Schulprojekt:Das zweite Leben der Olympiasiegerin

Schulprojekt: Viktoria Rebensburg stellt an der Realschule in Gauting ihr Programm "Fit & Aktiv" vor.

Viktoria Rebensburg stellt an der Realschule in Gauting ihr Programm "Fit & Aktiv" vor.

(Foto: Arlet Ulfers)

Mehr als zehn Jahre gehörte Viktoria Rebensburg zur Weltspitze des Skirennsports. Heute bestärkt die 33-Jährige Kinder, gesund zu leben. Besuch an der Realschule in Gauting bei einer, die aufgehört hat, sich abzustrampeln.

Von Viktoria Spinrad, Gauting

Das Spiel heißt "Mindball". Die Jungs kichern, die Mädchen starren. Zwischen ihnen auf dem Tisch liegt eine Kugel, die sich entlang einer Schiene bewegt. Mithilfe von Sensoren am Kopf können die Schüler diese mit ihren Gedanken steuern. Doch so recht fokussiert scheinen die Jungs nicht zu sein, die Kugel rauscht in ihre Richtung, gedrückt von den offensichtlich fokussierteren Gehirnwellen der Mädels. Viktoria Rebensburg beobachtet das Malheur von der Seite. Lange Regenjacke, den Ellenbogen nachdenklich auf eine Zwischenwand gestützt. "Konzentriert's euch mal auf die Kugel!", ruft sie den Jungs entgegen.

Das mit der Konzentration war schon immer ihre Stärke. Mehr als zehn Jahre gehörte die Kreutherin zur Weltspitze des Skirennsports. Sie wurde 19-fache Weltcupsiegerin, WM-Zweite, Olympiasiegerin im Riesenslalom, letzteres mit gerade mal 20. Doch weil es eben auch ein Leben nach dem großen Sportzirkus gibt, steht die 33-Jährige am Mittwochmittag auf dem Schulhof der Realschule in Gauting und feuert Schüler an, die einen von ihr mitentwickelten Gesundheitsparcours durchlaufen. In verschiedenen Zelten geht um Themen wie Ausdauer, Cybermobbing, Selbstwirksamkeit, Konzentration, Entspannung. Und auch um die Frage, wie es die Frau, die immer volles Risiko ging, geschafft hat, sich neu zu erfinden.

Um 11.30 Uhr steht Rebensburg mit gefaltetem Zettel in der Hand vor 15 Leuten in der Schülerküche, die spontan zu einem PR-Empfang umfunktioniert wurde. Aufsteller und Häppchen, Schulleiter und Marketingvertreter. Sie spricht darüber, wie sich der Kreis schließt. 2016 war sie schon einmal hier im Landkreis Starnberg, es war das Jahr, in dem sie Weltcup-Siegerin in der Flachau wurde. Zusammen mit dem Gesundheitsministerium rief sie damals mit "Fit & Aktiv" den sportlichen Wanderzirkus ins Leben, der seither quer durch Bayern Schülern Impulse für ein gesünderes Leben geben soll. Die Idee, dass später ein Kind sage, da sei doch etwas hängengeblieben, das sporne sie an, sagt sie.

Derweil wuseln draußen auf dem Schulhof schon Fünft- und Sechstklässler zwischen den Projektzelten umher, drücken auf Knöpfe, strampeln auf Rädern, sortieren Puzzlestücke. Gauting, das ist eher Wohlstandsgegend als Brandbezirk. Doch auch hier an der Schule merken sie, dass die Corona-Zeit etwas verändert hat. Mehr Streits, weniger Sportlichkeit. Insofern trifft das Projekt auch hier zwischen München und dem Starnberger See einen Nerv. "Die Dinge, die nebenher laufen, sind mindestens genauso wichtig", sagt Schulleiter Manfred Jahreis. Rebensburg nickt.

Schulprojekt: Mit 20 Jahren gewinnt Rebensburg für viele überraschend Olympia-Gold in Whistler.

Mit 20 Jahren gewinnt Rebensburg für viele überraschend Olympia-Gold in Whistler.

(Foto: Fabrice Coffrini/AFP)
Schulprojekt: Mit 20 Jahren gewinnt Rebensburg für viele überraschend Olympia-Gold in Whistler. In den Jahren darauf umkurvt sie die Slalomstangen mit so viel Geschick und Geschwindigkeit, dass sie immer mehr Titel sammelt.

Mit 20 Jahren gewinnt Rebensburg für viele überraschend Olympia-Gold in Whistler. In den Jahren darauf umkurvt sie die Slalomstangen mit so viel Geschick und Geschwindigkeit, dass sie immer mehr Titel sammelt.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
Schulprojekt: 2020 stürzt sie beim Super-G. Kurz darauf beendet sie ihre Karriere.

2020 stürzt sie beim Super-G. Kurz darauf beendet sie ihre Karriere.

