Süddeutsche Zeitung

Gilching:Auf eine Karte gesetzt

Christoph Behn hat für fünf Jahren seinen gut bezahlten Job als Unternehmensberater aufgegeben, um sich selbständig zu machen. Mittlerweile hat die Gilchinger "Kartenmacherei" 70 Mitarbeiter - und expandiert weiter

Von Otto Fritscher, Gilching

Es ist ein Familienbetrieb im Sinne des Wortes. Denn die Geschäftsidee entstand, als sich bei den Behns Nachwuchs ankündigte. Das Ereignis wollte Jennifer Behn mit einer Geburtskarte Verwandten und Freunden kundtun - nur, dass sie keine Karte fand, die ihren Erwartungen entsprach. Auch Recherchen im Internet brachten damals, vor gut fünf Jahren, kein rechtes Ergebnis. Also schritt sie zur Tat, und entwarf selbst das Kartendesign und ließ professionelle Fotos machen. Was ihr Mann Christoph nicht nur schick fand, sondern auch als Geschäftsidee durchaus vielversprechend. Was irgendwie auch eine Berufskrankheit war, denn Behn arbeitete als Unternehmensberater bei einer internationalen Company, trug sich aber schon mit dem Gedanken, sich selbständig zu machen.

Nach kurzer Überlegung und - natürlich - dem Erstellen eines Business Plans - gründete Christoph Behn die "Kartenmacherei". "Wir haben das Dachgeschoss in unserem Haus ausgeräumt und zwei Schreibtische reingestellt und eine Internetseite gebastelt," erinnert sich Behn an die Anfänge. "Wir haben alles selbst gemacht, ich habe mit fast jedem Kunden persönlich telefoniert. Und dann haben wir bald gemerkt, dass man von der Kartenmacherei durchaus leben kann."

Heute, fast genau fünf Jahre später, ist der Firmensitz der Kartenmacherei seit einem Jahr im Gilchinger Astopark, gleich neben so bekannten Firmen wie der Ruag oder Webasto. Nach einem halben Jahr im Dachgeschoss war es bereits zu eng geworden, und die Firma zog zunächst in den Technopark nach Seefeld um, und von dort dann weiter nach Gilching, als es in Seefeld schon wieder zu eng geworden war. 500 Quadratmeter Bürofläche in zwei Stockwerken belegt die Kartenmacherei jetzt in dem Bürobau an der Friedrichshafener Straße, die Mitarbeiterzahl ist auf 70 gestiegen. Genaue Zahlen über den Umsatz lässt sich Christoph Behn nicht entlocken, aber er bewege sich im niedrigen zweistelligen Millionenbereich - und das bei einer Firma, die vor fünf Jahren bei Null angefangen hat. Jeden Tag kommen durchschnittlich 1000 Aufträge herein, den Kundenbestand beziffert Christoph Behn auf "etliche Hunderttausend". Die Wachstumsraten seien jedes Jahr sehr groß gewesen, "heuer liegt sie bei mehr als 50 Prozent", sagt Behn. Ein Wachstum ohne Grenzen? "Ich weiß auch nicht, wie lange das so weitergeht, aber ich habe nichts dagegen", sagt der Chef und lacht.

Auch der Fantasie sind bei der Gestaltung der Karten kaum Grenzen gesetzt. "Vor allem die Bildmotive sind manchmal sehr kreativ", sagt Jennifer Behn, die in der Firma für die Kommunikation zuständig ist. Sie erinnert sich etwa an die Karte mit dem kleinen Jungen, daneben ein Baby am Straßenrand. "Der Steppke hielt ein Schild hoch: Baby zu verkaufen", sagt sie. Oder jene Karte mit einem Mädchen, das auf dem Boden lag, und einem Superman-Umhang, der um sie herum gezeichnet war. ",Wir starten durch', lautete der Text auf der Karte, die zur Einschulung verschickt wurde", sagt Jennifer Behn.

Und manchmal werden aus den Kartenmotiven auch richtige Gegenstände. Etwa ein Hochzeitsschuh, den ein Schuhdesigner genau nach dem Foto auf der Hochzeitskarte designen musste, oder Pralinen mit einem kleinen Elefanten drauf - ein Motiv, das die Behns als Beispiel verwendet haben. Oder jene schwarz-weiß gestreifte Torte, die nach dem Vorbild einer Geburtstagskarte von einem Konditor gebacken wurde. "Geburten und Hochzeiten sind die häufigsten Anlässe für die Gestaltung von personalisierten Grußkarten", sagt Christoph Behn. Dann folgen Geburtstage, Kommunion und Konfirmation, und in diesen Tagen natürlich Weihnachts- und Neujahrskarten. "In der Weihnachtszeit haben wir etwa 20 Prozent mehr Aufträge", sagt der Geschäftsführer. Aber eine richtige Flaute gebe es im Jahreslauf nicht.

