Süddeutsche Zeitung

Gorch Fock:"Das sind meine Freunde und wenn die mich brauchen, dann komme ich"

Lesezeit: 2 min

Der 76 Jahre alte Tscho Zintl aus Krailling hilft mit bei der Instandsetzung der Gorch Fock I in Stralsund. Er will miterleben, wenn das Schiff noch einmal die Segel hisst.

Von Carolin Fries, Krailling

Höhenangst kennt Tscho Zintl nicht, egal ob er im Gebirge unterwegs ist oder im Rigg eines Segelschiffs. Auf der Gorch Fock I, dem ersten Segelschulschiff der Reichsmarine aus dem Jahr 1933, klettert er in 42 Metern Höhe zwischen den Masten herum. Zuletzt hat er dem Topp eine bayrische Flagge aufgesetzt - ein Spaß und zugleich die Krönung seiner vierzehntägigen Arbeit auf dem Museumsschiff. Seit 16 Jahren beteiligt sich der 76-Jährige ehrenamtlich an der Instandsetzung des Dreimasters, reist jedes Jahr für ein paar Wochen von Krailling nach Stralsund, um mit anzupacken.

Bis vor zwei Jahren sei er selbst noch Regatten gesegelt, erzählt Tscho Zintl, der eigentlich Josef-Xaver Zintl heißt. 50 Jahre lang habe er zwischen Gardasee und Kiel alle möglichen Boote zu Wasser gelassen, um mit dem Wind zu fahren. Mit einem zwölf Meter langen Drei-Mann-Boot habe er sogar einmal den Atlantik gequert. Was er an Bord schätzt: Es funktioniert nur als Mannschaft, egal ob zwei Personen segeln oder mehrere Hundert. Diesen Zusammenhalt gebe es auch im Verein "Tall Ship-Friends", der das Traditionsschiff und damit ein Stück deutscher Geschichte 2003 vom ukrainischen Bildungsministerium erworben hat. Während des Zweiten Weltkrieges segelte die Gorch Fock unter der Deutschen Reichskriegsflagge, wurde aber 1945 versenkt, um sie nicht an die Rote Armee zu verlieren.

Nach dem Ende des Krieges wurde das Schiff als Reparationsleistung der Sowjetunion zugesprochen, nach der Auflösung der Sowjetunion ging das Schiff 1991 in das Eigentum der Ukraine über, aber schon nach zwei Jahren wegen Geldmangels deaktiviert. 1995 segelte die 82 Meter lange Bark zum letzten Mal, diesmal von Cherson nach Newcastle upon Tyne, wo private Sponsoren das Schiff reparieren wollten. Dieses Unterfangen scheiterte indes an den hohen Kosten. "Es braucht noch Millionen", sagt auch Tscho Zintl, die Takelage müsse ebenso erneuert werden wie die Elektronik. Demnächst stehe zudem wieder eine Bescheinigung der Schwimmfähigkeit an. Zintl glaubt fest daran, dass das Schiff eines Tages wieder Segeln kann. Deshalb entrostet, grundiert und streicht er - oder er erneuert das Tauwerk. "Das sind meine Freunde und wenn die mich brauchen, dann komme ich."

Und er gibt Vollgas, beginnt morgens um fünf mit der Arbeit und hört erst abends wieder auf. "Wenn ich etwas angefangen habe, dann bringe ich es auch zu Ende", sagt er. Er möge es einfach, wenn sich etwas rührt, sagt der gelernte Fotograf und Druckvorlagenhersteller, "das hält mich in Schwung". Er liebt die alte Mechanik, die noch mit der Hand bedient werden muss. Und die Vorstellung, dass ein so großes Schiff mit 200 Mann an Bord ohne Motor über die Meere gleiten kann.

Wenn er wie zuletzt nach zwei Wochen wieder nach Hause in Richtung Süden aufbricht, dann immer mit dem Versprechen: "Ich muss unbedingt wieder herkommen, es gibt noch so viel zu tun." Ja, er wolle es noch erleben, dass die Gorch Fock I, die jedes Jahr Tausende Touristen sowie einige Hochzeitspaare zur Trauung besuchen, noch einmal die Segel hisst. Dafür lässt er schon auch einmal den Urlaub mit seiner Frau sausen. Eigentlich nämlich wollten die beiden heuer in die Toskana fahren, dann kam der "Notruf" aus dem Norden, wie Zintl erzählt. Seine Frau Albertine, die früher ebenfalls selbst gesegelt ist, habe gesagt, er solle abhauen zu seinen Freunden. "Ich hab' halt Glück mit meiner Frau", sagt Zintl. Der Urlaub würde beizeiten nachgeholt.

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Quelle:
SZ vom 02.07.2019
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