Auf den ersten Blick käme wohl kaum jemand auf die Idee, wie viele Ähnlichkeiten die beiden Männer aufweisen: Der eine, Michael Jakob-Widmann, ist groß, eher ein wenig stämmig – kurz: einer, den der Bayer ein „stattliches Mannsbild“ nennen würde. Der andere ist im Vergleich dagegen eher recht schlank. Hochgewachsen würde man ihn auch nicht nennen. Er heißt Philipp Do – was bereits auf dem Umstand verweist, dass seine familiären Wurzeln in Vietnam liegen: „Dabei ist der Philipp aber bayerischer als viele andere“, betont Michael Widmann. Philipp Do ist in Salzgitter geboren worden und spricht lupenreines Hochdeutsch: „Ich kann aber auch anders, ich bin ja in Fürstenfeldbruck aufgewachsen“, sagt er selbst.
Der Hinweis auf bayerisches Denken und Fühlen von Jakob-Widmann kommt nicht von ungefähr und liegt in dem, was die beiden Menschen in gewisser Weise verbindet: Ein echtes bayerisches Wirtshaus, das die Familie des einen 160 Jahre lang geführt hatte – und das der andere nun übernehmen wird. Die Rede ist vom „Gasthof Widmann zum oberen Wirt“, wie dieser korrekt heißt, auch wenn jeder, der das Lokal kennt, es bislang nur „den Widmann“ genannt hat.
Doch damit wird es spätestens am 29. August vorbei sein. Dann wird Philipp Do das Lokal offiziell nach einer Sommerpause von drei Wochen übernehmen und es wird dann nur noch „Zum oberen Wirt“ heißen. Und natürlich drängt sich just an diesem Punkt die Frage auf, warum jemand einen Betrieb nach 160 Jahren in Familienbesitz aufgibt? Einen Betrieb, den Michael Jakob-Widmann selbst 20 Jahre geführt hat, nach mehreren größeren Umbauten und Renovierungen?
Jakob-Widmann ist jetzt 41 Jahre alt. Er beteuert, immer schon gesagt zu haben, dass er den Gasthof nicht ewig führen werde. Dass er sich jetzt zum Aufhören entschlossen habe, liege an der Augustiner Brauerei – womit man sich mitten in einer weiteren Gemeinsamkeit der beiden Herren findet: In ihrer Abneigung – nennen wir es ruhig mal so – Konzernen gegenüber. Auch wenn das keiner der beiden Männer direkt so benennen würde, sprechen ein paar Tatsachen doch dafür: 92 Jahre lang wurde der Gasthof Widmann nämlich von Löwenbräu beliefert. Die Brauerei gehört aber seit 2004 zu Anheuser-Busch InBev, eine der weltweit größten Brauereien. „Ein Konzern“, wie Jakob-Widmann sagt. Und da habe sich im Laufe der Zeit nun einmal vieles geändert – was ihm offensichtlich nicht so ganz behagte. Deshalb habe er sich für die Münchner Augustiner-Brauerei als Bierlieferanten entschieden. Das sei recht klug gewesen, meint er noch.
Essen und Trinken im Landkreis Starnberg:160 Jahre in einer Familie
Eigentlich war der heutige Gasthof einst einmal eine Kramerei, in deren unmittelbarer Nachbarschaft die Dorfschmiede angesiedelt war. Michael Jakob-Widmann weiß das alles sehr genau: In Coronazeiten hatte er viel Zeit, sich mit der ...
