Gauting:Spieltechnische Perfektion

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Die Zwillingsschwestern Ani und Nia Sulkhanishvili brillieren im Bosco

Von Reinhard Palmer, Gauting

Die ARD-Preisträgerkonzerte im Gautinger Bosco erfreuen sich seit jeher großer Beliebtheit. Die Aufnahme der jungen Musiker war stets enthusiastisch. Dass dieser Abend im Bosco besonders euphorisch ausfiel, hätte angesichts des stark durchmischten und großenteils nicht gerade populären Repertoires wohl kaum jemand erwartet.

Wo Begeisterung zu vermuten war, waren die Auftritte des Schlagwerkers Alexej Gerassimez, der im Duo mit Klavier am Vibraphon und Marimbaphon antrat. Zeitgenössische Musik ist zwar in der Regel kein Reißer, doch beim Schlagwerk scheint die Agilität der Spieler und die eindringliche Rhythmik eine andere Wahrnehmung der Musik zu aktivieren. Die zwei gespielten Paraphrasen hatten zudem den Vorteil, dass sie aus populären Themen entwickelt worden waren. Der Japaner und einst Mitstreiter von John Cage Toshi Ichiyanagi machte in "Paganini Personal" ein Originalthema von Paganini zum Gegenstand seiner Gegenüberstellung von Tonalität und sezierender Atonalität. In seiner Eigenkomposition "Piazonore" erkundete Gerassimez indes mit Astor Piazzollas "Libertango" dessen musikalischen Gehalt und setzte ihn in einen neuen Kontext.

Ein gewichtiger Grund für die mitreißende Wirkung der Werke war aber vor allem am Flügel zu suchen. Im Grunde gehörte der Abend den georgischen Zwillingsschwestern Ani und Nia Sulkhanishvili - identisch gekleidet schwer zu unterscheiden - die (was vielen Besuchern wohl entgangen sein könnte) abwechselnd den gesamten Abend mitbestritten. Und dies mit einer ungeheuer euphorisierend-packenden Bühnenpräsenz, die der Musik gesteigerte Intensität bescherte. Die Schwestern teilen sich nicht nur die Buchstaben im Namen, sondern auch ihr musikalisches Verständnis, ihre spieltechnische Perfektion, vor allem aber ihre leidenschaftlich-hingebungsvolle Musizierweise, die gerade in den zeitgenössischen Werken recht spektakulär geriet.

Der Funke war bereits nach den ersten Takten der Flötensonate von Prokofjew übergesprungen als Ani Sulkhanishvili zusammen mit dem Spanier Francisco López Martín dieses gewichtige Werk zwischen breiter Poetik und für den sowjetischen Komponisten typischer energischer Spritzigkeit aufrollte. Die intensive Musizierweise beider hielt die Spannung vom ersten bis zum letzten Ton der vier Kontrastsätze aufrecht. Das angeborene Mitdenken für die zweite Hälfte der Zwillingsschwestern sorgte generell stets für eine überraschende Homogenität in Anbetracht dessen, dass die Musiker des Abends erstmals gemeinsam konzertierten.

Einfühlsames aufeinander eingehen, sorgfältiges Zuhören und präzises Agieren trug ihre Früchte. Selbst im schwierigen Liedfach, wo textliche Ausdeutung mit der Gesangsstimme einhellig vermittelt werden muss.

Die hinreißend schön gestaltende Südkoreanerin Sooyeon Lee mit ihrem warmen Sopran-Timbre ist eine ausgesprochene Lyrikerin, die hier zudem mit feinster Differenzierung in Farbigkeit und Ausdruck für ausgesprochen kultivierte Akzente sorgte. In der Liederauswahl aus Schuberts Œuvre setzte Lee auf eine geradezu mahler'sche Atmosphäre, in der insbesondere die romantischen Lieder wie "Nacht und Träume" oder "Du bist die Ruh'" meditative Charakteristik erhielten. In Kurt Weills Liederzyklus "Ofrah's Lieder" über mittelalterliche Lyrik, den der Komponist sechzehnjährig schrieb, kam mehr Vitalität ins Spiel und zeigte sich dramaturgisch eindringlicher.

Dass Nia und Ani Sulkhanishvili das Finale mit fünf ausgewählten Legenden von Dvořák gehörte, implizierte bereits frenetischen Schlussapplaus, war hier doch höchste Homogenität mit üppigem Gestaltungsreichtum garantiert. Die Schwestern zeigten sich auch im musikalischen Erzählen von Geschichten überaus fesselnd und zauberten eine geradezu orchestrale Fülle, aber auch zarteste Rücknahmen von fragiler Schönheit. Letzteres nochmals in der Zugabe mit "Nana" von Manuel de Falla.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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