Gilching:Faszinierendes Indien

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Die Partnerschaft des Christoph-Probst-Gymnasiums mit südasiatischen Schulen bestand bisher vor allem aus persönlich überbrachter Korrespondenz. Nun kommen erstmals zwei Frauen aus Kalkutta nach Gilching und stellen den Jugendlichen ihr Land vor

Von Christiane Bracht, Gilching

Bilecha ist sofort Feuer und Flamme: Einmal so prächtig und hübsch aussehen wie eine Inderin, das gefällt ihr. Aber wie geht das, nur mit einem unglaublich langen Tuch? Die meisten von Bilechas Klassenkameradinnen am Gilchinger Christoph-Probst-Gymnasium trauen sich nicht, sich so verkleiden zu lassen. Doch Bilecha zögert nicht, als die Lehrerin fragt. Sie will sich ihren Mädchentraum erfüllen. Schließlich hat ein Sari ein bisschen was von Tausend und einer Nacht - ein Hauch von Abenteuer, fremd und doch wunderschön. Rusha Mitra greift zum lila-goldenen Stoff. Sie zeigt den Mädchen, wie es geht.

Die 42-Jährige ist aus Kalkutta und trägt selbst einen gelben Sari. Sie ist nach Deutschland gekommen, um soziale Projekte in ihrer Heimat voranzutreiben. Zusammen mit ihrer Kollegin Aparjita Ghosh arbeitet sie für die Indienhilfe in Herrsching. Während ihres Aufenthalts haben die beiden zahlreiche Besprechungen, bei denen es um Organisation und Möglichkeiten bestimmter Projekte geht und natürlich auch ums Geld. Doch Mitra und Ghosh nehmen sich trotz ihres gedrängten Terminplans zwischendrin zwei Tage Zeit, um das Gilchinger Gymnasium zu besuchen. Im Unterricht wollen sie den Jugendlichen ihr Land näher bringen. Und die Teenager sind begeistert. Sie haben viele Fragen an die beiden Frauen.

Rusha Mitra und Aparjita Ghosh erzählen über ihre Heimat Indien. (Foto: Arlet Ulfers)

"Was bedeutet eigentlich der rote Punkt auf der Stirn?", will ein Junge wissen. Die Inderinnen lachen. "Er ist das dritte Auge", erklärt Ghosh auf Englisch. "So kommt die Kraft des Universums auf Dich nieder. Aber den Punkt gibt es in verschiedenen Farben." Mitra hat einen schwarzen zwischen den Augenbrauen. "Und wenn der Punkt am Haaransatz ist, ist er ein Symbol dafür, dass man verheiratet ist", sagt Ghosh. "Und Yoga? Ist das Teil Eurer Religion?", fragt ein Mädchen. Nein. Die beiden grinsen. "Es ist sehr beliebt und eine gute Übung für Körper und Geist, aber mit Religion hat das nichts zu tun." Sie selbst, gesteht Ghosh, macht kein Yoga.

Die Siebtklässler staunen, können es kaum fassen, als Mitra ihnen erklärt, dass 1,2 Milliarden Menschen in ihrer Heimat leben und dass es viele verschiedene Sprachen gibt. Die offizielle ist Hindi. Mit Englisch kommt man zwar auch ganz gut durchs Land, aber in den Dörfern wird es schwierig, denn dort spricht niemand Englisch. Indien ist ein riesiges Land, aber nicht sehr homogen. "Fast so wie die Länder Europas", vergleicht Mitra. So ist die Art sich zu kleiden oder Essen zuzubereiten von Gegend zu Gegend sehr unterschiedlich. Manchmal ist Mitra nicht so leicht zu verstehen, der indische Akzent ist eben kein Oxford-English. "Wir Westbengalen betonen anders", räumt Mitra ein. Doch die Schüler hören ihr gebannt zu.

Englischlehrerin Karin Degenhart hat sie in die Schule eingeladen. (Foto: Arlet Ulfers)

Als sie Bilder von einer Dorfschule zeigt, in der die Kinder alle in einem Raum auf dem Boden hocken und lernen, wird es plötzlich ganz ruhig in der Klasse. Betroffenheit macht sich breit. Einem Schüler entfleucht ein gehauchtes "Alter". Mitra und Ghosh erklären, dass die Kinder in den Schulen täglich kostenlos Essen bekommen, vor allem nahrhaftes. Denn einige Schüler kommen aus so armen Verhältnissen, dass sie einen echten Hungerbauch haben. Aber das ist nicht überall so: "In den Städten sehen die Schulen auch so aus wie eure", sagt Ghosh.

"Es ist wichtig, dass die Gymnasiasten lernen, dass es Länder gibt, in denen ganz andere Lebensverhältnisse herrschen", sagt Englischlehrerin Karin Degenhart später zur SZ. Sie will die Schulpartnerschaft zu Indien wiederbeleben. "Sie hatte sich ein wenig tot gelaufen", sagt sie. Besuche gab es eigentlich nicht bis auf einen im Jahr 2006. Aber da besuchten die Schüler mit ihren Eltern und einige Lehrer privat Westbengalen. "Ein echter Austausch wie etwa nach England ist schwierig, schon aus haftungsrechtlichen Gründen." Was wäre, wenn dort etwas passiert? Und Indien ist nun mal sehr weit weg, gibt Degenhart zu bedenken. Aber ganz ad acta hat sie den Gedanken noch nicht gelegt: Ein Besuch in Indien schwebt ihr eigentlich schon vor, aber das ist Zukunftsmusik.