Auch der 33 Jahre alte Philipp Do hat bereits Konzernerfahrungen gesammelt. Er ist eigentlich studierter Wirtschaftsingenieur und absolvierte einst bei einem Münchner Großunternehmen ein Praktikum: „Mein Chef wollte mich dann unbedingt haben, ist auf jede Forderung eingegangen, die ich hatte – denn unbedingt wollte ich nicht zu einem Konzern.“
In die Gastronomie kommt er über seinen Vater Trong Bin Do, der allein 15 Jahre als Küchenchef im Bürgerhaus Emmering im Nachbarlandkreis Fürstenfeldbruck gearbeitet hat, bis er dieses vor drei Jahren als Wirt übernommen hat. „Ich habe meinen Vater seither immer tatkräftig unterstützt.“ Eines Tages hätten sich Vater und Sohn bei Augustiner vorgestellt, mit einer Anfrage im Kopf: Wenn es irgendwann, in „ein, zwei, drei Jahren mal ein Objekt gäbe, sollte die Brauerei dann doch bitte an sie denken“. So erzählt es Do. Die Brauerei dachte – und zwar recht schnell.
Nur wenige Wochen seien dann vergangen, bis sich Augustiner gemeldet habe. Der „Michi“, wie Michael Jakob-Widmann in Gilching viele nur kurz und knapp nennen, hatte mit der Brauerei über sein Objekt verhandelt und war sich handelseinig geworden. Augustiner, schon immer auf der Suche nach Wirtschaften im Münchner Umland, pachtete also den Gasthof Widmann und suchte einen Wirt. Als Michael Jakob-Widmann Philipp Do kennenlernt, war er begeistert: „Ich hab’ zum Dr. Leibhard gesagt: Das ist unser Mann.“ Martin Leibhard ist seit 2014 Geschäftsführer bei der Augustiner-Brauerei, er war damals dem tödlich verunglückten Jannik Inselkammer nachgefolgt.
Die Begeisterung Jakob-Widmanns rührt sicherlich aus persönlicher Sympathie, aber eben auch aus den vielen ähnlichen Erfahrungen. Wie der Gasthof Widmann beschränkt man sich im Bürgerhaus Emmering auch nicht nur auf die Bewirtung von Gästen mit bayerischen Gerichten – wenngleich dieser Küchenstil künftig auch im „Oberen Wirt“ eine maßgebliche Rolle spielen wird. Beide Lokalitäten verfügen über eine große Menge an Stammklientel, beide über Veranstaltungsbühnen, die ebenfalls bewirtet werden müssen. Im Gasthof Widmann hat seit 2015 mit „Moni’s Brettl“ eine namhafte Kleinkunstbühne ein Dach. Bei Monika Rother, wie die „Kulturmoni“ im wirklichen Leben heißt, treten regelmäßig bekannte Kabarettisten auf, wie zum Beispiel Luise Kinseher, Claus von Wagner oder Simone Solga.
Als sie vom Schlussstrich hörte, den Michi Jakob-Widmann unter seine Gastronomie-Ära ziehen wollte, reagierte auch sie schwer geschockt. „Ich war erst einmal am Boden zerstört: Der Michi war für mich und meinen Mann Rolf-Dieter, der seit 245 Veranstaltungen die Technik macht, unsere engste Bezugsperson.“ Und nachvollziehbarerweise dachte sie zunächst, sich erneut eine neue Heimat für ihre Bühne suchen zu müssen. Dreimal war dies bereits der Fall: Von „Raabes Wirtshaus“ in Steinebach, dessen einstigen und mittlerweile gestorbenen Eigentümer Tiger Willi sie gemanagt hat (bis 2011), in den „Alten Wirt“ in Etterschlag (bis 2015) und schließlich dann nach Gilching in den Gasthof Widmann. Sie ist nun überglücklich, dass auch Philipp Do mit ihr und ihrem Mann „an einem Strick zieht“, wie sie es nennt. Und dass ihr auch „der Michi“ erhalten bleibt: Er will ihre Veranstaltungen zumindest anfangs noch betreuen, ab und zu bei einem der beiden Theaterbühnen, die ebenfalls im künftigen „Oberen Wirt“ wieder auftreten, mitspielen und auch sonst immer wieder anwesend sein: Als Gast, wie er sagt. Und eben als Berater für Philipp Do, „wenn der mich braucht.“ Über den Gasthof und seine Mitarbeiter – die allesamt übernommen werden – gebe es schließlich viel zu wissen: „Das alles kann ich ihm nicht in wenigen Wochen erklären.“