Süddeutsche Zeitung

Gräfelfing:Problematische Erinnerung

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AfD-Bayernchef Martin Sichert nutzt ein Schüler-Interview für Propaganda - das Kurt-Huber-Gymnasium in Gräfelfing reagiert scharf.

Von Victor Sattler, Gräfelfing

Ein Facebook-Post von AfD-Bayernchef Martin Sichert hat am Wochenende dem Gräfelfinger Kurt-Huber-Gymnasium (KHG) viel Ärger eingebracht. Sicherts Bekenntnis darin gilt der Weißen Rose und ihrem Widerstand gegen die Nazis im Jahr 1942. Sichert zeigt sich auf einem Foto vor der Tür des Kurt-Huber-Gymnasiums, das nach einem Widerstandskämpfer der Weißen Rose benannt ist. Zu dem Foto schrieb Sichert auf Facebook, er komme gerade aus einem "spannenden Termin", bei dem er mit Schülern über die Weiße Rose gesprochen habe - und dass die Gruppe um Hans und Sophie Scholl sein persönliches politisches Vorbild sei, weil sie das System und seine Mitläufer damals so kritisch hinterfragt habe. Die Schule stellt es anders dar: Die Schülerinnen und Schüler eines P-Seminars hätten Sichert nur an ihre Schule eingeladen, um ihn für einen Radiobeitrag mit dem Vorwurf zu konfrontieren, seine Partei missbrauche die Erinnerung an die Weiße Rose. Was Sichert - der namentlich in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Verfassungsschutz-Gutachten genannt ist - mit seinem Facebook-Post aufgreift, stand schon auf einem Wahlplakat seiner Partei: "Sophie Scholl würde AfD wählen." Um das Plakat und den Vorwurf sei es in dem Interview gegangen, heißt es in der Reaktion des Gymnasiums. "Herr Sichert wiederholt genau diesen Missbrauch, zu dem er interviewt wurde", findet die Pfarrerin und Lehrerin Andrea Rückert, die auf Facebook zur Verteidigung ihrer Schule herbeigeeilt ist. Die Umstände seines Besuchs habe er ganz bewusst verkürzt dargestellt.

Über das Wochenende und via soziale Netzwerke verbreitet sich die Kunde wie ein Lauffeuer. Schüler und Schulabgänger versuchen, den Ruf ihrer Schule als Stätte der Weltoffenheit und Erinnerungskultur zu bewahren. "Ich kann es kaum fassen", schreibt einer und erinnert sich an seinen KZ-Besuch in Dachau als Schüler am KHG. Sicherts Umgang mit der Weißen Rose sei "eine Frechheit", schreibt eine Schülerin, sein Besuch an der Schule "eine Entwürdigung", pflichtet ihr eine Freundin bei. Andere sehen sich in ihrer Meinung über das Gymnasium nur bestätigt: Wird ausgerechnet an dieser Schule lax mit Rechten umgegangen? Das muss sich die Schule vorwerfen lassen.

Der Schneeball nimmt ungehindert weiter Fahrt auf, weil jedem Share mehr Shares folgen - aber auch weil Sichert alle kritischen Kommentare unter seinem Beitrag eilig löscht. Diesem Hin und Her lässt sich zuschauen. Einzelne Schülerinnen sagen, sie seien nach ihren kritischen Beiträgen von Martin Sichert blockiert worden. Sichert verweist diesbezüglich auf seine Mitarbeiter und erklärt, dass diese falsche Behauptungen löschen müssten.

Auf der Schul-Website wehrt sich das Gymnasium am Sonntag schließlich mit einem längeren Statement: "Wir sind empört!", schreibt Hans Schlicht als Stellvertreter der Schulleitung. Gegen die Instrumentalisierung durch die AfD verwahre man sich aufs Schärfste. Florian Ritter, der für die SPD im Landtag sitzt und ebenfalls ein Interview am KHG hatte, findet am Montag noch deutlichere Worte. Er nennt Sicherts Darstellung des Termins eine "offene Lüge", einen "Missbrauch" und eine "rechtsextreme Propaganda".

Der Leiter des Seminars, Lehrer Maximilian Kolmeder, seufzt derweil. Er sagt, heftige Reaktionen "waren schon irgendwie vorherzusehen", aber er steht zu der Idee der Schüler, alle Beteiligten zu Wort kommen zu lassen. "Herr Sichert hat es später verfälscht und irreführend dargestellt", sagt Kolmeder, "er hat den Kontext außen vor gelassen". Umgekehrt findet Martin Sichert die Darstellung der Schule verkürzt. Er veröffentlicht das Schreiben der Schüler, in dem diese die Parteien allgemein zu einem Gespräch über die Geschichte der Weiße Rose einluden. Das Thema "Missbrauch" sei erst später telefonisch kommuniziert worden, erklärt Kolmeder. In der Radiosendung für den Bayerischen Rundfunk wolle man nun auch aufarbeiten, was nach dem Interview geschehen sei.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2019
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