Gewalt gegen Frauen in Corona-Krise:"Demütigungen passieren derzeit im Verborgenen"

Gewalt gegen Frauen in Corona-Krise: Sozialpädagogin Cordula Trapp hat mit ihren Kolleginnen im vergangenen Jahr 151 Menschen beraten.

Sozialpädagogin Cordula Trapp hat mit ihren Kolleginnen im vergangenen Jahr 151 Menschen beraten.

(Foto: Privat)

In die Herrschinger Beratungsstelle von "Frauen helfen Frauen" kommen mehr Betroffene als vor der Pandemie. Sozialpädagogin Cordula Trapp erklärt, welche Situationen zur Eskalation führen und wie das Zuhause wieder ein sicherer Ort wird.

Interview von Jessica Schober

Als Geschäftsführerin des Vereins "Frauen helfen Frauen Starnberg" berät Sozialpädagogin und Traumafachberaterin Cordula Trapp gemeinsam mit drei Kolleginnen Frauen aus dem Landkreis, die Gewalt erlebt haben. Im vergangenen Jahr haben sich 151 Menschen an die Beratungsstelle in Herrsching gewandt, 112 von Gewalt betroffene Frauen und 39 Angehörige und Helfer. Es gab 756 Beratungen, im Vergleich zu 2019 sind die Zahlen während der Corona-Krise deutlich gestiegen.

Frau Trapp, woran liegt es, dass sich immer mehr Frauen an Sie wenden?

Die Konflikte daheim haben sich verstärkt in der Corona-Zeit. 25 bis 30 Prozent der Frauen in Deutschland erfahren häusliche oder sexualisierte Gewalt - das war schon vor der Pandemie so. Aber durch die Ausgangsbeschränkungen fokussiert sich jetzt alles auf den häuslichen Bereich. Nicht nur für die betroffenen Frauen, sondern auch für die Täter gibt es keine Ablenkung mehr: Freunde treffen, Fitnessstudio, Fußballspielen fallen weg - da fehlt der Puffer. In Familien, in denen bereits ein Klima der Gewalt herrschte, ist nun vieles seit einem Jahr noch schlimmer.

Wie sieht es in diesen Haushalten nach einem Jahr Pandemie aus?

Wenn ein gewalttätiger Partner im Home-Office oder in Kurzarbeit ist, dann verbringt man plötzlich viel mehr Zeit miteinander. Dann geht es schnell um Macht und Kontrolle. Ich spreche da von partnerschaftlicher Dominanzgewalt. Alltagssituationen wie das Betreten des Arbeitszimmers, können schon zur Eskalation führen. Viele Frauen erleben psychische Gewalt, indem zum Beispiel ihre Kompetenzen nicht anerkannt werden. Einer Frau, die bereits Trennungsabsichten geäußert hatte, antwortete ein Partner: "Du kannst doch eh nicht auf eigenen Beinen stehen." Er ignorierte den Trennungswunsch, er weigerte sich zu besprechen, wer bei einer Trennung den Fernseher mitnehmen würde und schmiss die Frau aus dem Zimmer raus. Solche Demütigungen sind Gewalterfahrungen, die derzeit häufig im Verborgenen passieren.

Familie gilt vielen als Ort, der stärkt. Ist zu zweit nicht immer noch besser als allein?

Viele Frauen erleben eine Ausweglosigkeit. Zur partnerschaftlichen Dominanzgewalt gehört, dass die Täter die Betroffenen isolieren. Betroffene Frauen haben oft niemanden mehr außerhalb der Familie und ziehen sich von ihrem sozialen Umfeld zurück. Dort nehmen die psychischen Belastungen zu. Die Pandemie schränkt uns alle in der eigenen Handlungsfähigkeit ein. Und in Veränderungssituationen gibt es vermehrt Übergriffe. Das sind neuralgische Punkte, an denen es zu Gewaltspitzen kommt. Zum Beispiel in einer Schwangerschaft oder wenn ein Partner einen neuen Job annimmt, kommt es bei einem grundsätzlich gewalttätigen Partner häufiger zu Ausbrüchen. Die Pandemie macht die Reaktionen darauf heikler. Früher konnte eine Frau vielleicht schnell ihre Koffer packen und bei anderen untergekommen - das ist jetzt schwierig.

Wann ist Gewalt nicht mehr aushaltbar?

