Soziales:Leben zwischen Dreck und Schimmelpilz

Soziales: Diesen Raum muss sich Peter B. mit einem Mitbewohner teilen. Die Herdplatten funktionieren nicht, aus dem Hahn kommt nur kaltes Wasser, und das Fenster lässt sich nicht öffnen.

Diesen Raum muss sich Peter B. mit einem Mitbewohner teilen. Die Herdplatten funktionieren nicht, aus dem Hahn kommt nur kaltes Wasser, und das Fenster lässt sich nicht öffnen.

(Foto: Georgine Treybal)

Bayerns Kommunen sind laut Gesetz dazu verpflichtet, Obdachlosigkeit zu beseitigen. Eine Unterkunft in Gauting offenbart allerdings desaströse Zustände - ausgerechnet in einem der reichsten Landkreise Deutschlands.

Von Carolin Fries, Gauting

Als Peter B. im Dezember vergangenen Jahres überraschend und innerhalb von vier Wochen sein Zimmer in einer Gautinger Wohngemeinschaft verlor, stand er plötzlich ohne ein Dach über dem Kopf da. Auf die Schnelle eine neue Bleibe in der Umgebung zu finden, war dem 31-Jährigen nicht möglich - auch, weil er als Restaurantfachwirt lediglich 1000 bis 1200 Euro netto im Monat verdient. "Also bin ich ins Rathaus und habe mich wohnungslos gemeldet," erzählt er. Ein paar Tage später fand er sich in der Obdachlosenunterkunft der Gemeinde in der Ammerseestraße wieder - und traute seinen Augen kaum. Die Räume waren derart runtergekommen und dreckig, dass es den jungen Mann ekelte. Dennoch blieb ihm in seiner Notlage nichts anderes übrig als einzuziehen. "Ich will hier aber so schnell wie möglich wieder raus", sagt er.

Soziales: In diesem Haus in der Ammerseestraße 14 unterhält die Gemeinde Gauting ihre Obdachlosenunterkunft.

In diesem Haus in der Ammerseestraße 14 unterhält die Gemeinde Gauting ihre Obdachlosenunterkunft.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Das ist nur verständlich. Während vom Pausenhof der Grundschule gegenüber Kindergeschrei zu hören ist, schleicht Peter B. am Vormittag durch das Treppenhaus in sein Zimmer. Er will keinen der anderen vier Bewohner wecken. Es riecht nach Zigarettenrauch und Urin, Werbezeitungen liegen im Hausflur am Boden. Bei seiner Ankunft im vergangenen Jahr fand Peter B. weder ein Bett noch einen Tisch vor - in seinem Zimmer stand lediglich ein kaputter Schrank und ein kleines Sofa, auf dem er sich zum Schlafen zusammenrollte. Die Küche, die er sich mit einem drogenabhängigen Mitbewohner teilen muss, verfügt lediglich über ein undichtes Spülbecken und zwei kaputte Herdplatten. Warme Mahlzeiten können sich die Männer nicht zubereiten. Außerdem ist der Durchlauferhitzer kaputt, aus dem Hahn kommt nur kaltes Wasser. "Das ist so dreckig, dass ich es nicht einmal zum Zähneputzen verwende", sagt Peter B. angewidert.

Die Wände sind teilweise kniehoch von schwarzem Schimmel befallen, das einzige Fenster im Raum lässt sich nicht öffnen. Eine Toilette, die sich die Bewohner der drei Wohnungen auf Peter B.s Stockwerk teilen müssen - aktuell sind es drei Männer - befindet sich auf dem Gang. Eine Dusche und eine Badewanne für alle Bewohner des Hauses sind im Keller. Die sanitären Anlagen werden regelmäßig von Eindringlingen als öffentliche Toilette benutzt - die Haustüre steht Tag und Nacht offen. Wie die Gemeinde die Reinigung und Instandhaltung regelt? "Gereinigt wird das Treppenhaus einmal in der Woche", teilt die Gemeinde mit. Ebenso finde einmal in der Woche eine Kontrolle der Beleuchtung in diesem Bereich und in der Außenanlage statt. Mehr passiert nicht.

