Mehr politischer Einfluss war im Hochmittelalter für Frauen kaum denkbar. Gleich drei der Töchter von Berthold IV., Graf von Andechs und Herzog von Meranien, standen an der Spitze bedeutender europäischer Königshäuser: Agnes war französische, Gertrud ungarische Königin. Und Hedwig, die vor 850 Jahren in der Burg Andechs zur Welt kam und nach ihrem Tod heiliggesprochen wurde, verheiratete der Vater als Zwölfjährige mit dem designierten Herzog von Schlesien.
Gemeinsam mit ihrem Mann Heinrich I., der von 1201 an auch über immer größere Teile Polens herrschte, gestaltete Hedwig von Andechs europäische Immigrationspolitik. Um Schlesien wirtschaftlich aufzubauen, militärisch abzusichern und dem slawischen Einfluss zu entziehen, warben die Regenten gezielt deutsche Siedler an. Die vormalige Klosterschülerin und der ebenso fromme Herzog förderten zudem die Ausbreitung des Christentums im Land. 1202 etwa gründeten sie mit der Zisterzienserinnen-Abtei in Trebnitz das erste schlesische Frauenkloster.
Den Überlieferungen zufolge praktizierte das Herrscherpaar neben weiteren Ordensgründungen auch christliche Nächstenliebe: Es ließ Hospitäler bauen und rief Stiftungen für Aussätzige, Arme und Kranke sowie Witwen und Waisen ins Leben. Hedwig verschrieb sich der Askese und stellte dabei ihre eigenen Bedürfnisse zurück: Um ihre Demut zu zeigen, sei sie auch im Winter barfuß aufgetreten, heißt es. In der Hungersnot 1220 habe sie die Notleidenden eingeladen, sich an den Lebensmitteln ihres Kammerguts zu bedienen. Schließlich verschenkte sie gar ihren gesamten Besitz an die Kirche, um an ihrem Lebensabend pflegebedürftige Menschen zu versorgen.
Schon 24 Jahre nach ihrem Tod wurde Hedwig heiliggesprochen. Heute wird sie als Patronin von Andechs, Schlesien und Polen sowie der Bistümer Breslau und Görlitz verehrt. Wahrscheinlich hat dazu auch ihr schweres persönliches Schicksal beigetragen: Sie musste – je nach Quelle – vier oder fünf ihrer sechs oder sieben Kinder früh zu Grabe tragen; allenfalls Tochter Gertrud sollte die Mutter überleben. Ihre gleichnamige Schwester wurde Opfer eines Mordanschlags und Hedwigs Geburtshaus in Andechs zerstört.
Als Heinrich I. 1238 stirbt, mit dem sie sich in den letzten 22 Jahren ihrer Ehe zur Enthaltsamkeit verpflichtet hatte, tritt Hedwig ins Kloster Trebnitz, das erste Frauenkloster im Bistum Breslau, ein. Drei Jahre später findet auch ihr letzter Sohn den Tod: Heinrich II., Herzog von Schlesien und Princeps von Polen, fällt 1241 in der verheerenden Schlacht gegen die Mongolen bei Liegnitz. Der Legende nach muss die Mutter den enthaupteten Leichnam ihres Sohns identifizieren; sie erkennt ihn wieder, weil einer seiner Füße sechs Zehen hat.
Kurz vor ihrem Tod schenkt Hedwig noch dem Kloster ihr Kammergut – unter der Bedingung, dass dessen Einkünfte an ihre Tochter fließen, solange Gertrud lebt. Hedwig stirbt am 15. Oktober 1243 im Alter von 69 Jahren in Trebnitz, wo sie und ihr Mann noch heute bestattet sind. Ein kleiner Teil der gebürtigen Andechserin ist freilich ins Fünfseenland zurückgekehrt: Kardinal Bertram schenkte dem Kloster für den Reliquienschatz 1924 einen Splitter ihres Schädels.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Heilige Berg zur Pilgerstätte für gläubige Katholiken aus Schlesien, die Hedwig als Symbolfigur für ihre verlorene Heimat verehrten. Jahrzehntelang blieb Geflüchteten und Vertriebenen der Weg nach Trebnitz durch den Eisernen Vorhang verwehrt. Heute gilt die Heilige auch als Schutzherrin der Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen. Das ist wohl ganz in ihrem Sinne: Als Frischverheiratete in Schlesien bemühte sich Hedwig, Polnisch zu lernen, obwohl am Hof der jungen Fürstin Deutsch gesprochen wurde.
Hedwigs Einfluss auf das Geschehen in der schlesisch-polnischen Region ist kaum zu überschätzen
Wenngleich die Quellenlage zu manchen biografischen Details diffus ist, steht außer Frage, dass Hedwig zu den großen tragischen Frauenfiguren des Mittelalters zählt. In einer Zeit, als internationale Politik überwiegend auf dem Schlachtfeld oder vor dem Hochzeitsaltar vollzogen wurde, lässt sich ihr Einfluss auf das damalige Geschehen in der schlesisch-polnischen Region kaum überschätzen.
Im evangelischen Namenskalender ist Hedwig der 15. Oktober gewidmet, im römischen Generalkalender ist es der 16. Oktober. Aus Anlass ihres 850. Geburtstags findet an diesem Mittwoch um 18 Uhr ein Festgottesdienst in der Wallfahrtskirche Andechs mit Abt Johannes Eckert statt. Auch im Rahmen des 62. Europatags der Paneuropa-Union wird dort am Sonntag um 9.30 Uhr ein Festgottesdienst zu Ehren der heiligen Hedwig abgehalten; Zelebrant ist Dodë Gjergji, Bischof in Kosovo.