Porträt:Eine Klimaaktivistin der ersten Generation

Porträt: Dicht gefüllte Regale in allen Räumen: So sieht es im Umweltzentrum von Christiane Lüst in Gauting aus. Bislang behält sie in dem scheinbaren Chaos noch den Überblick.

Dicht gefüllte Regale in allen Räumen: So sieht es im Umweltzentrum von Christiane Lüst in Gauting aus. Bislang behält sie in dem scheinbaren Chaos noch den Überblick.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Christiane Lüst aus Gauting kämpft seit Jahrzehnten für den Umweltschutz und gegen Gentechnik. Mit einem Brief an Kanzler Helmut Kohl hat alles angefangen - jetzt muss sie bei Markus Söder anrufen.

Von Michael Berzl, Gauting

"Rückmeldung Söder" ist auf dem kleinen Zettel notiert, der da auf einem mit viel Papier überfrachteten Schreibtisch im Büro liegt. Wie jetzt? Ist das so zu verstehen, dass sich der Ministerpräsident doch bitte mal hier bei "Öko & fair" in Gauting melden sollte, im Umweltzentrum von Christiane Lüst? So ähnlich. Der CSU-Politiker Markus Söder ist jedenfalls angefragt wegen einer Veranstaltung am Sonntag mit der Aktivistin und Globalisierungskritikerin Vananda Shiva in der Kongresshalle in Rosenheim, ob er dort ein Grußwort sprechen oder wenigstens eine Videobotschaft schicken will. Die Rückmeldung bleibt bisher aus, Christiane Lüst will sich darum kümmern: "Ich ruf' dann halt in seinem Sekretariat an und frag' nach."

Bei Söder im Büro anrufen: Das ist gerade eine der vielen Aufgaben der unermüdlichen Öko-Aktivistin aus Gauting. So ähnlich hat es ja auch angefangen. Da war Christiane Lüst noch Realschülerin und hat einen langen Brief an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl geschrieben, er möge doch bitte das Waldsterben stoppen. Damals war sie zwölf Jahre alt. Das Engagement für die Umwelt, für das Klima, für fairen Handel, für die Menschenrechte und für vieles mehr hat seither nie mehr aufgehört. Während die "Letzte Generation" viel von sich reden macht, könnte man die 56-Jährige wohl als Klimaaktivistin der ersten Generation bezeichnen. Mehr denn je macht die gelernte Sozialarbeiterin angesichts neuer Gesetzesinitiativen nun wieder gegen die Gentechnik mobil: "Wenn die das alles durchpeitschen, war unsere Arbeit umsonst. Diesen Sommer haben wir ein krasses Programm."

Ausgangspunkt vieler Aktivitäten ist eine ehemalige Maschinenfabrik neben dem Gautinger Schwimmbad. In dem Gebäude mit hohen Rundbogenfenstern befinden sich Büro, Lagerraum, Bibliothek, Café und Küche. Die Flut der Themen ist dort greifbar, quillt regelrecht hinaus ins Freie. Am Boden neben dem Eingang stehen Kisten mit Pflanzen und Wurzeln für eine Tauschbörse. Auf dem Parkplatz gibt es eine Stromtankstelle für Elektroautos, neben dem Haus einen Brotbackofen; ein Stück weiter gleich bei einer Terrasse am Haus stehen vier Bienenstöcke, an der Wand lehnen zwei Solarpaneele. Drinnen gibt es kaum freie Flächen, proppenvolle Regale wuchern einen schmalen Gang entlang; Waren aus fairem Handel sind dort geschlichtet. Schokolade, Tee, kleine Spielzeugautos aus Metall von den Philippinen. Im Büro sind Papiere, Ordner und Kartons bis knapp unter die Decke gestapelt.

Ähnlich voll ist der Terminkalender der Gautingerin: Jeden Dienstag packt sie ihr Auto voll mit Schokolade, Tee, Körben und anderen Öko-Produkten aus fairem Handel, um sie beim Wochenmarkt in Krailling zu verkaufen, jeden Freitag ist sie mit ihrem Sortiment in Söcking. Lukrativ kann das nicht sein, der Idealismus steht hier wohl ebenso im Vordergrund wie bei vielen anderen Aktivitäten. Da gibt es die Filmgespräche im Gautinger Breitwand-Kino, Vorträge und Kampagnen. Dann das umfangreiche Veranstaltungsprogramm von "Öko & fair" mit Brotbackkursen und Wildkräuterführungen, als kommerzielles Standbein das Bio-Catering für Schulen und Kindergärten.

