in Passau und hatte die Schnapsidee, an beiden Universitäten auch zu lehren. Das mit der Kandidatur musste schiefgehen und ist auch schiefgegangen.

So wie das klingt, waren Sie nicht traurig darüber.

Meine Frau hat mir gelegentlich gesagt, hör mal, möchtest Du Dich um die Linksabbiegerpfeile an Straßenkreuzungen kümmern? Das ist vielleicht, wie soll ich sagen, antibasisdemokratisch. Aber ich könnte es auch anders formulieren: Die Tatsache, dass ich durch meine Forschungsgebiete und meine Medienkontakte eine starke Nähe zur praktischen Politik gewonnen habe, und das weithin überparteilich, hat mir die Möglichkeit gegeben, sehr, sehr nah dranzubleiben. Ich weiß, dass es böswillige Menschen gibt, die in mir einen schwarzen Teufel sehen. Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich ein in der Wolle gefärbter liberaler Pluralist bin, der parteipolitisch letztendlich nicht zu vereinnahmen ist.

Haben Sie einen wirklichen politischen Freund?

Nein. Ich hab' einen Freund, der in der Politik eine relativ prominente Rolle spielt. Den hab ich aber nicht als Politiker kennengelernt, sondern als Studenten, in einer Zeit, als wir beide nichts waren.

Schreiben Sie das Ihrer Rolle als Kritiker und Analyst zu, dass sich Freundschaften da fast ausschließen?

Das glaube ich nicht. Im Grunde ist das eher eine Folge meiner Lebensweise. Ich bin von Kindesbeinen an gewöhnt, nirgends richtig verwurzelt zu sein. Ich bin in Breslau geboren, in Unterfranken aufgewachsen und bis zu meinem zwölften Lebensjahr vier Mal umgezogen. Ich hatte immer den Spagat zwischen Studien- und Wohnort, seit 1991 bis heute bin ich ein Wanderprediger.

Sind Sie wegen ihrer Analysen schon offen angegangen worden von Ihrer Partei, der CSU?

Offen nein. Aber ich denke schon, dass es hintenrum heißt: Muss der schon wieder? Die Klügeren sagen: Ja wer denn sonst, seid's doch froh, der tunkt euch wenigstens nicht so rein, wie es ein anderer täte!

Haben Sie sich mit einer Analyse schon einmal grob vertan?

Ich bin mir sicher, dass ich mich mal vertan habe, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass man über diese lange Strecke immer nur recht haben kann.

Ihnen fällt kein Beispiel ein?

Nein. Ich hab zum Beispiel auch immer gesagt, die Grünen und die PDS sind keine Eintagsfliegen.

Und die Piraten?

Auch die nicht, weil sie ein Lebensgefühl einer nachwachsenden Generation ausdrücken, die alles andere tut, als sich der Organisationsform einer politischen Partei anzuschließen, wie wir sie kennen.

Sind die Parteien ein Auslaufmodell?

Parteien werden weiter existieren, aber sie werden mehr Movimentos werden, Bewegungen. Eben hat mich Stoiber wieder aufgeregt: Ja, wir müssen bloß mit Leidenschaft, sagt er. Aber die Leidenschaft interessiert niemanden. Die Leute wollen Angebote. Und natürlich Personen, in denen sie sich wiedererkennen, das ist der Guttenberg-Effekt zum Beispiel. Sie wollen Charisma, aber sie wollen, dass Glanz und Gloria ihnen einen gescheiten Sozialstaat zelebriert und ihnen Bildungsmöglichkeiten und wirtschaftliches Wohlbefinden gibt.

Ohne Stoiber verteidigen zu wollen - Leidenschaft ist so verkehrt nicht.

Das hat Max Weber schon gesagt, natürlich kann man sich diesem Gewerbe ohne Leidenschaft nicht aussetzen. Das ist ja, was ich erotisches Verhältnis genannt habe. Aber Leidenschaft alleine?

Norbert Lammert sagt, Oberreuter kann man nicht in den Ruhestand schicken. Ist da was dran?

Das Beobachten von Politik ist nicht an ein Amt gebunden, insofern ändert sich da nichts. Das zweite ist, dass ich noch die Ambition habe, den einen oder anderen Text zu verfertigen. Es gibt außerdem ein größeres wissenschaftliches Projekt, das ist die Federführung bei der Neuauflage des Staatslexikons. Ein Vorhaben, das mich fast schon in die Knie zwingt, weil es ein Engagement über Jahre bedeutet. Was ich auch machen will: Nächstes Jahr für ein Semester nach Amerika gehen und dort lehren. Insofern hat Herr Lammert schon recht.

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