Soziales: Peter B. in seinem Zimmer, dass er sich selbst mit Möbeln eingerichtet hat. Ursprünglich standen lediglich ein kaputter Schrank und ein kleines Sofa in dem Raum.

Peter B. in seinem Zimmer, dass er sich selbst mit Möbeln eingerichtet hat. Ursprünglich standen lediglich ein kaputter Schrank und ein kleines Sofa in dem Raum.

(Foto: Georgine Treybal)
Soziales: Das Spülbecken ist undicht. Die Wände sind teilweise kniehoch von Schimmelpilz befallen.

Das Spülbecken ist undicht. Die Wände sind teilweise kniehoch von Schimmelpilz befallen.

(Foto: Georgine Treybal)
Soziales: Das Badezimmer im Keller müssen sich alle Bewohner teilen. Weil es Tag und Nacht zugänglich ist, wird es regelmäßig als öffentliche Toilette von Eindringlingen benutzt.

Das Badezimmer im Keller müssen sich alle Bewohner teilen. Weil es Tag und Nacht zugänglich ist, wird es regelmäßig als öffentliche Toilette von Eindringlingen benutzt.

(Foto: Georgine Treybal)

Peter B. führt ins Badezimmer. Hier gab es vor etwa fünf Wochen einen lautstarken und blutigen Streit unter Bewohnern und Eindringlingen, das Waschbecken wurde aus der Wand gerissen. Erst vor wenigen Tagen ließ die Gemeinde das Gemeinschaftsbad aufräumen, an der Tür hängt nun ein Zettel, es sei nicht benutzbar. "Ich kann nicht duschen wie ein normaler Mensch", klagt Peter B. "Ich kann mir keine warme Mahlzeit zubereiten. Ich kann noch nicht einmal mein Zimmer abschließen." Die Gewissheit, dass nicht einmal seine etwa 20 Quadratmeter Privatsphäre und sein Hab und Gut, welches er in einem Rucksack verstaut hat, privat und sicher sind, stresst ihn.

Peter B. hat seit seiner Jugend Depressionen und nimmt Antidepressiva. Er hat derzeit nicht jeden Tag die Kraft, seinen Alltag zu bestreiten - geschweige denn, sich um einen Teilzeitjob und eine Wohnung zu kümmern. Er bräuchte Unterstützung, "alle hier bräuchten das", sagt er. "Doch die stellen einen hier einfach ab." Mit die meint er die Gemeinde. Auf die Frage, inwieweit die Kommune die Bewohner betreut, heißt es aus dem Rathaus: "Die Untergebrachten werden regelmäßig zu Terminen im Ordnungsamt geladen."

Soziales: Bei einem Streit wurde vor einigen Wochen das Badezimmer im Keller zerstört, seither ist es unbenutzbar.

Bei einem Streit wurde vor einigen Wochen das Badezimmer im Keller zerstört, seither ist es unbenutzbar.

(Foto: privat)

Seit 2017 nutzt die Gemeinde die eigene Immobilie als Unterkunft für Obdachlose. Insgesamt stehen acht Wohnungen mit je zwei Zimmern zur Verfügung. Voll belegt ist die Unterkunft so gut wie nie. In den vergangenen vier Jahren wurden vier Männer, zwei Frauen und vier Familien beziehungsweise Paare untergebracht. "Das ist menschenunwürdig", sagt Heiko Braun. Der Gautinger sitzt seit fast einem Jahr für die Grünen im Gemeinderat und hat Peter B. bei einer Veranstaltung der Condrobs-Begegnungsstätte kennengelernt. Seither mahnt er regelmäßig die Zustände in der Unterkunft an.