Meistens wird der Moment, in dem man gehen müsste, zu spät erkannt. Der Druck auf eine Frau muss sehr groß sein, damit sie überhaupt Hilfe in Anspruch nimmt. Viele Frauen, die beim Frauennotruf anrufen, sagen zuerst: "Ich weiß nicht, ob ich bei Ihnen richtig bin, ich erfahre ja gar keine körperliche Gewalt." Dann aber erzählen sie, wie isoliert sie sind und dass der Partner Handy und E-Mails kontrolliert. Die Frauen betrachten die Gewalt, die ihnen widerfährt, als normal. Manche realisieren erst, dass etwas nicht stimmt, wenn ihre Kinder genauso abwertend mit ihnen sprechen wie der Täter. Andere entwickeln psychosomatische Beschwerden, Symptome die medizinisch nicht erklärbar sind wie Kopf- oder Bauchschmerzen.

Wie hat sich Ihre Beratungsarbeit geändert im Vergleich zum Vorjahr?

Wir beraten jetzt viel mehr zum Gewaltschutzgesetz. Eine von Gewalt betroffene Frau hat die Möglichkeit, zum Amtsgericht zu gehen, sich die eigene Wohnung zuweisen zu lassen und ein Kontakt- und Näherungsverbot gegenüber dem Täter verhängen zu lassen. Gerade im Lockdown gilt: Wenn sich der Lebensmittelpunkt auf die eigenen vier Wände konzentriert, ist wichtig, dass man dort geschützt ist. Wenn aber eine Frau, die sich trennen will, erst eine neue Wohnung finden muss, ist die Trennung ungleich schwerer - der Wohnungsmarkt im Landkreis Starnberg ist ja ohnehin angespannt. Durch den Gewaltschutz muss der Täter raus aus der Wohnung.

Für wen kommt das in Betracht?

Für alle, die sich bedroht fühlen von ihrem Partner. Wir haben im vergangenen Jahr in 115 Fällen dazu beraten. Wenn daheim ein ständiges Klima der Aggression und Angst herrscht, mit Anschreien oder körperlichen Übergriffe, ist es wichtig, dass Frauen in ihrem Zuhause wieder einen sicheren Ort finden. Es gibt leider auch Fälle, in denen ein Antrag auf Gewaltschutz scheitert, weil die erlebte Gewalt nicht ausreichend dargestellt wird. Eine Anzeige oder Arztbefunde über Hämatome und Würgemale können die Glaubwürdigkeit steigern.

Welche Ihrer Klientinnen trifft die Pandemie besonders?

Menschen, die von sexualisierter Gewalt in ihrer Kindheit und Jugend betroffen sind, erleben in Belastungssituationen wie dieser Pandemie besonders stark Hilflosigkeit und Ohnmacht. Die Gedanken kreisen in der Isolation immer wieder um die erlittenen Traumata, die Freizeitmöglichkeiten zur Zerstreuung fallen weg. Eine meiner Klientinnen hat zum Beispiel früher immer eine Freundin mit ihrem Pferd besucht, das hat ihr gutgetan. Diese Möglichkeit fällt nun weg und sie ist gesundheitlich wieder sehr belastet.

Wie erkennt man den Unterschied zwischen dem ganz normalen Wahnsinn im Miteinander und Gewalt?

Wenn eine Frau dauerhaft das Gefühl hat, das sie nicht so sein kann, wie sie möchte, dass sie sich verbiegt, weil es sonst Stress gibt mit dem Partner, dann können wir dazu beraten. Viele Frauen trennen sich nicht beim ersten Übergriff. Eine Gewaltbeziehung dauert im Durchschnitt sieben Jahre. Ich versuche meinen Klientinnen den Zahn der Hoffnung zu ziehen. Ein Gewaltkreislauf dreht sich immer weiter. Körperliche Gewalt wird immer massiver. Wir hören oft den Wunsch, dass der Partner sich ja nur ändern müsse. Wenn der Partner kein Anti-Aggressionstraining oder eine Therapie macht, wird sich aber nichts ändern. Und die Gewalt kostet Kraft, die man nicht in sich selbst investieren kann. Ich frage die Frauen dann: Wie wäre ein Leben ohne die Gewalt? Wie wäre es, wenn Sie wieder selbst über sich entscheiden könnten? Viele sehnen sich einfach danach, in Ruhe ihr Leben zu leben.

"Frauen helfen Frauen", Mühlfelder Str. 12, Herrsching, Telefon 08152/5720

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