(Foto: Oryk Haist/imago)

In der Skiszene galt sie immer als die mit ihrem eigenen Kopf. "100-Prozent-Frau", hieß sie in der Szene. Zum ersten mal auf den Ski mit drei, mit 14 die ersten Rennen gegen die internationale Konkurrenz, mit 20 der Olympiasieg in Vancouver. Es war ein Leben für die Medaillen, durchgetaktet, durchgeplant. Eines, das für manche Beobachter überraschend plötzlich endete.

Nachdem die Schüler an der Konzentrations-Station fertig sind, probiert sich auch Rebensburg am "Mindball". Früher kam der Helm auf den Kopf, jetzt das Messgerät für die Hirnströme. Es geht los. Doch dann schnellt die Kugel plötzlich auf die Seite ihres Teams - verloren. "Wie in Garmisch", sagt sie und lacht trotzdem. Der Ort, wo sie 2020 beim Super-G in die Fangnetze stürzte und sich das Knie verletzte. Kurz darauf beendete sie ihre Karriere, ohne große Idee, was danach folgen sollte.

Schulprojekt: An einer Station können Schüler anhand von Fragen ihr Wissen zum Thema Cybermobbing testen.

An einer Station können Schüler anhand von Fragen ihr Wissen zum Thema Cybermobbing testen.

(Foto: Arlet Ulfers)
Schulprojekt: "Ich veröffentliche nicht jedes Bild von mir": An einer Station müssen die Schüler entscheiden, wie sie sich oder andere im Internet schützen können.

"Ich veröffentliche nicht jedes Bild von mir": An einer Station müssen die Schüler entscheiden, wie sie sich oder andere im Internet schützen können.

(Foto: Arlet Ulfers)
Schulprojekt: Im Bewegungszelt probieren sich die Schüler an einer Slackline.

Im Bewegungszelt probieren sich die Schüler an einer Slackline.

(Foto: Arlet Ulfers)

Die enge Taktung, die ihren Alltag bis dahin bestimmt hatte, war plötzlich weg. Ein Jahr lang orientierte sie sich, um in der Welt abseits von Skipisten und Millisekunden anzukommen. Sie machte verschiedene Praktika - und lernte langsam auch die Vorzüge eines Alltags ohne den enormen Stress und Druck einer Leistungssportlerin kennen. So sehr sie den Wettkampf geliebt habe, am Schluss sei es für sie einfach nicht mehr gewesen wie am Anfang, sagt sie.

In einem der Zelte schwingt sie sich spontan neben zwei Schüler auf ein freies Standfahrrad und tritt los. Davor steht ein Quizmaster neben einem Bildschirm und feuert Fragen ab. "Worauf kommt es an, wenn du deine Schnelligkeit trainierst?", ruft er. Einer der strampelnden Schüler haut auf einen Buzzer vor ihm. Sein Votum: die richtige Lauftechnik. "Richtig!", ruft der Mann. Derweil lehnt sich Rebensburg vom Lenkrad weg und lässt die anderen machen. Einfach mal machen lassen. Sie weiß ja, dass sie sich nicht mehr wie verrückt abstrampeln muss.

Die 33-Jährige hat sich mehrere Standbeine aufgebaut

In den vergangenen Jahren hat sie sich gleich mehrere Standbeine aufgebaut. Bis heute ist sie Markenbotschafterin für den Sportartikelhersteller Stöckli, die Uhrenfirma Norqain, den Ausstatter Bogner sowie die Urlaubsregion Tegernsee. Seit Ende 2020 kommentiert sie Skirennen für Eurosport, hält Vorträge. Als Stofffwechselcoach möchte sie zudem Menschen beraten, die an ihrer Ernährung und ihrem Verbrennungsapparat arbeiten möchten. Und eben ihr Herzensprojekt, "Fit & Aktiv". Eine Schülerin möchte ein Autogramm, mit Filzstift, gleich auf den Arm. Schwungvoll legt Rebensburg los. "Jetzt darfst dich nie wieder duschen", sagt sie und lacht. Sie weiß ja, dass viele der Schüler hier noch gar nicht geboren waren, als sie Olympiasiegerin wurde.

Am Anfang sei es schon "eine Challenge" gewesen, sich zu klarzumachen, dass man nicht alles an einem Tag schaffen müsse, sagt sie. Doch mittlerweile sei ihr klar, dass sie Rom nicht an einem Tag bauen müsse. "Es darf auch ein paar Tage dauern." Sie hat eine Metapher, die sie nun gerne benutzt, vom bunten Blumenstrauß des Lebens. Sie sei sei froh und dankbar, nun auch andere Facetten dieses Straußes zu sehen, sagt sie. Weiterhin ihr eigener Chef zu sein, aber sich die Zeit selber einteilen zu können. Auch Zeit zu haben für Bergsteigen, Mountainbiken, Tennis, Klettern - und natürlich Skifahren. Sie sagt: "Ich bin angekommen."

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