Bürgermeisterin Brigitte Kössinger (CSU) bestätigte in der jüngsten Gemeinderatssitzung einen Handlungsbedarf. Allerdings gehe es weniger darum, ob die Ausstattung zumutbar sei. Im Gegenteil, das Verwaltungsgericht habe 2021 die Klage eines obdachlosen Paares gegen die Unterbringung an der Ammerseestraße abgewiesen. Nein, es gehe um den Brandschutz, der nicht mehr den aktuellen Anforderungen entspricht. Deshalb sei bereits eine neue Unterkunft geplant, für die aktuell aber das Geld fehlt. "Das wurde auf nächstes Jahr geschoben", sagt Braun. Mindestens ein Jahr lang müsste das Haus in der Ammerseestraße also noch als Notquartier herhalten. "Das ist keine Option", so Braun, der sich für eine Interimslösung einsetzt und eine Ortsbegehung mit dem Gemeinderat angeregt hat. "Das ist schließlich nicht Berlin-Neukölln hier, wir leben in einem der reichsten Landkreise Deutschlands."

Gesetzlich sind die Kommunen in Bayern verpflichtet, "die Obdachlosigkeit als Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" zu beseitigen. Für die Unterbringung Obdachloser ist diejenige Gemeinde zuständig, in der die Betroffenen obdachlos werden. "Obdachlose sollen in erster Linie in gemeindeeigenen oder der Gemeinde zur Verfügung stehenden Unterkünften (angemietete Wohnungen, Pensionen oder Gasthöfe) untergebracht werden", heißt es im Gesetzestext.

Viele Gemeinden weichen angesichts knapper Immobilien und schwankender Nachfrage auf günstige Pensionen aus oder mieten Container an. "Warum macht Gauting das nicht?", fragt Heiko Braun. Oder aber benachbarte Gemeinden arbeiten bei der Unterbringung zusammen: Eine stellt den Wohnraum zur Verfügung, die andere sorgt für eine Betreuung der Bewohner durch einen sozialen Träger?

Soziales: Die Deckenleuchte in Peter B.s Zimmer fehlt. Stattdessen ragen die Stromanschlüsse aus einem Loch in der Decke.

Die Deckenleuchte in Peter B.s Zimmer fehlt. Stattdessen ragen die Stromanschlüsse aus einem Loch in der Decke.

(Foto: Georgine Treybal)
Soziales: Die Wände sind porös, an vielen Stellen bröckelt der Putz.

Die Wände sind porös, an vielen Stellen bröckelt der Putz.

(Foto: Georgine Treybal)
Soziales: Die Decke in der Toilette ist marode.

Die Decke in der Toilette ist marode.

(Foto: Georgine Treybal)

Peter B. hat in seinem Zimmer in den vergangenen Wochen ein wenig Ordnung geschafft. Er hat die Löcher in der Wand mit Spachtelmasse gefüllt, den dreckigen PVC-Boden entsorgt und sich eine Matratze auf den Holzboden gelegt. Auch eine kleine Stehlampe hat er sich organsiert, weil es kein elektrisches Licht im Zimmer gibt. In die Ecke ans Fenster hat er sich einen Tisch und einen Stuhl gestellt, hier spielt er manchmal auf seinem Keyboard. Ansonsten bewahrt er bewusst keine persönlichen Gegenstände in der Unterkunft auf, seine Katze hat er bei Freunden untergebracht. "Die will ich hier in dem Dreck nicht haben." Der junge Mann versucht, möglichst wenig Zeit in seinem Zimmer in der Obdachlosenunterkunft zu verbringen und sucht in der Regel schon morgens die Kontakt- und Begegnungsstätte der Condrobs-Suchtberatung in Gauting auf. Hier kann er kostenlos duschen und günstig essen - und Hoffnung schöpfen. Vor allem aber fühlt er sich hier als Mensch.

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