Musikschule Gilching:Die Frau, die das Ballett nach Gilching brachte

Musikschule Gilching: Ein letztes Mal Vorhang auf: Hannelore Husemann-Sieber hört nach 46 Jahren auf.

Ein letztes Mal Vorhang auf: Hannelore Husemann-Sieber hört nach 46 Jahren auf.

(Foto: Georgine Treybal)

Als Hannelore Husemann-Sieber die Ballettabteilung der Musikschule Gilching gründet, ist die filigrane Tanzform in der Münchner Peripherie kein großes Thema. Das hat sich geändert, auch wegen ihr. Nun geht sie nach 46 Jahren in den Ruhestand.

Von Linus Freymark

Bevor sie angefangen hat, war Ballett kein großes Thema. In den großen Städten schon, klar, in München zum Beispiel. Aber in Gilching? Diesem leicht verschnarchten Münchner Vorort? "Klassisches Ballett gab's in Gilching nicht", sagt Hannelore Husemann-Sieber. Heute hat sich das geändert, die Gilchinger kommen inzwischen gerne, wenn die Ballettabteilung der Musikschule einen Auftritt hat und dass dem so ist, dafür hat es seine Zeit gebraucht - und sie, Hannelore Husemann-Sieber. 1976 hat sie die Ballettabteilung der Musikschule Gilching aufgebaut und bis heute geleitet. Ende Februar wird das vorbei sein. 46 Jahre gehen dann zu Ende. Beinahe ein halbes Jahrhundert.

Die Geschichte von Hannelore Husemann-Sieber in der Musikschule beginnt am 1. April 1976, einem Donnerstag im Pfarrsaal St. Sebastian. Sie hat im Vorfeld viel Werbung dafür gemacht, 88 Kinder und Jugendliche meldeten sich an. Seitdem bringt Husemann-Sieber ihren Schülerinnen und Schülern Schritte bei, kümmert sich um das Organisatorische, plant Aufführungen. Die Choreografien schreibt sie selbst. Auch jetzt noch, mit 82 Jahren. An der letzten zur Musik des französischen Komponisten Erik Satie saß sie ein Jahr lang.

Musikschule Gilching: Husemann-Sieber hat für das Kinderkonzert "Spaß mit Musik von Erik Satie" mit Mädchen der Musikschule Gilching ausdrucksvolle Tänze einstudiert.

Husemann-Sieber hat für das Kinderkonzert "Spaß mit Musik von Erik Satie" mit Mädchen der Musikschule Gilching ausdrucksvolle Tänze einstudiert.

(Foto: Georgine Treybal)

Jeden Schritt hat sie aufgeschrieben, in ein dickes Notizbuch hat sie neben jeder Notenzeile die einzelnen Anweisungen notiert, "Füße parallel, Arme seitwärts" steht da zum Beispiel. Unter den Noten steht die Zählweise, die es braucht, damit Tänzer und Musik synchron sind. "Wenn man Leute zur Musik bewegen will, muss man das einteilen", erklärt Husemann-Sieber. "Sonst funktioniert das nicht." Und auf die Teamleistung kommt es an. Die Musiker, die Tänzer - alle zusammen schaffen auf der Bühne etwas Gemeinsames. Deshalb ist sie dankbar für die vielen Begegnungen. "Ohne diese großartigen Leute wäre das alles gar nicht gegangen." Sie weiß das. Sie tanzt ja schließlich fast schon ihr ganzes Leben lang.

Genauso lange begleitet sie die Musik und um das festzustellen, reicht ein Blick ins Wohnzimmer von Husemann-Sieber und ihrem Mann Gernot Sieber. Hier der Flügel, dort der Stuhl am Esstisch mit Steinway & Sons-Tuch über der Lehne. Durch die großen Fenster spitzt die Wintersonne herein und irgendwie passt das viele Licht zur Stimmung in dem Haus. Denn Husemann-Sieber und ihr Mann gehören zu jenen Menschen jenseits der 80, die einem ein bisschen die eigene Angst vor dem Altern nehmen. Zwei, die sagen, dass das Leben aus Höhen und Tiefen besteht. Aber die eben auch sagen, dass es so in Ordnung ist, wie es gekommen ist.

