Gauting:Lebende Geschichte

Gauting: OvT Gymnasium Zeitzeugengespräch mit Abba Naor

Zeitzeugenbericht in der kleinen Aula des Otto-von-Taube-Gymnasiums: Schulleiterin Sylke Wischnevsky begrüßt ihren Gast Abba Naor, der seit 18 Jahren hierher kommt und seine Lebensgeschichte erzählt.

(Foto: Nila Thiel)

Abba Naor erzählt Neuntklässlern des Otto-von-Taube-Gymnasiums in Gauting, wie er den Holocaust überlebt hat. Und sagt: Jedes Mal, wenn er vor Jugendlichen spricht, erlebt er das Grauen aufs Neue

Von Helene Köck, Gauting

Als Abba Naor das Wort ergreift, werden die Neuntklässler des Otto-von-Taube-Gymnasiums mucksmäuschenstill. Abba Naor ist hier, um seine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte des puren Grauens. In diesem Jahr ist er zum 18. Mal in Folge in Gauting, seine Geschichte hat er schon oft erzählt, der charismatische Herr wirkt routiniert. Aber das ist er nicht. Jedes Mal, wenn er Schülern erzählt, was ihm passiert ist, erlebe er den Schrecken aufs Neue, sagt Abba Naor. Der 88-Jährige hat den Holocaust überlebt. Und obwohl er seine Erinnerungen bis heute nicht überwunden hat, fing er vor 20 Jahren an, als Zeitzeuge darüber zu sprechen.

Die Schüler hören ihm gebannt zu. Seine Erzählung beginnt in Litauen, im Städtchen Kaunas, wo Hebräisch die Landessprache war und wo Juden frei leben durften, bis 1940 Stalin die Stadt besetzte und am 22. Juni 1941 die deutsche Wehrmacht einmarschierte. Abba Naor, damals 13 Jahre alt, erinnert sich noch genau an diesen Tag - und an seine Tasse Kakao, die er in der Früh nicht hatte trinken wollen. In Litauen begann der Holocaust: Juden wurden in die Wälder getrieben und dort erschossen, sie wurden in Synagogen gesperrt und angezündet und die etwa 30 000 überlebenden Juden in Kaunas mussten ihr Zuhause verlassen, um in ein Ghetto umzusiedeln. So auch Abba Naors Familie, sein älterer Bruder wurde kurze Zeit später erschossen. "Wie kann jemand Kinder umbringen?", fragt er sich. "Unschuldige Kinder, die nichts dafür können, in welche Religion sie hineingeboren wurden und die ein Recht auf Leben haben." Um seine Frage zu unterstreichen, zeigt er Fotos seiner Urenkel, Kinder mit lachenden und sorglosen Gesichtern. Im Angesicht dieser Bilder wiegen seine Worte noch mal um Tonnen schwerer: "Während des Holocaust wurden eineinhalb Millionen unschuldige jüdische Kinder umgebracht." Das Verbrechen ist unvorstellbar. Abba Naor selbst hat fünf Enkel und acht Urenkel und jeder einzelne ihrer Geburtstage sei sein persönlicher Sieg über die Nazis, sagt er. Er lebt mit seiner Familie in Israel. Dass er selbst den Holocaust überlebt habe, nennt er einen Zufall. Als das Ghetto in Kaunas im Juli 1944 aufgelöst wird, deportiert man die Familie ins Konzentrationslager Stutthof. Dort sieht Abba Naor seine Mutter und einen kleinen Bruder zum letzten Mal; sie werden nach Auschwitz abtransportiert und dort ermordet. Abba Naor ist damals 16 Jahre alt, aber beschreibt sich selbst als einen alten Mann. Er und sein Vater werden in die Außenlager des KZ Dachau gebracht, Abba Naor kommt nach Utting am Ammersee und später in das berüchtigte Lager Kaufering I, nach dessen Auflösung er am 24. April 1945 durch die Amerikaner befreit wird.

Naor hat nicht nur seine Erzählung, sondern auch sehr viel Weisheit ins Otto-von-Taube-Gymnasium gebracht. Natürlich haben die Schüler die systematische Judenvernichtung ausführlich im Geschichtsunterricht durchgenommen. Aber ein Zeitzeuge ist lebende Geschichte und weil "die Gautinger seine Kinder sind", hatten sie das Glück, seiner Erzählung lauschen zu dürfen. Einige der Neuntklässler sind in diesem Jahr wieder eingeladen die israelische Partnerschule zu besuchen. So kann die Erinnerung lebendig bleiben.

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