Süddeutsche Zeitung

Gymnasium Tutzing:Ende einer Ära

Tutzing kann sich sein Gymnasium nicht mehr leisten und überlässt es dem Landkreis Starnberg, der Millionen in eine Sanierung stecken muss. Die 11 000 Quadratmeter Grund am See darf er nicht versilbern.

Von Manuela Warkocz

Das Ende dieses Schuljahres bedeutet in Tutzing auch das Ende einer Ära. Die Gemeinde gibt zum 1. August die Trägerschaft für ihr Gymnasium ab. Nach beinahe 70 Jahren übernimmt der Landkreis Starnberg die weiterführende Schule komplett. Der Vertrag, der die Übergabe des weitläufigen Schulareals direkt am Starnberger See samt aller Grundstücke, Gebäude und Inventar regelt, passierte den Gemeinderat ohne Gegenstimme. Auch ohne Diskussion. Zuvor war jahrelang heftig das Für und Wider debattiert worden, das die Abgabe der Sachaufwandsträgerschaft bedeutet. Der Landkreis wiederum öffnete seine Arme nur zögerlich für das neue Schulkind, das ihn in den nächsten Jahren für eine vereinbarte Generalsanierung Millionen Euro kosten wird.

Doch im März 2019 stimmte der Kreistag unisono für die Übernahme. Die Absegnung des Vertrags diesen Donnerstag im Kreisausschuss dürfte reine Formsache sein. Interessiert verfolgen andere Kommunen mit einem Gymnasium die Entwicklung wie Starnberg, Gauting und Gilching. Dort bezahlt der Landkreis weiterhin 90 Prozent der Investitionskosten für weiterführende Schulen, zehn Prozent übernimmt die jeweilige Gemeinde. Konkrete Übergabepläne sind dem Landratsamt aber derzeit nicht bekannt.

Ein Ort, der noch nicht mal 10 000 Einwohner hat, seit Jahren knapp bei Kasse ist, aber seit 1960 an seinem eigenen Gymnasium festhält - das war für Tutzing zuletzt einfach nicht mehr machbar. Personell nicht und finanziell erst recht nicht, zumal bei den Schulgebäuden einiges im Argen liegt. Das musste auch die CSU einsehen. Aus ihren Reihen kam lange erbitterter Widerstand, die Eigenregie für die renommierte Schule aus der Hand zu geben. Jetzt geht das Gymnasium Tutzing in Gänze an den Landkreis. Der Vertrag, der der SZ vorliegt, sieht vor, dass auch zur Schule gehörende Grundstücke mit insgesamt 10 771 Quadratmeter übertragen werden. Weil immer wieder laut befürchtet wurde, der Landkreis könnte die millionenschweren Seegrundstücke womöglich versilbern, ist eine Schutzklausel eingebaut. Gibt der Landkreis den Schulbetrieb auf, ist er zur Rückübertragung verpflichtet. Allerdings müsste Tutzing dann Wertsteigerungen ausgleichen, die etwa durch Aufstockungen oder Ersatzbauten entstünden. Diese Klausel gilt 25 Jahre lang nach Abschluss einer Generalsanierung, "über deren notwendige Durchführung sich beide Vertragsparteien" einig seien, wie es weiter heißt. Was "Generalsanierung" bedeutet, ist genau definiert: "Maßnahmen, die einer grundlegenden Überholung dienen und die Einrichtung auf einen baulichen Stand bringen, die sie im Fall einer Neuerrichtung aufweisen müssten." Die Neuerrichtung hält man eigentlich für notwendig, wird ausdrücklich betont. Neben dem Neubau eines Gymnasiums in Herrsching will sich der Landkreis aber sicher nicht ein zweites derartiges Großvorhaben ans Bein binden. Daher sind auch Teilsanierungen in Tutzing vertraglich zulässig.

Schwerpunkte sollen, wie aus dem Landratsamt verlautet, die Kalle-Villa mit ihrem seit Jahren gesperrten Balkon sein, der marode Südbau und die Turnhalle. Für diese Vorhaben hatte der Kreiskämmerer 2019 schon allein sieben Millionen Euro veranschlagt. Unterdessen wurde in der Behörde eine eigene Schulverwaltung aufgebaut mit einer Verwaltungskraft, einem Architekten für Bauprojekte in Tutzing und den Neubau der Fachoberschule Starnberg, einem Techniker und ab August auch noch einem Hausmeister.