Hannelore Husemann-Sieber ist am 1. September 1939 in München geboren. An diesem Tag marschierten die Deutschen in Polen ein, im Radio brüllte Adolf Hitler herum und vertat sich vor lauter Kriegseuphorie in der Uhrzeit. Nach dem Krieg, Husemann-Sieber war neun Jahre alt, schickte ihre Mutter sie das erste Mal in die Staatsoper. Die kleine Hannelore war ein lebhaftes Kind, dauernd tobte sie irgendwo herum. "Ich bin denen zuhause auf den Wecker gegangen", sagt Husemann-Sieber. Also ab zum Tanzen. Am ersten Tag musste sie vortanzen, sie weiß es noch, als wäre es gestern gewesen: einen Fantasietanz sollten sie aufführen, das Thema: "Ein Blatt im Winde". 100 Kinder tanzten, nur fünf werden genommen. Sie war darunter. Fünf-, manchmal sechsmal die Woche fuhr sie von ihrem Elternhaus in Obermenzing ins Nationaltheater. Das Gebäude hatte im Krieg eine Bombe abbekommen, "Volltreffer", sagt sie. Die Fenster waren kaputt, im Winter mussten die Kinder Holz zum Heizen mitbringen. Trotzdem sagt Husemann-Sieber: "Es war immer schön."

Husemann-Sieber gefällt es, wenn Menschen Neues ausprobieren. Deshalb liebt sie ja auch Schönberg so

Nach dem Abschlussexamen in Theatertanz und zehn Jahren im Bayerischen Staatsoperballett zog Husemann-Sieber in den 70er-Jahren nach Gilching. Sie war damals alleinerziehend und brauchte eine Arbeit, mit der sie nebenbei die Kinder versorgen konnte. Als Tänzerin ging das nicht, "da arbeiten Sie rund um die Uhr". Also studierte sie Ballettpädagogik, um ihre Schüler unterrichten zu können und gründete die Ballettabteilung der Musikschule.

Hätte es nicht einfachere Möglichkeiten gegeben, Geld zu verdienen? Bestimmt, sagt sie. "Aber ich konnte ja nichts anderes." Für die Musikschule war das ein Glücksfall. Husemann-Sieber hat ihre Schüler nach dem Konzept der Royal Academy of Dance unterrichtet, wo es zwar regelmäßige Prüfungen gibt, der Spaß aber trotzdem nicht zu kurz kommen soll. Es ging ihr ja auch nie nur um Leistung. "Das ist richtig schöner Unterricht", sagt sie. Wenn jemand ehrgeizig war, gut, ein paar ihrer Schülerinnen sind professionelle Tänzerinnen geworden. Aber wenn nicht, auch gut. Hauptsache, die Kinder hatten Spaß und wurden so gefördert, wie sie es wollten und konnten. "Wir nehmen alle Kinder."

Musikschule Gilching: Hannelore Husemann-Sieber und ihr Mann Gernot geben in Corona-Zeiten via Telefon und Zoom auch Unterricht von zu Hause aus.

Hannelore Husemann-Sieber und ihr Mann Gernot geben in Corona-Zeiten via Telefon und Zoom auch Unterricht von zu Hause aus.

(Foto: Nila Thiel)

Das Tanzen und die Musik, ach ja, die Musik. Klavier hat sie schon immer geliebt. Aber am meisten angetan haben es ihr die Künstler der Moderne. Erik Satie eben zum Beispiel oder Arnold Schönberg - experimentierfreudige Sonderlinge, denen ihre Zeitgenossen oft mit Argwohn begegneten, weil sie nicht viel mit deren Minimalismus und atonalem Ansatz anfangen konnten. Husemann-Sieber aber gefällt das gut, die Menschen seien meist sowieso viel zu sehr auf das aus, was ihnen vertraut ist, sagt sie. "Aber das ist nicht gut." Sie und ihr Mann Gernot Sieber - den sie übrigens bei einem Schönberg-Projekt kennengelernt hat, wo auch sonst - versuchen deshalb, mit dem technischen Fortschritt zu gehen. Toll, was man heute mit dem Computer alles machen kann, sagt sie.

Als die Pandemie kam, hat sie über Zoom unterrichtet. "Da habe ich in den Computer reingebrüllt." Aber es hat funktioniert. Und sie hatte ja auch kaum eine andere Wahl, als sich mit den neuen Möglichkeiten vertraut zu machen. Das Tanzen hat sich kaum verändert, aber das Drumherum eben schon, erst die Technik, dann das neue Leben unter Corona-Bedingungen. Es war nicht immer einfach. Aber immer schön. Sonst hätte Hannelore Husemann-Sieber das ja auch nicht bis jetzt gemacht.

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