Süddeutsche Zeitung

Gauting:Zwischen Licht und Schatten

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Beim kleinen Sommerfestival in der Gautinger Remise spielen Florian Prey und Wolfgang Leibnitz mit den Nuancen der Seelenuntiefen

Von Reinhard Palmer, Gauting

Das Kleine Sommerfestival, das nun im Frühling begann und mit 23 Programmpunkten alles andere als klein ist, ging nun also in die zehnte Runde. Aus der Rettungsaktion der Wagenremise des Gautinger Schlosses Fußberg mit vagen Vorstellungen einer kulturellen Nutzung ist ein veritables Festival unter der künstlerischen Federführung von Florian Prey geworden. Und verzeichnet immer öfters ausverkauften Saal. Wie nun auch im mittlerweile traditionellen literarischen Liederabend, bei dem der Bariton Prey einmal mehr von Wolfgang Leibnitz begleitet wurde. Ein seit vielen Jahren eingespieltes Duo also, das sich zunehmend in musikalische Feinheiten vertieft. Was auch gewiss damit zusammenhängt, dass sich Leibnitz seit geraumer Zeit immer konsequenter der Erforschung der musikalischen Substanz hinter der virtuosen Fassade widmet. Die "Moments musicaux" des op. 94 brachten dieses Tiefschürfen insbesondere in Nr. 1 und 4 zur Geltung. Das Allegro vivace (Nr. 5) vermochte dennoch auch energisch in scharfer Rhythmisierung packen. Mit seinen 82 Jahren ist der Erfahrungsschatz Leibnitz' jedenfalls reich dafür bestückt, gerade auch in der Liedbegleitung aus dem Vollen schöpfen zu können.

"Seelenspiele" untertitelte das Duo die Lieder-Matinee mit "Seelenliedern von Franz Schubert". Was zunächst nach einer Einschränkung im Repertoire klingen mag, war lediglich ein Akzent im Programm. Denn: Welches Schubert-Lied ist denn kein Seelenspiel? Selbst aus dem banalsten Gedicht vermochte der ewig Unglückliche tiefe Einblicke ins Menschlich-Innerste zu gewähren. Wer hier in der Auswahl der Lieder ausschließlich bedächtiges Sinnieren erwartete, wurde in Sachen Seelen(un)tiefen eines Besseren belehrt. Auch ein Seelenleben kennt keine Grenzen, was die emotionalen wie erlebnishaften Ausprägungen betrifft.

Die hier vorgetragenen Lieder nach Gedichten von Rückert, Goethe, Uhland, Mayrhofer, aber auch eines Schlechte, Collin, Schubart, Lappe und Einigen mehr fanden wohl deshalb ins Programm, weil sie sich den Empfindungen in den Interpretationen von Prey und Leibnitz sehr präzisen Textausdeutungen hingaben und in jedem Vers eine neue Facette des Seelenlebens zu offenbaren vermochten.

Dieser Zugriff auf die Thematik brachte es mit sich, dass sehr unterschiedliche Liedgenres ins Programm fanden. Die narrativen Varianten gelangten vor allem über ihre mehr oder weniger philosophischen Texte zur Seelentiefe. So gleich zu Beginn die erzählerische "Fischerweise", die sich in ihrem Verlauf zu einer beseelten Melodik hin entwickelte. Ein weiterer Aspekt offenbarte hier schon seine Wirkung, die letztendlich das ganze Konzert über unterschwellig eine entscheidende Rolle spielen sollte: Das Dur-Moll-Changieren, das Spiel zwischen Licht und Schatten, zwischen freudiger Heiterkeit und getrübter Melancholie. Schubert hatte es früh verstanden, dass keine Emotion so sehr aus sich heraus wirken kann wie im Kontrast. Und kein anderer Komponist hat jemals so viele dieser Wandlungen aufgedeckt wie Schubert.

Prey und Leibnitz bewiesen aber auch, dass nicht nur Gegensätze wirken, so steigerte sich etwa in "Frühlingsglaube" schönmelodische Lyrik in eine strahlende euphorische Note. Es konnten sich aber auch gleich mehrere Ausprägungen gegenseitig effektvoll unterstützen, wie etwa in "Nacht und Träume", wo es gelang, trotz ruhig fließender Wehmut im weiten Melodiebogen doch eine Menge Nuancen aufzuspüren. Entscheidend konnte auch die jeweilige Dramaturgie sein, die selbst in der Enge einer thematischen Gratwanderung noch einen weiten Ausdrucksbogen schlug.

Preys Lesungen zeigten sich nicht minder vielfältig. Angefangen mit einer Kritik an Wirtschaft und Politik von Manfred Kyber und der Philosophie "Vom wahren Reichtum" eines Jean Giono über Andersens Fabel von den wahren Werten des "Wer war die Glücklichste?" bis hin zur zauberhaften Kindererzählung "Die großen Reisenden" von Michail Sostschenko. Ein Morgen voller Bilder und Gefühle, der seinem Titel in vielerlei Hinsicht und zur Begeisterung des Publikums absolut gerecht wurde. Bis in die frenetisch erklatschte Zugabe.

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Quelle:
SZ vom 22.05.2018
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