Süddeutsche Zeitung

Hechendorf:Der Kiebitz-Acker

Früher war das wenig aufregend, heute ist es eine Sensation: In Hechendorf brüten die selten gewordenen Vögel 20 Eier aus. Constanze Gentz tut alles, damit ihnen nichts passiert

Von Christine Setzwein, Hechendorf

"Kie-witt! Kie-witt! Kie-witt!" Aufgeregt fliegen fünf Kiebitze über dem Feld unterhalb des Hechendorfer Bahnhofs. Ist ja auch einiges los an diesem Donnerstagvormittag. Zeitungsjournalisten und Fotografen sind da, das Bayerische Fernsehen filmt, Vertreter des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) haben Spektive aufgestellt, und auch Seefelds Dritter Bürgermeister Oswald Gasser ist gekommen. Es ist ein seltenes Schauspiel, das ihnen geboten wird, eigentlich ein einmaliges, denn dass auf dem Acker fünf Kiebitzpaare jeweils vier Eier ausbrüten, "ist eine absolute Sensation im Landkreis Starnberg", sagt LBV-Vorsitzender Horst Guckelsberger.

Im vergangenen Jahr ist Constanze Gentz zum ersten Mal ein Kiebitz aufgefallen auf dem Feld in der Nähe ihres Hauses. Sie informierte den LBV. Von ihrem Vater bekam sie ein Spektiv geliehen, und seitdem beobachtet sie die schwarz-weißen Vögel, die Brut und die Aufzucht der Jungen mit der auffällig langen zweizipfligen Haube, die als Holle bezeichnet wird. Nur ein Junges kam durch. Dass es in diesem Jahr gleich sieben Gelege und fünf Brutpaare werden sollten, damit hatte sie nicht gerechnet. Umso mehr freut es sie. Und sie tut alles, damit den Kiebitzen nichts passiert. "Einer muss sich kümmern", sagt sie. Den Landwirt, dem das Feld gehört, konnte sie überzeugen, dass die Gelege abgesteckt werden und er drumherum eggt und sät. Er soll dafür von der Naturschutzbehörde auch für den Ernteausfall entschädigt werden. Sie weist Spaziergänger auf die Kiebitze hin, die ihre Hunde ins Feld lassen. "Die meisten sind sehr verständnisvoll und freuen sich, dass wir hier Kiebitze haben", sagt sie.

Hauptsächlich im April und Mai brüten die Vögel am Boden. Der Anbau von Wintergetreide ist daher ganz schlecht für sie. Es ist in diesen Monaten schon zu hoch. Denn Kiebitze brauchen offene, flache und feuchte Flächen, die - auch wegen der intensiv genutzten Landwirtschaft - immer seltener werden. So wie der Kiebitz selbst. "Von 1960 bis 2000 hat sich der Bestand halbiert und ist von 2010 an noch einmal dramatisch zurückgegangen", weiß Guckelsberger. Kiebitzeier waren früher eine Delikatesse und heiß begehrt, heute ist das Sammeln der Eier in der gesamten EU verboten. Seit 2015 steht der Kiebitz auf der Roten Liste gefährdeter Vogelarten.

Nachdem sich die erste Aufregung am Donnerstag bei den Bodenbrütern gelegt hatte, sind Eltern und Nachwuchs durch das Beobachtungsfernrohr gut zu sehen. Es sind etwa 20 frisch geschlüpfte Küken und wenige Tage alte Junge. Das weiß Constanze Gentz jetzt, denn kurze Zeit später, als der Landwirt zum Eggen und Säen kam, sind sie und Miriam Hansbauer vom LBV vor dem Traktor hergelaufen und haben die ganz jungen Vögel weggetragen. Die etwas älteren laufen selber weg, schließlich ist der Kiebitz ein Nestflüchter, der sich schon als Küken seine Nahrung selber sucht. "Das hat gut geklappt", sagt Gentz. "Das Schlimmste ist überstanden." Nach dem Eggen des Ackers finden die Vögel nun reichlich Insekten, Schnecken und Regenwürmer. Wie viele der Kiebitze flügge werden, bleibt abzuwarten. Da sind ja auch noch Füchse, Greifvögel oder Saatkrähen, die Jagd auf Kiebitze machen. Aus einem Schlüpfgewicht von 14 Gramm müssen in 40 Tagen 280 Gramm werden. Dann sind die Zugvögel flügge. Und kaum drei Monate später machen sie sich auf den Flug nach Afrika.

Kiebitze sind monogam, sie kehren zum Brüten auch meist an ihren Geburtsort zurück. Die Hechendorfer erwarten sie.

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Quelle:
SZ vom 19.05.2017
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