Die Firma ist durchaus amerikanisch geführt. "Ich war eben Unternehmensberater", sagt Christoph Behn. Das Amerikanische zeigt sich etwa an dem roten "Passion room", einer Art Lounge, die für Besprechungen dient. An der Tür hängen kurze Sätze wie "Das Design macht den Unterschied" oder "Mainstream nervt". Dann gibt es noch den "Offenen Raum", der für die offene Kommunikation mit den Kunden, aber auch den Kollegen und Chefs stehen soll. "Wir haben flache Hierarchien", sagt Behn. Dennoch ist die Firma durchaus straff organisiert. Vor kurzem war er mit elf Führungskräften auf einem "Offsite", also ein paar Tage auf einer Berghütte, um die Strategie für die Zukunft zu besprechen. Und an der Wand hängen die Fotos von Mitarbeitern, was ein bisschen an McDonalds erinnert.

In der Küche steht ein großer Obstkorb, aus dem sich die Mitarbeiter einfach bedienen können, und eine Eistruhe. "Das Eis war bis zum Sommer kostenlos, aber der Sommer war einfach zu lang und zu heiß, so dass wir nun was verlangen müssen", sagt Behn. Auf der Dachterrasse in dem Firmengebäude im Astopark kann indes gegessen und bei Gelegenheit auch mal gefeiert werden.

Die meisten Mitarbeiter in Gilching sind jung, in den Zwanzigern, und weiblich. Sie sitzen vor den Bildschirmen und überprüfen die Auftragseingänge. "Sind die digital geschickten Bilder scharf? Ist die Auflösung ausreichend? Sind im Text Tippefehler? - darauf achten wir besonders", sagt Christoph Behn. Was dazu führt, dass nahezu bei jedem zweiten Auftrag eine Rückfrage beim Kunden erforderlich ist, per E-Mail oder per Anruf. Ein ungewöhnlicher Service für eine Internet-Firma, der seinen Preis hat. "Bei den billigsten Anbietern sind wir sicher nicht, bei den besten vermutlich schon", sagt Behn.

Mehr als 20 Mitarbeiter sind in der "Auftragseingangsprüfung" beschäftigt, viele von ihnen Mediengestalterinnen. Daneben gibt es noch einige Grafikdesigner, und auch ein paar Mamas, die nach der Babypause auf Teilzeitbasis wieder ins Arbeitsleben eingestiegen sind. "Diese Frauen kennen manche Emotionen besser, da sie selbst Kinder haben und vielleicht verheiratet sind", sagt Christoph Behn. Emotionen, die in den Geburts- und Hochzeitskarten zum Ausdruck kommen sollen. Dann gibt es natürlich noch die Klassiker, die Finanz- und die Personalabteilung etwa, die in der Kartenmacherei aber "Teams" heißen.

Und in Hamburg, dem zweiten Standort der Firma, ist die Entwicklungsabteilung angesiedelt, mit rund zehn Informatikern und Programmierern, und mit Christoph Behns Bruder als Chef. "Wir haben es in Hamburg einfach leichter, Programmierer zu finden", erklärt Behn. Denn klar, die Internet-Seite ist das einzige Schaufenster der Kartenmacherei, und das Internet der einzige Werbekanal, wie man heute sagt. "Die meisten Kunden kommen über Google zu uns", sagt Behn. Und in der Tat ist die Kartenmacherei in den Trefferlisten der Suchmaschine zumeist ganz oben zu finden. Die Kunden kommen inzwischen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. "Letztes Jahr sind wir nach Österreich und in die Schweiz expandiert", sagt Behn. Gedruckt werden die Karten, und das ist für manche Kunden erstaunlich, allerdings nicht in der Firmenzentrale in Gilching. "Wir arbeiten mit einer Druckerei im Schwarzwald zusammen, von dort aus werden die Karten auch verschickt", erläutert Behn, "zumeist ein oder zwei Tage nach Auftragseingang".

Anfangs habe man mit Druckereien in der Region München zusammengearbeitet, diese hätten aber mit dem gewaltigen Wachstum nicht Schritt halten können oder wollen. Eine Karte kostet ab 1,50 Euro, 50 Karten im Format A6 kosten rund 80 Euro. Die meisten Auftragsgrößen liegen zwischen zehn und 100 Karten. "Für ein Hotel haben wir schon mal 2500 Karten gemacht, aber das ist eher die Ausnahme", sagt der Firmenchef. Die Stärke der Kartenmacherei liege eben in ihrer Individualität und nicht im Massengeschäft.

Dass die Kartenmacherei trotz des enormen Wachstums ein Familienbetrieb geblieben ist, zeigen auch die Beispielfotos auf der Internet-Seite. Das Hochzeitsfoto der Behns etwa ist dort zu sehen. "Meine Frau erkennt man sofort, bei mir, naja, weiß ich das nicht", witzelt Behn. Dazu Fotos von den Kindern, von Oma und von Opa, und sogar der Familien-Hund hat schon Modell gestanden.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2015
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