Hartmut Geerken in Grönland:Free-Jazz für die Inuit

Der Multi-Instrumentalist aus Wartaweil hat mit Musikerfreunden aus Dänemark eine zweiwöchige Tournee absolviert und sein Publikum mit Improvisationen in Bann gezogen

Von Wolfgang Prochaska, Wartaweil

Die Hauptstadt von Grönland heißt Nuuk und hat 12 000 Einwohner. Sie ist etwa so groß wie Herrsching. Dennoch unterscheidet sie sich bedeutend: Sie hat einen eigenen Flughafen und ein Kulturzentrum, das größer ist als das Flughafengebäude. Der Vergleich mit Herrsching ist insoweit wichtig, da Hartmut Geerken im Herrschinger Ortsteil Wartaweil wohnt und gut vergleichen kann. Denn Geerken hat nicht nur Grönland besucht, was heutzutage nichts Ungewöhnliches ist, der Schriftsteller, Herausgeber und Multi-Instrumentalist absolvierte auf der größten Insel der Welt mit Musikerfreunden aus Dänemark auch eine zweiwöchige Tournee. Das ist dann doch ungewöhnlich, vor allem wenn es um Free-Jazz geht.

Die große Frage heißt: Können die Inuit mit dieser Musik etwas anfangen? Die Inuit, das sind die Einwohner von Grönland, wobei der Wartaweiler bei seiner Tournee bemerkte, dass sich manche immer noch als Eskimos bezeichneten. Die Antwort: Ja, sie können. Drei große Konzerte zusammen mit einheimischen Musikern standen auf dem Programm, dazu zwei Workshops. Mit von der Partie war auch Pauline Lumholt, die Repräsentantin der dortigen Inuit-Musikszene, die bekannt ist durch ihren Trommeltanz, der aus gegenläufigen Rhythmen besteht. Multi-Instrumentalist Geerken musste sich auf dieser Reise allerdings bei den Musikinstrumenten beschränken. Im Koffer lagen ein Waterphone, eine tibetische Tube, ein Roll-Piano, einige Percussion-Instrumente und nicht zu vergessen die Metallzungen-Trommel. Die exotischen Dinge hat Geerken in jenen Jahren gesammelt (und gehört), als er noch beim Goethe-Institut angestellt war und in vielen Ländern der Welt deutsche Kultur repräsentierte, darunter in Kabul in Afghanistan und in Kairo. "Wo wir gelebt haben, habe ich mir Instrumente besorgt, um darauf zu spielen." Dazu muss man wissen, dass er ausgebildeter Pianist ist, den allerdings die Klassik, obwohl er mit Belá Bartok begann, bald zu langweilig wurde, um dann mit 20 Jahren bei Stockhausen zu lernen, der seine Art des Musikmachens "Intuitive Musik" nannte. Geerkens Interpretation des Free-Jazz ist von Stockhausens Musikauffassung stark geprägt, nur fügt der Wartaweiler poetische Elemente hinzu, indem er auf seine Umgebung eingeht und Töne dazu erfindet.

Hartmut Geerken in Grönland

Viel Pelz um die Ohren: In Grönland brauchten Hartmut Geerken und seine Frau Sigrid Hauff warme Kleidung, um sich draußen aufhalten zu können.

(Foto: Geerken/oh)

Die Formation, die auf Grönland-Tournee ging, hatte den Vorteil, dass sie seit vier Jahren Free-Jazz macht und daher ein eingespieltes Team darstellt, das trotz aller klanglicher Freiheit ein Ganzes ergibt. Zur Gruppe gehören der Drummer Kresten Osgood und der Gitarrist Snöleoparden, beide dänische Musiker. Die schwedische Filmemacherin Anna Eborn begleitete sie auf ihrer Tour durch Grönland und dokumentierte die Auftritte. "Wir haben vor dem Konzert kein Wort über den Auftritt gesprochen. Es war alles improvisiert", berichtet Geerken. Man kannte sich halt so gut, dass man vorher nicht viel reden musste. "Wir wurden mit einer Schar Vögel verglichen, die zu singen beginnt."

Ob in Nuuk oder im ganz kleinen Dorf Uummannaq, sie stießen beim Publikum auf großes Interesse. "Wir haben vor 200 Zuhörern gespielt." Geerken räumt aber ein, dass es auch an Pauline Lumholt lag, die auf Grönland ein Star ist. Ein ungewöhnliches Konzert war auch darunter: Weil sich Lumholt das Bein gebrochen hatte, musste der Auftritt in die Klinik verlegt werden. Gefallen hat es dennoch. Es geht halt nichts über Improvisation und Künstler, die dies beherrschen.

Geerken in Concert

Heiß ging es auf der Bühne zu: Geerken (re.) spielte zusammen mit Snoeleoparden.

(Foto: Geerken/oh)

Geerkens Frau Sigrid Hauff hat für ihren Mann die Auftritte mitgeschnitten. Wer sie sich auf dem Laptop ansieht, der erkennt sofort, wie viel Spaß es den Musikern machte, miteinander zu spielen, zu singen, zu brummen, zu jaulen, zu schreien: Es ist ein großes Fest der schrägen und tief menschlichen Töne. Und mittendrin ist Meister Geerken, der zwischendurch mal das Piano bedient, sozusagen als kleine Reminiszenz an die Harmonik, um sich dann neuen Improvisationen hinzugeben, die seine Mitspieler für sich aufgreifen, um das Spiel fortzusetzen. Es ist ein intellektuelles und gleichzeitig poetisches Spielen, geprägt vom Zusammenfließen von Tradition und Weltmusik, ganz im Sinne des kulturellen Weltenbummlers Geerken. Dass Pauline Lumholt, während sie sang und tanzte, bitterlich weinte, hat Geerken überrascht und um eine Erfahrung bereichert: "Die Inuit, so hat es mir Lumholt erklärt, wollen nur das Positive, aber wenn sie singen und tanzen auf der Bühne, können sie auch die anderen Gefühle zeigen."

Am Ende der Tournee, nach 17 Flügen mit kleinsten Flugzeugen und Helikoptern, nach Ausflügen in Dörfer, die 700 Kilometer nördlich des Polarkreises lagen, zogen Hartmut Geerken und seine Frau ein glückliches Fazit: "Es war ein anderer Planet."

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