Süddeutsche Zeitung

Oskar Maria Graf und sein Bruder Maurus:Der kunstsinnige Konditor

Bis zum Ende der Sechzigerjahre betrieb der älterer Bruder des Schriftstellers am Starnberger See das legendäre Café Maurus.

Von Katja Sebald, Berg

"Du wirst sehen, es gefällt Dir, obwohl es sehr einfach ist", schrieb Maurus Graf an seinen jüngeren Bruder, den Schriftsteller Oskar Maria Graf, auf die Rückseite einer Postkarte. Die Karte zeigt eine Innenansicht des Cafés mit Konditorei, das er in der heutigen Grafstraße 18 in Berg bereits zu Beginn der 1920-er Jahre eröffnet und in der Nachkriegszeit aufwendig renoviert hatte.

Doch Oskar Maria Graf hat das "Café Maurus", so wie es in der Wirtschaftswunderzeit zum legendären Treffpunkt von Kunst- und Literaturliebhabern avancierte, wohl nie betreten: Noch bevor der Schriftsteller 1958 nach einem Vierteljahrhundert im Exil zum ersten Mal wieder nach Deutschland reisen konnte, hatten sich die Brüder brieflich so zerstritten, dass zuletzt nur noch Anwaltsschreiben hin und her gingen.

Gestritten wurde in der Familie Graf an allen Fronten. Der älteste Bruder Max, der nach dem frühen Tod des Vaters ein brutales Regiment führte, hatte die Geschwister nach und nach aus dem Haus getrieben. Auch der 17-jährige Oskar war 1911 vor seinen Misshandlungen nach München geflüchtet. Nachdem Max im Krieg gefallen war und seine Witwe wieder geheiratet hatte, mietete sich Maurus, mittlerweile Konditormeister, mit der Mutter in dem alten Fischeranwesen auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein, das der Schriftsteller als "Kramerhaus" bezeichnet, das aber in den Archivalien unter dem Hausnamen "Rieger" geführt wird.

Später nahmen sie dort auch die ältere Schwester Theres auf, die eine kleine Schneiderei betrieb. Auch das "Annamirl", die einzige Tochter von Oskar Maria Graf, wuchs hier bei ihrer Großmutter auf. Aber es ging alles andere als friedlich zu: "Wie in einer kleinen, beengenden Nußschale spielte sich das Leben im Kramerhaus ab. Der Maurus hatte endlich die Konzession für einen Kaffeehausbetrieb erhalten und baute neben der Backstube einen Raum für die Gäste aus (. . .) Doch seine Interessen und die der Theres stießen sich beständig. Der Maurus war für Zusammenwirken, sie aber wollte für sich sein, war mißtrauisch und glaubte sich übervorteilt (. . .) Heftige Streitereien brachen immer wieder aus. Bruder und Schwester trennten schließlich den Haushalt." So kann man es in Grafs Buch "Das Leben meiner Mutter" nachlesen. Mit dem vier Jahre älteren Maurus hatte Oskar einst die Leidenschaft fürs Bücherlesen verbunden. Gemeinsam hatten sie sich eine kleine Bibliothek aufgebaut, die sie vor dem prügelnden Bruder verstecken mussten. Nachdem der Schriftsteller 1933 von Wien aus den Nazis sein "Verbrennt mich!" entgegengeschleudert hatte und nicht mehr nach Deutschland zurückkehren konnte, hatte Maurus seine Münchner Wohnung geräumt und Bücher und Möbel in Sicherheit gebracht.

In einem handschriftlichen Brief an den Bruder zeichnet er die Kommoden und Kanapees und beschreibt genau die einzelnen Stücke. Als er nach dem Krieg sein Café wiedereröffnet, berichtet er stolz und voller Begeisterung dem Bruder nach New York: "Dies ist eine Innenansicht von meinem Café, das war die Nähstube der Resl (früher). Die Uhr, die drinhängt, ist von Dir, kennst sie?" Das Café sei seine "ganze Freude", schreibt er, eigenhändig habe er das Haus renoviert, die "Böden gelegt, Mörtl gemacht und gemauert". Und er fügt hinzu: "Das ganze Haus war, als die Resl auszog, so verlottert." Jahrelang bewahrte er in Berg die Besitztümer seines mittlerweile berühmt gewordenen Bruders auf, dann wurden sie ihm zur Last. Zuletzt fordert er von ihm rückwirkend Miete für den Raum, in dem die vielen Bücher gelagert waren. Der Schriftsteller reagiert verärgert, immer schärfer wird der Ton in den Briefen, bis beide einen Anwalt beauftragen.

Zu einer Versöhnung zwischen den Brüdern ist es wohl nicht mehr gekommen. Der Arzt Heinz Bannaski, der damals seine Praxis im Berger Bäckerhaus hatte und treuer Gast im "Café Maurus" war, veranstaltete 1958 ein großes Geburtstagsfest für Oskar Maria Graf und hatte auch Maurus dazu eingeladen. Der aber erschien nicht, berichten die beiden Töchter des Arztes. Die Künstlerin Juschi Bannaski hat ihre Begegnung mit dem Schriftsteller jetzt in einem Bild und einer kleinen Geschichte dokumentiert. Ihre Schwester Cornelia Teubner erinnert sich nicht nur an die Torten im Café Maurus, sondern auch an den Wirt, der selbst literarische Ambitionen hatte, zwischen den Tischen hin und her ging, Rilke zitierte und Witze erzählte. Auch habe er sich von jungen Autoren ihre Texte vortragen lassen und sie kommentiert. Vor allem aber, so berichtet sie, sei in dem "unkomplizierten Café" viel Alkohol geflossen. Zu den Stammtischgästen habe Schriftsteller Hans Hellmut Kirst ebenso wie Drehbuchautor Gerd Oelschlegel gehört, auch Fred Bertelmann und Ruth Kappelsberger seien oft da gewesen. Hans Reihl, der wie der junge Paul Huber zuweilen Gast im Café war, teilte mit dem kunstsinnigen Konditor die Leidenschaft für Loewe-Balladen. Mindestens bis Ende der Sechzigerjahre soll Maurus Graf mit seiner Frau Mimi das Café betrieben haben. Bis auf die verschwundene Beschriftung und das fehlende Schild am Zaun erscheint das Haus noch heute weitgehend unverändert.

Nicht nur als Schöpfer aufwendiger Torten, sondern vor allem als großartiger Erzähler von Geschichten und unanständigen Witzen ist der kauzige Wirt, der 1971 kinderlos starb, den Bergern in Erinnerung geblieben. Zur Beerdigung seiner Schwester Theres soll er übrigens im schwarzen Anzug auf dem Moped nach Aufkirchen gefahren sein - und sich den Trauerkranz dabei um den Hals gehängt haben.

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SZ vom 29.06.2017
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