Die Hand von Stefan Meyer streicht über die noch grünen Roggenähren, die sachte im Wind wogen. Mit festen Schritten schreitet er am Rand des Ackers entlang. Der Blick des Botanikers streift konzentriert über den Boden. „Da“, sagt er, „eine Kornrade.“ Ein zartes Lächeln umspielt seine Lippen. „Und hier: ein Frauenspiegel!“ Er deutet auf die zart lila Blüten zwischen den Getreidehalmen, als hätte er einen Schatz entdeckt.
Und tatsächlich wird er die Ackerwildkräuter, die er seit Wochen auf Feldern in ganz Oberbayern kartiert, später selbst „Schätze“ nennen – oder „Stiefkinder“, weil die ungeschützten Pflanzen durch die Intensivierung der Landwirtschaft kaum mehr vorkommen. „Zwei Drittel der Ackerwildkräuter sind bereits ausgestorben oder stark bedroht.“
Meyer ist in den vergangenen Wochen bereits acht Felder abgelaufen und hat genau notiert, welche Ackerwildkräuter am Rand und welche in der Mitte vorkommen. Demnächst wird er sich mit seinem Klemmbrett die Flächen von Annika Friedl und Roland Koböck zwischen Unterbrunn und Weßling vornehmen.
Auch diese beiden haben sich beworben beim Ackerwildkraut-Wettbewerb, den der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) zusammen mit Bayerischer Landesanstalt für Landwirtschaft (Lfl), Biolandverband und Bund Naturschutz (BN) heuer zum sechsten Mal in Bayern ausrichtet – und zum ersten Mal in Oberbayern.
Insgesamt 23 landwirtschaftliche Betriebe nehmen teil, im November sollen die Sieger gekürt werden. Friedl und Koböck könnten gute Chancen haben. Wie viele verschiedene Acker-Wildkräuter sie auf ihrer 2,5 Hektar großen Fläche vermuten? „Ich würde sagen, 40 Kräuter werden es schon sein“, sagt Annika Friedl und blickt hinüber zum Acker. Mohn- und Kornblumen dominieren den Feldrand, viel mehr ist mit ungeschultem Auge kaum zu erkennen.
Er habe es sattgehabt, dass ständig über die Landwirte geschimpft wurde: Sie hätten – so der Vorwurf - nur ihre Erträge im Blick, nicht aber Artenvielfalt und Umweltschutz, erzählt Roland Koböck. Dass es ihretwegen kaum mehr Insekten gäbe, wie es 2019 immer wieder im Zusammenhang mit dem Bürgerbegehren „Rettet die Bienen“ propagiert wurde. „Keiner von uns arbeitet gegen die Natur“, sagt der 35-Jährige, der damals gerade den elterlichen Hof in Unterbrunn bei Gauting übernommen hat.
Doch wie sollte er das sichtbar machen? Schließlich legen Koböck und seine Frau Annika auf zweieinhalb ihrer knapp 70 Hektar großen Flächen sogenannte Blühflächen mit regionalem Saatgut an und daneben noch einmal zwei Felder für Ackerwildkräuter. Über Blühpatenschaften schaffen sie Öffentlichkeit und finanzieren einen Teil des „Experiments“, wie sie es nennen. „Wir hatten zuvor keinerlei Berührungspunkte damit“, sagt die 30-Jährige. Mit Mais, Gerste und Weizen kannten sie sich aus. Nun probierten sie Emmer, Buchweizen, Dinkel und Roggen.
Koböck schätzt, dass der Ertrag auf den ungedüngten und luftiger gesäten Feldern um zwei Drittel geringer ist als auf den konventionell bewirtschafteten. Doch es mache ihm Freude, den Bio-Emmer oder -Buchweizen direkt in benachbarten Hofläden vermarkten zu können. Und er bekomme endlich wieder positive Rückmeldungen von Spaziergängern: „Die meisten werden gleich Paten“, erzählt er.
Etwa 400 Blühpaten haben die Landwirte aktuell, von Firmen über Praxisgemeinschaften bis hin zu Einzelpersonen. In Gemeinschaftsaktionen würden schon mal dominante Unkräuter wie das Klettenlabkraut entfernt, „es gehört viel Handarbeit dazu“. Sie hätten gemeinsam schon Erfolge gefeiert, berichtet Annika Friedl, die sich etwa darüber freut, dass sich der eingesäte Acker-Rittersport so gut verbreitet hat. Der Finkensamen indes tut sich offenbar schwer. „Ich habe ihn noch gar nicht entdeckt“, sagt Friedl.
Maike Fischer vom DLV lobt den Mut des jungen Paares, Dinge einfach auszuprobieren. „Da ist viel Idealismus dabei“, erkennt Katharina Schertler vom Bioland-Verband an. Gisbert Kuhn von der Landesanstalt für Landwirtschaft lobt die Idee, Ökonomie und Ökologie auf einem Standort zusammenzubringen: „Es gibt schließlich zahlreiche kleine Ackerwildkräuter, die keinem Landwirt weh tun.“
Sie alle hoffen nun auf zahlreiche Nachahmer, die selbstverständlich ausführlich beraten und unterstützt würden, sollten sie ebenfalls Ackerwildkräuter auf ihren landwirtschaftlichen Flächen fördern wollen. Denn: Nur dort wachsen sie und bieten Nahrung und Lebensraum für zahlreiche Insekten.
Laut Stefan Meyer wachsen auf deutschen Feldern noch 550 Ackerwildkräuter, die es unbedingt zu bewahren gilt. Das Flammen-Adonisröschen etwa, welches bayernweit nur mehr auf einem Acker vorkomme. Der Kartierer zeigt ein Foto der roten Blüte und fragt: „Ist sie nicht wunderschön?“
In Weßling wird Meyer sie wohl nicht finden, wenn er hier demnächst durch die Felder streift. Noch nicht. Doch es ist den Koböcks durchaus zuzutrauen, dass sie sich diese Challenge nicht entgehen lassen und versuchen, die Pflanze anzusiedeln. „Es klingt vielleicht komisch, aber das ist unser Hobby“, sagt Annika Friedl.