Süddeutsche Zeitung

Gilchinger Kulturwoche:Revolution und Blattgold

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Ecco Meineke eröffnet mit seinem Jazz-Quartett das Festival

Von Patrizia Steipe, Gilching

Das Wort ist eine Kombination aus "Liebe" und "Lebenszeit": "Liebenszeit" heißt das Motto der vierten Gilchinger Kunst- und Kulturwoche. Zum Auftakt gab es dazu passend einen Chanson-Abend. Schließlich verbindet kaum ein Genre Leben und Lieben besser als das Chanson. Aus dem Französischen übersetzt bedeutet es Lied, aber diese Übersetzung trifft den Kern nur bedingt. Ein Chanson ist viel mehr als Noten und Worte - es hat Sendungsbewusstsein, Leidenschaft, will Geschichten erzählen und Missstände aufzeigen. Es geht zwar in die Richtung Schlager, hat aber einen höheren Anspruch an Text und Aussage. Der Kulturbeauftragte der Gemeinde, Jakobus Ciolek, konnte für den Premierenabend das Ecco Meineke Quartett gewinnen. Der in München lebende Meineke (Jahrgang 1961), bekannt auch unter seinem Künstlernamen Ecco di Lorenzo, ist in vielen Genres daheim. Er spielt Gitarre, singt, komponiert, macht Jazz, Soul und Folk, tritt als Kabarettist auf und war jahrelang Mitglied der Münchner Lach und Schieß. Damit ist er quasi für Chansons, die ebenfalls von den unterschiedlichsten musikalischen Einflüssen geprägt wurden, prädestiniert.

Neben Meineke traten auf der Bühne im neuen Rathaus der begnadete Pianist Andy Lutter, Tim Collins (Schlagzeug und Vibrafon) und Alex Haas (Kontrabass) auf. Einen Großteil der Stücke haben Meineke und Lutter selbst geschrieben. Es standen aber auch Klassiker von Georg Kreisler oder eine Hommage an den vor Kurzem verstorbenen französischen Chansonnier Charles Aznavour auf dem Programm sowie ein Vorgeschmack auf das neue Album "Blattgold". Das Release-Konzert ist am 8. Januar 2019 im Münchner Lustspielhaus. Das Quartett trug nachdenkliche, lyrische Lieder vor - oft mit einer Prise schwarzen Humors, Selbstironie und mit viel Poesie gewürzt. "Wir sind die Opfer der Wirklichkeit", singt der Liedermacher beispielsweise. Und: "In der Garderobe schläft die Revolution". Wunderschöne Phrasen des Wortakrobaten, die man sich auf der Zunge zergehen lassen möchte. "Hüpfe, meine Schöne, hüpf!" aus der Feder von Andy Lutter hat mitreißenden Salsarhythmus, andere Stück erinnern an Kurt Weill, manch eine Melodie hat Ohrwurmqualität, andere glänzen durch jazzige Disharmonien.

Die Ideen zu seinen Liedern kämen ihm im Alltag, erzählte Meineke: wenn er von den Söhnen zur Untätigkeit verdammt am Bolzplatz im Tor steht, wenn er über den Südfriedhof spaziert oder auch im Hochbett liegt. "Besonders schöne Chansons handeln von trauriger Liebe", sagt Meineke und zieht daraus Lebensweisheiten wie "Weinen macht stark" und Liebeskummer sei wie Muskelkater "nur viel schlimmer". Bevor das Publikum die Taschentücher zücken musste, schwenkte er von Moll auf Dur und sang von der Midlifecrisis. "30 +, gut im Schuss, fun und fit, komm mach mit", kalauert der 57-Jährige und variiert den Refrain mit "40 +" und "50 +".

Als Zugabe gab es ein Stück, das Meineke für den Südfriedhof in München geschrieben hat. Das Motto "Liebenszeit" kam bei seinen beschaulichen Beschreibungen von verwitternden Grabstellen, gelben Blüten und Eichhörnchen am Kiesweg perfekt zur Geltung und gipfelte in den Worten "Freiheit, Freiheit, versprich mir, dass du immer bleibst".

Die 4. Gilchinger Kunst- und Kulturwoche dauert bis 21. Oktober. Infos unter www.kulturwoche-gilching.de.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2018
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