Im Vertrag ist unter anderem auch geregelt, dass die Sporthalle örtlichen Vereinen zur Verfügung steht und die BRK-Bereitschaft Tutzing ihre unentgeltliche Interims-Unterkunft in der ehemaligen Hausmeisterwohnung des Gymnasiums zu räumen hat. Der Pachtvertrag aus dem Jahr 2009 für den Mittagstisch-Betreiber soll hingegen weiterlaufen.

Die Schulfamilie hofft, dass der Landkreis den Sanierungsstau zügig abbaut und die Ausstattung verbessert. Direktor Andreas Thalmaier begrüßt den "direkten Draht", den er jetzt zu Ansprechpartnern im Landratsamt habe, etwa zur Kämmerei und zum Architekten. Auch das Landratsamt betont den "engen, sehr guten Kontakt" und verspricht insbesondere zu Beginn der Übernahme regelmäßigen Austausch von Schulverwaltung und Schulleitung, zusätzlich zu den Schulforen ein- bis zweimal im Jahr.

Unterricht in Villen

Ein besonderes Flair direkt am Starnberger See hatte die Schule, die jetzt in die Obhut des Landkreises wechselt, von Anfang an. Vor fast 70 Jahren nimmt sie als Mädchen-Realprogymnasium Tutzing am 4. September 1951 in der exklusiven, heute denkmalgeschützten Kustermann-Villa den Unterricht auf. Sechs Klassen mit 125 Schülerinnen und 57 Schülern finden Aufnahme. Gleichzeitig gründet sich der Schulverein zur Förderung des Gymnasiums. Die Schülerzahl wächst rasch, so dass im Schuljahr 1956 die neu erworbene Kalle-Villa, ein heute ebenfalls denkmalgeschütztes repräsentatives Anwesen, ein Stückchen weiter nördlich am See bezogen wird. Zu Beginn des Schuljahres 1958/59 wird der nördliche Erweiterungsbau fertiggestellt. Die offizielle Bezeichnung der Schule lautet nun: Realgymnasium Tutzing. Im April 1961 tritt der Gründungsdirektor Johannes Salomon zurück. Er wird später zum Ehrenbürger Tutzings ernannt. 1964 ist der südliche Erweiterungsbau fertig. In den Jahren 1971 und 1973 werden zusätzliche Anbauten, unter anderem die Turnhallen, ihrer Bestimmung übergeben.

Das Gymnasium ist beliebt, mit den geburtenstarken Jahrgängen wächst die Schülerzahl 1974/75 auf 949. Schichtunterricht, Wanderklassen und Auslagerung sind die Folge. Vier Klassen müssen sogar im alten Volksschulgebäude unterrichtet werden.

Von 1992 bis 1996 wird die Schule auf dem weitläufigen Areal am See daher noch einmal erweitert und umgebaut. Im Jahr 2001 feiert das Gymnasium ausgiebig sein 50-jähriges Bestehen. Heute unterrichten 70 Lehrer die 750 Schülerinnen und Schüler. Im kommenden Schuljahr 2020/21 rechnet Direktor Andreas Thalmaier mit leicht steigenden Zahlen auf 770. Das Gymnasium bietet einen sprachlichen und einen wirtschaftswissenschaftlichen Zweig an, Interessierte können sogar segeln. manu

Als erstes, weiß Direktor Thalmaier, bekommt das Gymnasium eine neue elektronische Schließanlage für alle Außentüren, um den Sicherheitsvorschriften des Landratsamtes zu genügen. Auf der Wunschliste des Schulleiters ebenso wie des Elternbeiratsvorsitzende Gerald Huber steht ganz oben, dass der Landkreis bei der Realisierung des Digitalen Klassenzimmers hilft und bedürftige Schüler mit Leihgeräten unterstützt. "Die Gemeinde hat sich bei Vielem jahrelang Mühe gegeben", resümiert der Elternsprecher, "aber ein eigenes Gymnasium war halt ein Nostalgikum Tutzings."

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Quelle:
SZ vom 16.07.2020
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