Gauting:Schweizer Verelendung

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Die Kapitalismus-Groteske des Regisseurs Cyril Schäublin

Worüber reden martialisch ausgerüstete Polizisten, während ihre Kollegen Passanten filzen, einer Bombendrohung wegen, und lässig Autos vorbeiwinken? Letztlich über ihre Gedächtnislücken. Der englische Sänger, der diesen Song gesungen hat, wie hieß der gleich wieder? Und der tolle Film über zwei Streifenbeamte, den die Polizistin schon zweimal gesehen hat - ach, der Titel fällt ihr nicht mehr ein. Auf den Straßen von Zürich geht es zu wie im Altersheim, und wenn die Leute mal nicht auf Künstler zu sprechen kommen, deren Namen sie vergessen haben, reden sie einzig übers Sparen, über billige Handytarife und günstige Versicherungen, oder beten die Codes von Wlan-Netzen und die Zahlenkolonnen von Pässen herunter. Geld führt offenbar zur rapiden Verblödung.

Komödien und Satiren sind auf dem Festival selten zu sehen, am Donnerstag liefen im Kino Gauting gleich zwei hintereinander: erst in der Reihe "Short Plus Award 1" Moritz Binders witziger und mit Sibylle Canonica, Hans Stadlbauer, Michael Lerchenberg und Michael Bully Herbig glänzend besetzter Chaos-Film "Death is so permanent", ein Lobgesang aufs Scheitern. Und danach der gemächlich dahinfließende, subversive Erstling von Cyril Schäublin mit diesem merkwürdigen Titel, den schon dieser jung gestorbene, Berner Liedermacher gesungen hat. Ja, puh, sollte man sich eigentlich merken können. Jedenfalls: Die Kapitalismus-Groteske war der Geheimtipp auf dem Festival in Lucarno und ist auch auf Filmfesten in São Paulo, Thessaloniki und Solothurn beklatscht worden. Schäublin erzählt vordergründig die Geschichte einer Enkelintrick-Betrügerin, die alte Leute ausnimmt, zeigt im Grunde aber die Schweizer Verelendung aus der Perspektive eines Mannes, der lange in Peking, Berlin und Paris studiert hat und nun in seine Heimat zurückkommt.

Für Nicht-Schweizer ist das schon deshalb lustig, weil die Namen der Figuren so putzig klingen wie die Zahlen, die sie herunterschnurren: Die drei ist die drü, die neun die nün und die sieben die sibbe. Und die Protagonisten heißen Fischli, Oberli und Türli, die Ermittler in Zivil, die in einem alten Audi durch die Gegend kurven, sind Mort und Binggeli. Kameramann Silvan Hillmann unterstützt das doppelbödige Spiel des Regisseurs mit wunderschönen grafischen Bildern, die scheinbar durchgehende Betonfläche zeigen, in denen sich aber bald Durchgänge und Schlupfwinkel öffnen. Am Ende erzählt die Polizistin von einem krassen Film. Eine ganze Bank geht hoch, Geldscheine und Wertpapiere segeln durch die Luft. Wie der heißt? "Dene wos guet geit"? Könnte schon sein.

© SZ vom 15.09.2018 / sum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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