Gilching:Die Retterin der Eichhörnchen

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Eichhörnchen Robin darf bei Sabine Schödl überwintern. Das Tier ist ungewöhnlich zutraulich, lässt sich sogar am Bauch kraulen, während die anderen beißen. (Foto: Arlet Ulfers)

Sabine Schödl päppelt in ihrer Freizeit bis zu 150 Tiere im Jahr auf, die aus dem Kobel gefallen sind. Sogar auf Baustellen nimmt die Montageschreinerin ihre Findelkinder mit.

Von Carolin Fries, Gilching

Die ersten beiden Eichhörnchen, die Sabine Schödl aufnahm, waren nach drei Tagen tot. Die 57-Jährige zuckt mit den Achseln. "Blutvergiftung und Lungenentzündung. Ich hatte keine Chance." Nur zwei Wochen später hatte sie einen Viererwurf in ihrer Gilchinger Dachgeschosswohnung - die ersten Jungtiere, die sie großziehen und auswildern sollte. Knapp sechs Jahre ist das her, und seitdem haben die Nager einen festen Platz im Leben der Montageschreinerin, die sich als stellvertretende Vorsitzende im Verein Eichhörnchen-Schutz engagiert und eine von etwa 30 Pflegestellen in und um München betreibt - die einzige im Landkreis.

Bei Sabine Schödl landen alle Fundtiere aus der Region, spezialisiert hat sie sich jedoch auf die Pflege Neugeborener. Mal hat der Wind deren Kobel aus den Bäumen geworfen, mal haben Krähen die Nester angegriffen. Zehn Gramm wiegen die Kleinsten gerade einmal, winzige Geschöpfe, die eng aneinandergeschmiegt unter wärmenden Handtüchern kein bisschen an die flinken Kletterkünstler in den Baumwipfeln erinnern, zu denen sie binnen weniger Wochen heranwachsen. "Die sind nackt, blind und dumm", sagt Schödl. Im Kinderzimmer der Söhne, die längst ausgezogen sind, stehen jetzt Käfige und Brutkästen für die jüngsten Tiere, die sie "meine Babys" nennt.

Bis zu 150 Babys rettet die Gilchingerin im Jahr. (Foto: Arlet Ulfers)

Die meisten dieser Tiere würden ohne die Hilfe der Ehrenamtlichen wohl sterben, das ist das Gesetz der Natur. Eichhörnchen sind Wildtiere, keine Haustiere. Sabine Schödl ist dennoch überzeugt, dass Menschen helfen müssen, wenn sie auf ein Tier in Not stoßen. Bei den Eichhörnchen heißt das, zuerst die Mutter auf das Baby aufmerksam zu machen. Immer wieder spielt Schödl deshalb in Gärten und Siedlungen von ihrem Handy das Schreien eines Eichhörnchen-Jungen ab in der Hoffnung, dass das Muttertier den Nachwuchs holt. "Wir Menschen sind definitiv die schlechteren Eltern." Falls das misslingt, springt sie ein und auch dann nur übergangsweise. "Ich gebe ihnen eine zweite Chance und schenke sie der Natur zurück."

Bis zu 150 Eichhörnchen versorgt die Gilchingerin im Jahr. Nur ein geringer Bruchteil überwintert in den großräumigen Volieren im Garten. Robin zum Beispiel, der ungewöhnlich zutraulich ist, sich sogar am Bauch kraulen lässt. "Die anderen kann ich nicht anfassen, die beißen", sagt Sabine Schödl. Eichhörnchen sind keine Schmusetiere und werden auch keine, selbst wenn man sie Tag und Nacht alle zwei Stunden mit Aufzuchtmilch füttert, ihnen gemütliche Nester baut und teure Nüsse füttert.

Regelmäßig schaut Schödl nach ihren Zöglingen. (Foto: Arlet Ulfers)

"Wenn ich sie mit 16 Wochen wieder in die Natur entlasse, bin ich aus den Augen und aus dem Sinn." Schödl betreut zwei Auswilderungsstationen im Wald. In den Volieren dort gewöhnen sich die Tiere an die neue Umgebung, bevor sie beginnen, sich selbst Futter zu suchen und Kobel zu bauen. Ganz selten trifft die Eichhörnchen-Mama hier auf ehemalige Schützlinge wie etwa Silver, der nicht gleich das Weite sucht, wenn sie sich nähert.

