Gilching:Reife statt Raserei

Gilching CPG: Pianist Wolfgang Leibnitz

Die Nostalgie im Blick: Pianist Wolfgang Leibnitz bei seinem Recital.

(Foto: Nila Thiel)

Altmeister Wolfgang Leibnitz legt bei seinem Klavierabend in Gilching feinsinnig die musikalischen Botschaften von Brahms, Grieg und Beethoven offen

Von Reinhard Palmer, Gilching

Seine 82 Jahre scheinen ihm nichts anhaben zu können. Die Interpretationen von Wolfgang Leibnitz gehen immer weiter in die Tiefe, lassen sich nicht von oberflächlichem Glanz beirren und zielen konsequent auf den reinen Ausdrucksgehalt ab. Nachdem Leibnitz ohnehin nie betont extrovertiert oder extravagant auftrat, ändert es in seiner Haltung nicht viel, wenn er nun mit Noten spielt - zumal er sie in der Aula des Gilchinger Gymnasiums zu Gast beim Kunstforum doch meist gar nicht brauchte.

Die Herausforderungen ändern sich mit dem Alter, sie sind zunehmend mit dem emotionalen Hintergrund verbunden. Das gilt für Musiker ganz besonders, sonst wäre auch keine bedingungslose Hingabe möglich. Wolfgang Leibnitz sucht seine Herausforderungen nun weniger in der virtuosen Brillanz etwa der Werke von Liszt oder Chopin, auch wenn die Chopin-Zugabe zeigte, dass er weiterhin bravourös zu spielen vermag. Doch diese Eigenschaft stand im Programm nicht im Vordergrund, sondern im Dienst der musikalischen Aussagen.

Vor allem im zweiten Teil mit Werken von Brahms sollte dieser Zugriff deutlich werden. Brahms zog sich in seiner Spätphase am Klavier in die kleinen Formen zurück. So eben in den Dreierzyklus der Intermezzi, die er selbst als "Wiegenlieder meiner Schmerzen" bezeichnete. In der Tat, sie sind in ihrem Ausdruck der Vereinsamung des 59-jährigen Komponisten von höchster künstlerischer Aufrichtigkeit. Leibnitz fand aber darin auch einen nostalgischen Ton, ein seelentief berührendes Nachtrauern, das vergangenen Zeiten galt. Der melancholische Grundton hellte sich selten auf, blieb vielmehr der sinnierenden Lyrik treu.

Ein solcher Blick zurück ist auch Thema in Griegs Suite "Aus Holbergs Zeit", die Leibnitz konsequent im spätbarocken Stil interpretierte, eben ohne die nordische Elegie zu bemühen. Bisweilen geht es darin recht virtuos zu, so bereits im beginnenden Praeludium oder zum Schluss im Rigaudon. Leibnitz interessierte vor allem der nostalgische Kontext, der selbst in den vitalen Sätzen nur verhaltene Heiterkeit erlaubte. Die sanglich empfindsame Sarabande und die lyrisch zarte Air gewannen mit ihrer substanzvollen Sanglichkeit an Gewicht. Erst der Rigaudon sollte nach spritziger Leichtigkeit und sinnierendem Mittelteil so etwas wie Ausgelassenheit erleben, bevor der Vorhang in breiter Feierlichkeit fiel.

Die spieltechnischen Ausprägungen seiner Interpretationen reduzierte Leibnitz aufs Wesentliche, verlagerte sich dabei eher in die leisen Register. Die Differenzierung wurde dadurch allerdings nicht geschmälert; sie setzte vielmehr auf Feinsinnigkeit, Klarheit und Transparenz. Sehr deutlich fiel dies im Kontrastprogramm bei Beethoven aus. Dessen Hell-Dunkel-Relief büßte daher nichts von seiner Ausdruckstiefe ein. Die dritte Sonate aus seinem Haydn gewidmeten Opus 2 kam Leibnitz im Ansinnen entgegen: aus der Reduktion des Grundmaterials auf einen winzigen Nukleus - eine Triller-Figur - ein großes, viersätziges Werk zu entwickeln. Das Kontrastpaar, aus dessen Varianten Beethoven unentwegt starke Wirkungen gewann, prägte Leibnitz einerseits perlend-virtuos, andererseits sinnierend-träumend und ausgesprochen lyrisch aus. Entscheidend war dabei, dass sich die Gegensätze in der Gewichtung die Waage hielten. Zurücknahmen konnten sehr extrem ausfallen, dann in den melodiösen Passagen betörend schön fließen, wie bereits im Kopfsatz. Die gebetsähnliche Andacht des Adagios stand der deutlich akzentuierten Staccato-Heiterkeit des Scherzos mit einem üppig wogenden Trio gegenüber. Im Schluss-Allegro perlte es virtuos und rasant bis zu einem spannend inszenierten Finale.

Die Variationen und Fuge über ein Thema von Händel B-Dur op. 24 von Brahms sollten Leibnitz die Möglichkeit geben, abschließend aus dem Vollen zu schöpfen. Was Brahms aus dem an Melismen reichen Filigran des strahlenden Themas herausholte, könnte nicht fulminanter sein. Leibnitz ließ sich jedoch nicht zum Protzen hinreißen, sondern spürte in jeder Variation mit höchster Konzentration der spieltechnisch codierten musikalischen Botschaft nach. Hier weitete sich wirkungsvoll das Ausdrucksspektrum, und Leibnitz griff jede Ausprägung sorgfältig und geistreich auf. Der weite dramaturgische Bogen ging gänzlich auf und kulminierte in der monumentalen Tektonik der beeindruckenden Schlussfuge. Viel Bewunderung und lang anhaltender, begeisterter Applaus.

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