Gedenken:Eine Woche gegen das Vergessen

Mehrere Hundert Menschen gedenken dem Leid der Menschen beim Todesmarsch 1945 von Dachau durch das Würmtal bis nach Bad Tölz

Von Patrizia Steipe/Astrid Becker, Starnberg

Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen, die mit eigenen Augen das Grauen gesehen haben, das sich vor 74 Jahren mitten durch die beschaulichen oberbayerischen Landschaften von Dachau, durch das Würmtal, entlang des Ostufers des Starnberger Sees bis nach Bad Tölz durchzogen hat. Wenige Tage vor Kriegsende hatte die SS Tausende Häftlinge aus den Konzentrationslagern von Dachau und Umgebung zusammengetrieben. Sie zwang die geschwächten Menschen auf einen Marsch mit ungewissem Ziel. Tausende starben - entweder aus Erschöpfung, oder weil das Wachpersonal entkräftete Menschen hinrichtete. An den Todesmarsch erinnerte der Verein "Gegen das Vergessen - für Demokratie" und der Starnberger Dialog am Sonntag am Mahnmal vor dem Starnberger Landratsamt.

Rund 100 Bürger waren gekommen, um ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen. Darunter Marie von Miller-Moll. Die Mutter der 85-Jährigen hatte den Gefangenen damals Lebensmittel gebracht. Die Angst um die Mutter, aber auch deren Schilderungen von den Toten, die neben der Straße gelegen hatten, wären ihr noch so präsent "als ob es gestern gewesen wäre".

Fast wäre die Veranstaltung ausgefallen, berichtete Stellvertretender Landrat Georg Scheitz. Der Grund ist die Baustelle für den Tunnel. Das Mahnmal mit den 15 Elendsgestalten, das Hubertus von Pilgrim geschaffen hatte, ist derzeit nämlich mit einem Bauzaun eingegittert. Vielen erschien es zynisch, durch ein Gitter auf das Mahnmal zu blicken, "das geschundene Menschen auf dem Weg aus dem umzäunten Lager in die Ungewissheit zeigt", erklärte Scheitz. Für einen Tag wurde der Bauzaun deswegen entfernt, so dass Blumenschalen direkt am Sockel abgestellt werden konnten und Kantor Nikola David von der Jüdischen Gemeinde Beth Shalom ein Kaddisch, ein jüdisches Gebet für Verstorbene, vor dem Mahnmal aufsagen konnte.

Starnberg Mahnmal LRA

In Starnberg versammeln sich etwa 100 Menschen am Mahnmal.

(Foto: Georgine Treybal)

Unter den Rednern waren auch vier Schülerinnen des Starnberger Gymnasiums. Lotta Döbler, Elisa Färber und Franca Mainz trugen Erinnerungen eines KZ-Überlebenden vor. In dünnen Kleidern und nur mit Holzschuhen bekleidet hätten sich die ausgemergelten Menschen über die Landstraßen geschleppt. Es regnete und dann schneite es heftig. "Tote über Tote", konstatierte der Autor. Im Anschluss fragte Schülerin Alexa Geyer: "Ich bin zutiefst erschrocken. Wie kann es über 70 Jahre nach der grausamen Geschichte wieder Menschen geben, die ähnliche Ideologien verfolgen?".

Ihre Ratlosigkeit teilte sie mit anderen Rednern. Wie mit menschenverachtenden und rechtsextremen Tendenzen umgegangen werden könne, erklärte Ursula Münch, Direktorin der Tutzinger Akademie für politische Bildung. Hetze brauche man nicht mit Argumenten entgegen zu treten. "Das ist Zeitverschwendung" so Münch. Sie appellierte daran sich an die "schweigende Mehrheit" zu wenden und mit Fakten zu argumentieren. Bürgermeisterin Eva John war bei ihrer Recherche für den Gedenktag auf ein besonderes Musikstück aufmerksam geworden. Es handelt sich um die Klaviersonate "27. April 1945" des Komponisten Karl Amadeus Hartmann. Stundenlang hatte er in seinem Versteck im Kempfenhausener Haus der Schwiegereltern das Geräusch von schlurfenden Holzschuhen gehört. Das Leid der Menschen hatte er in dem Musikstück verarbeitet.

Bernried Bahnhof, Gedenkfeier an der Zug

In Bernried stellen Bürger zum Gedenken Kerzen auf den Bahnsteig.

(Foto: Georgine Treybal)

Auch in Bernried stand der Sonntag im Zeichen des Gedenkens. Am 28. April 1945 hatte ein Güterzug mit 2000 KZ-Häftlingen am Bernrieder Bahnhof gehalten. Halbnackt und halb verhungert sollen die Menschen gewesen sein. Mehr als 60 Jahre lang versuchte man, diesen Tag zu vergessen, bis Judy Grosch nachforschte und 2005 die "Bahnhofsgruppe Bernried" gründete, die seither den Gedenktag organisiert.

Am Dienstag, 30. April, erinnert sich Seeshaupt an den Todoesmarsch, 18 Uhr, am Mahnmal. Am Samstag, 4. Mai,gedenkt das Würmtal: Beginn ist um 13 Uhr am Techno-Markt in Lochham; Ende um 18.15 Uhr am Gautinger Rathaus.

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