Gilching:Brahms, der Wegbereiter

Gilching CPGymnasium 'Klarinettissimo'

Überraschende Perspektive: Andreas Schablas und Elizabeth Hopkins.

(Foto: Nila Thiel)

Die Reihe "Klarinettissimo" zeigt, dass der Komponist die Musik des 20. Jahrhunderts vorwegnahm

Von Reinhard Palmer, Gilching

Häufig wird Brahms vor allem gegenüber Wagner als der konservative Antipode dargestellt. Doch in der Aula des Gilchinger Gymnasiums, beim vierten und letzten Abend der Reihe "Klarinettissimo!" der Pianistin Elizabeth Hopkins, wurde man eines Besseren belehrt. Weniger verbal, auch wenn Hopkins wieder mit ihren redegewandten Einführungen auf interessante Zusammenhänge leicht verständlich und nachvollziehbar aufmerksam machte. Es war vielmehr der Kontext im Programm, der Brahms indirekt zum Wegbereiter der Wiener Schule erhob.

Dass Brahms am Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Schritte in Richtung auf die Befreiung von der Tonalität hin tat, demonstrierte Hopkins mit seinem Intermezzo h-Moll op. 119/1, einem der allerletzten Klavierstücke des Komponisten. Der Komponist habe Clara Schumann explizit die Anweisung gegeben, so Hopkins, das Tempo soweit zu drosseln, dass die Dissonanzen möglichst lange klingen würden. Und das verdeutliche, dass Brahms Dissonanzen als eigenen musikalischen Charakter und nicht als falsche Töne wahrnahm. Hopkins folgte der Anweisung, sodass die spannungsgeladenen Harmonien keinen Übergangscharakter zur Auflösung hin erhielten, sondern tatsächlich als eigenständiges Ausdrucksmittel Wirkung entfalteten.

Nicht minder spannend war es, zu erleben, dass Brahms auch innerhalb der Tonalität mit seiner kontrastreichen Dramaturgie, reichen Klangbildung und seinem Abrücken vom bis dahin gültigen Sonatenkanon zur Vorbereitung der Musik des 20. Jahrhunderts beitrug. Die Sonate Es-Dur op. 120/2 für Klarinette und Klavier, sein letztes Kammermusikwerk, fand vor allem neue Wege emotionalen Ausdrucks, der gerade im Spiel von Andreas Schablas - Artist in Residence der Konzertreihe und Soloklarinettist im Bayerischen Staatsorchesters - unmittelbar ansprach. Schablas' Erfahrung mit Musik zu konkreten, erzählerischen Inhalten der Oper kam so nicht nur mit einem sehr weichen Ansatz und plastischer Formung zur Geltung, sondern sorgte e auch für einen durchaus vorstellbaren Bilderkontext. Explizit im Legendenton des Andante-Schlusssatzes. Fürs Ebnen der Wege ins 20. Jahrhundert offenbarte sich insbesondere die Kombination aus aufgewühlter Leidenschaft und hymnischem Gesang als ideale Kombination. Nicht zu unterschätzen dabei die - wenn auch noch romantisch grundierten - emotionalen Ausbrüche, die immer wieder Leidenschaft auf den Plan riefen.

Den Schlüssel zum Kontext lieferte schließlich Alexander Zemlinsky, der all die Elemente, die bei Brahms im tradierten Kontext noch nicht deutlich genug exponiert waren, in seinem Trio d-Moll op. 3 bewusst hörbar machte, sie zudem mit einer neuen Substanz füllte, zumindest in der Interpretation des Ensembles zusammen mit dem erst 22-jährigen türkischen Cellisten Cansin Kara. Während Brahms' Klarinettensonate zuvor noch luftig und in feinst blühenden Klangnuancen Schönfarbigkeit fokussierte, verlieh das Trio dem Werk des späteren Schönberg-Lehrers Zemlinsky Nachdruck und Intensität. Aber auch eine unterschwellig deutlich spürbare Ruhelosigkeit und Spannung. Überraschend dabei, dass es sowohl bei Brahms als auch im Trio Zemlinskys geradezu impressionistische Momente gab, vornehmlich in den sensibel zurückgenommenen Passagen. Inwiefern bei Brahms auch ein Bezug zu Debussy besteht, wird wohl eine andere Konzertreihe erforschen müssen. Begeisterter Applaus, als Zugabe das Andantino grazioso aus dem Brahms-Klarinettentrio.

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