Bilecha darf einen Sari anprobieren. (Foto: Arlet Ulfers)

Bisher war der Austausch eher eine Brieffreundschaft. Erstaunlich, dass es so etwas noch gibt in einer Zeit, in der Internet, Whats-App und Instagram praktisch allgegenwärtig sind und jeder mit jedem kommunizieren kann, egal, wo er gerade ist. Briefpapier hat da eher einen Hauch von Nostalgie. "Vielleicht gerade deshalb", sagt Degenhart und grinst. "Briefeschreiben ist auch ein Zeichen von Wertschätzung." Sie legt drei bunt bemalte, liebevoll gestaltete Briefe auf den Tisch. Mitra und Ghosh haben sie mitgebracht. Denn schnöde mit der Post werden die Freundschaftsbriefe nicht versandt, das gehört zur Tradition dieser Partnerschaft. Sie werden immer persönlich überbracht, hüben wie drüben. Es sind übrigens nicht nur Mädchen, die schreiben, die Freundschaft besteht auch mit der Boys-Highschool. Viele haben sich allerdings nicht zum Briefeschreiben bewegen lassen. Es ist schließlich nicht leicht, einem völlig Unbekanntem zu schreiben, und dann auch noch in einer fremden Sprache. Aber es ist auch eine Herausforderung.

Bei jeder Schulveranstaltung wird für Projekte der Indienhilfe gesammelt, sodass die Jugendlichen immer wieder mit den Problemen des Landes konfrontiert werden. Doch Degenhart will die Partner aus dem fernen Land für die Schüler künftig noch präsenter machen. Sie stellt sich vor, eine Indienecke im Schulgebäude von den Jugendlichen gestalten zu lassen. Vielleicht mit typischen Mustern und Bildern. Die Schüler könnten sich dazu bei ihren Freunden aus Chatra erkundigen und um Vorlagen bitten. "Vielleicht hinterlässt die Partnerschaft ja auch in anderen Schulhäusern Spuren?", sagt Degenhart.

Die Verhältnisse in einer indischen Schule beeindrucken die Siebtklässler sehr. (Foto: Arlet Ulfers)

Die Einladung von Mitra und Ghosh ist der erste Schritt zur Wiederbelebung. Und offenbar einer, der gut ankommt, denn viele Lehrer interessierten sich für die beiden Inderinnen und wünschen sich, dass sie auch in ihren Klassen hospitieren. Es ist das erste Mal, dass Inderinnen in das Gymnasium kommen. In elf Klassen von der sechsten bis zur zwölften stehen sie Rede und Antwort zu verschiedenen Themen. "Das ist ein ganz anderer Eindruck, als wenn die Schüler eine Lektüre lesen würden", davon ist Karin Degenhart überzeugt.

In der zehnten Klasse erzählt Mitra über die Rolle der Frau, ihre Perspektiven und Rechte. "Wenn sie heiraten, ziehen sie in das Haus ihres Ehemannes. Diejenigen, die auf dem Land wohnen, arbeiten von morgens bis abends auf dem Feld - mindestens neun Stunden pro Tag, sie füttern die Kinder und kochen", erzählt Mitra. Die Frauen in der Stadt sind Hausfrauen, aber sie haben meist ihr eigenes Geschäft nebenher, zum Beispiel eine Boutique, denn das Leben in der Stadt ist teuer. "Man muss schon 15 000 Rupien verdienen, um dort leben zu können, aber einen solchen Job bekommt man nicht leicht", sagt Mitra. Deshalb ist Bildung wichtig, doch die meisten Mädchen dürfen nur bis zur achten Klasse in die Schule gehen - zumindest auf dem Land. Sie selbst hat studiert. "Schwangere verdienen übrigens weniger, weil sie nicht alles machen können." Mutterschutz gibt es nicht.

Mitra weiß, wovon sie spricht. Sie selbst ist alleinerziehende Mutter eines fünfjährigen Mädchens. Frank und frei erzählt sie den Schülern ihre traurige Geschichte von der Traumhochzeit bis zum Alkohol, der alles zerstörte. Ihr Mann begann zu trinken und wurde gewalttätig, bis sie ihn schließlich verließ. Kein leichter Schritt für eine Frau in Indien - auf dem Land völlig undenkbar. "Scheidungen werden nicht akzeptiert", sagt sie. Und bei Gewalt in der Ehe gibt es auch keine Gesetze, die die Frauen schützen. Natürlich fragen die Schülerinnen auch nach den jüngsten Massenvergewaltigungen, die durch die Weltpresse gegangen sind. "Das ist sehr traurig", sagt sie. Die Gesetze verböten es. Die Zehnklässler sind in ihren Bann gezogen, sie fragen immer wieder nach - vor allem die Mädchen. Als die Pausenglocke erschallt, bleiben alle ruhig auf den Plätzen sitzen. Sie wollen weiter hören, was Mitra erzählt.

Bilecha indes strahlt übers ganze Gesicht. Ihr Sari hat goldene Verzierungen und glänzende Bordüren. Mitra hat ihn mit geübten Handgriffen gefaltet und gewickelt. Noch schnell zupft sie den Stoff zurecht, damit der Faltenwurf sitzt.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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