Knapp 2500 Euro im Jahr steckt Schödl in die Aufzucht der Tiere. Na und?, sagt sie: "Es gibt beknacktere Freizeitbeschäftigungen"

Jetzt sitzt sie nach Feierabend am Küchentisch und hält Torin im Arm, eingewickelt in ein Stoffwindeltuch. Jedes Tier bekommt einen Namen, aktuell aus dem Bereich Sagen und Mythen. "Ich hatte auch schon eine Indianerserie oder Märchenfiguren - doch da gingen mir schnell die Namen aus", erzählt Schödl. Penibel dokumentiert Schödl die Entwicklung der Jungtiere, notiert die Gewichtszunahme. Jetzt zieht sie eine Plastikspritze mit Aufzuchtmilch auf, das Eichhörnchen-Baby beginnt gierig daran zu saugen, wobei es die Futterquelle mit den Vorderpfoten umklammert. Ein Moment so zuckersüß, dass sich ein seliges Lächeln über das Gesicht der Ersatzmama legt. Fast 400 Waschmaschinen im Jahr füllt sie mit den Windel- und Handtüchern aus ihren Eichhörnchen-Nestern, knapp 2500 Euro im Jahr steckt sie in deren Aufzucht. Na und? "Es gibt beknacktere Freizeitbeschäftigungen."

In einem Brutkasten werden die Eichhörnchen-Babys aufgepäppelt. (Foto: Arlet Ulfers)

Während hilfesuchende Eichhörnchen im Wald schon mal Spaziergängern folgen oder an diesen hochzuklettern versuchen, werden sie in Städten oft auf Balkonen und Dachgauben entdeckt, kaum dass es wärmer wird. In diesem Jahr wurde bereits am 3. Februar in München ein Baby-Eichhörnchen gefunden - Talvi hat Schödl es getauft, die im Winter Geborene. In der vergangenen Woche erreichte sie der erste Anruf eines Finders aus dem Würmtal. In seinem Garten war dieser auf ein verletztes, etwa fünf Wochen altes Jungtier gestoßen. "Krähen hatten auf das Kleine eingehackt, ein Drittel des Schwanzes fehlt." Kaida heißt das Eichhörnchen jetzt, kleiner Drache. Sie kriege es schon durch, sagt Schödl und strahlt. "Wenn mich etwas zur Verzweiflung bringt, dann die Machtlosigkeit, nichts mehr für ein leidendes Tier tun zu können."

Mit einer speziellen Aufzuchtmilch aus der Spritze füttert sie die kleinen Tiere. (Foto: Arlet Ulfers)

Mindestens drei bis vier Anrufe gehen derzeit täglich über das Notruf-Telefon ein, in wenigen Fällen nehmen die Pflegestellen auch Siebenschläfer und Feldhasen auf. Bis in den Spätherbst hinein wird das Telefon nun wohl keinen Tag mehr still stehen, sagt Schödl. Knapp 1000 Tiere pro Jahr und bis zu 50 an einem Tag würden auf die Helfer verteilt. "Das ist ein Fulltime-Job, aber als Team sind wir unschlagbar", so Schödl. Sie selbst versorgt aktuell acht Eichhörnchen-Junge, für die sie in der Küche Futter, Aufbaupräparate und Medikamente stets griffbereit hat.

Denn meist muss es schnell gehen, die Montageschreinerin arbeitet Vollzeit und ist von frühmorgens bis abends auf verschiedenen Baustellen unterwegs. Die Eichhörnchen-Babys nimmt sie in tragbaren Inkubatoren im Auto mit. An ihren Arbeitsplätzen gebe es immer genug leere Zimmer, in denen sie Futterpausen einlegt, wenn die Kollegen rauchen gehen. "Na klar halten die mich für verrückt", sagt sie. Und auch zu Hause bekommt sie fragende Blicke von ihrem Mann Charly, wenn sie Pläne fürs Wochenende schmiedet. "Meistens kommen ein paar Eichhörnchen dazwischen."

© SZ vom 20.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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