Das Erstaunliche an Giora Feidman ist vor allem, dass er trotz weltweit aufflammender Kriege, Religionsfeindschaften und anderer Krisen nie aufgehört hat, an seine Mission zu glauben. Frieden und Völkerverständigung sind ihm auch auf seiner aktuellen Tour „Revolution of Love“ ein wichtiges Anliegen. In das voll besetzte Dießener Marienmünster kam er am Freitag unter Polizeischutz.
„So scheen in dem Tempel“, freute sich der Grandseigneur der Klarinette, nachdem er mit dem üblichen „Shalom chaverim“ zum Mitsingen den langen Weg durchs Marienmünster bis zum Altar zurückgelegt hatte. Inzwischen ist es ein beschwerlicher Weg für den 88-Jährigen, aber man ahnte schon, dass seine Kämpfernatur noch nicht zu Kompromissen bereit ist. Schon gar nicht beim Musizieren: Ist doch sein Spiel nach wie vor sicher und meisterhaft. In Spieltechniken und Ausdrucksvielfalt macht ihm bis heute niemand was vor.
Das galt auch für „The same Way to God“, das er mit der pusteintensiven Bassklarinette mit predigender Rhetorik in tiefen Lagen absolvierte, ohne außer Atem zu geraten. Auch wenn nach der Publikumsreaktion zu urteilen, die meisten gekommen waren, um Feidman als Klezmorim zu erleben, legte er den Schwerpunkt auf eine andere Musik. Fast alle Stücke stammen von dem Iraner Majid Montazer, der erst vor Kurzem an der Hamburger Musikhochschule mit dem Thema „Die Musikkultur im Iran seit der islamischen Revolution – Wie konfrontative Annäherung Verbot und Zensur überwindet“ den Doktorgrad erlangte. Hand in Hand und mit einer Umarmung demonstrierten Feidman und Montazer die Möglichkeit einer Freundschaft, von der die durch sie vertretenen Völker weit entfernt sind.

Auch wenn Feidmann in Buenos Aires geboren ist und von bessarabischen Juden abstammt, bekennt er sich zu Israel, wenn auch nicht zum aktuellen kriegerischen Gebaren. Krieg sei niemals eine Option zur Lösung von Konflikten, bekräftigte er unter zustimmendem Applaus. Feidmans Versöhnungsbemühung gilt auch den Religionen. „It is a privilege to be at home of God“, sagte er zu Beginn, um als Jude in einem christlichen Gotteshaus auch religiöse Stücke des Moslems Montazer zu spielen. Nicht alle Ansagen, in denen Feidman Englisch, Deutsch und Jiddisch mischte, waren deutlich genug zu verstehen, doch es war auch immer wieder von der Seele die Rede. Und darin war sich der Solist mit seinem E-Piano-Begleiter Vytis Šakūras einig.
„Für mich ist Musik eine Seelensprache“ sagte der Musiker aus Litauen in einem Interview. In dieser Aussage ist wohl auch die Überzeugung Feidmans zu suchen, dass man mit Musik etwas Gutes bewirken kann. Die Zustimmung des Publikums ist ihm da immer sicher, aber es sitzen ja nicht die Schuldigen in seinen Konzerten. „Böse Menschen haben keine Lieder“, schrieb der Dichter Johann Gottfried Seume schon 1798. Und das gilt heute mehr denn je.
Das Programm des Abends überraschte mit ungewöhnlichen Titeln. So etwa mit dem Ragtime „The Entertainer“ von Scott Joplin, mit dem Tango „Adios Nonino“ von Astor Piazzolla oder mit „Hallelujah“ von Leonard Cohen zum Mitsingen. Starke Emotionen, ob Freude, Leidenschaft oder Inbrunst, sind Feidmans Mittel, um seine Zuhörer zu fesseln und sie dazu zu bewegen, seine Botschaften nach außen zu tragen. Da erweist sich die Ausdrucksvielfalt des Klezmer wie des schwungvollen „Happy Nigun“ oder des schmissigen „Yossel Yossel“ als ideal.

Auch die Titel von Montazer wie „Revolution of Love“, „The Sound of Soul“, „Prayer for a Friend“, „Silent Heroes“ oder „The sweet Melody of Life“ standen dafür. Es sind immer große Themen, die variationsreich in Töne gesetzt waren. Manchmal narrativ mit viel Freiheit in der Ausgestaltung der Rhetorik, oft mit weitschweifender Melodik, heiter beschwingt oder melancholisch sinnierend, bisweilen auch rhythmisch beschwingt. Alles in dieser Musik schien Träger der Botschaft zu sein, die im Grunde auch die Diversität der Menschen postuliert.
Šakūras nutzte diesen musikalischen Ansatz für seine solistischen Einsätze besonders reichhaltig, etwa in Intros oder reinen Piano-Stücken wie „The Scent of Life“. Mal empfindsam und weit zurückgenommen, dann virtuos ausgestaltet mit fulminanter Tastenbravour. Leider dröhnte das elektronische Instrument etwas im halligen Münster. Ein Flügel wäre musikalisch ein Gewinn gewesen. Aber schließlich ging es hier um ganz andere Dinge. „Donna Donna“ gab es als mitgesungene Zugabe.