Porträt: Fair handeln und die Umwelt schonen: Ansprüche werden im Umweltzentrum in die Tat umgesetzt.

Fair handeln und die Umwelt schonen: Ansprüche werden im Umweltzentrum in die Tat umgesetzt.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)
Porträt: Christiane Lüst mit Vananda Shiva aus Indien, die Galionsfigur der internationalen Bewegung gegen die Agro-Gentechnik . Die Aufnahme entstand vor zwölf Jahren im Umweltzentrum "Öko & fair" in Gauting. Am kommenden Sonntag werden sie sich bei einer Veranstaltung in Rosenheim sehen.

Christiane Lüst mit Vananda Shiva aus Indien, die Galionsfigur der internationalen Bewegung gegen die Agro-Gentechnik . Die Aufnahme entstand vor zwölf Jahren im Umweltzentrum "Öko & fair" in Gauting. Am kommenden Sonntag werden sie sich bei einer Veranstaltung in Rosenheim sehen.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)
Porträt: Lüst im Herbst 2021 bei der Eröffnung der fairen Woche mit der Gautinger Bürgermeisterin Brigitte Kössinger und dem damaligen Umweltbeauftragten Wilhelm Rodrian.

Lüst im Herbst 2021 bei der Eröffnung der fairen Woche mit der Gautinger Bürgermeisterin Brigitte Kössinger und dem damaligen Umweltbeauftragten Wilhelm Rodrian.

(Foto: Georgine Treybal)

In den Pfingstferien fährt Lüst wieder nach Kalabrien, um in Riace den ehemaligen Bürgermeister Domenico Lucano zu besuchen, der international bekannt wurde wegen seines Einsatzes für Flüchtlinge und unter anderem wegen Beihilfe zu illegaler Migration zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. "Der Mimmo", so sagt sie, habe richtig Angst deswegen. Und im September muss sie wieder zur UNO in Genf, um einen Bericht über die Lage der Menschenrechte in Brasilien zu erstatten.

Die Palette der Themen, die Christiane Lüst umtreiben, ist groß. Gerade sind es Freihandelsabkommen der Europäischen Union, die sie als große Gefahr sieht. Kritiker sagen, dadurch würde der Handel mit klima- und umweltschädlichen Produkten erleichtert. Dazu befürchtet sie, dass Beschränkungen für die Gentechnik aufgeweicht werden sollen. Von den Grünen ist sie in dieser Hinsicht völlig enttäuscht: "Die sind umgefallen."

"Ich arbeite manchmal bis zwei Uhr in der Nacht"

Man fragt sich, wie dieses Pensum zu bewältigen ist. "Ich arbeite, bis alles erledigt ist. Das kann schon mal ein oder zwei Uhr in der Nacht werden", sagt die Mutter von einem Sohn und einer Tochter im Alter von 25 und 27 Jahren. Es klingt ernst aber nicht verbissen, wenn sie von ihren Kämpfen erzählt, die manchmal doch aussichtslos erscheinen müssen. Zwischendurch war sie auch mal bei der ÖDP und hat lange für die Partei bei so ziemlich jeder Wahl kandidiert: in Bayern, im Bund und für das Europaparlament. Gewählt wurde sie nur in den Gemeinderat. Die Mitgliedschaft war eher ein Vehikel, um ihre Ziele zu verwirklichen. Als sie mit ansehen musste wie ihrer Ansicht nach talentierte Leute vergrault wurden, verließ sie vor acht Jahren die Partei. Jetzt sitzt sie dafür im Vorstand eines Vereins mit dem Namen "Zivilcourage gegen Agro-Gentechnik für den Landkreis Starnberg".

Während sie von der Veranstaltung in Rosenheim erzählt, von der Ausbeutung bei der Tomatenernte in Italien, von der Macht der Konzerne, quetschen sich Kinder mit Pizzablechen auf dem schmalen Gang am Büro vorbei. Sechstklässler aus der Realschule sind an diesem Dienstag hier, um in dem Ofen im Garten Brot zu backen. Die Buben und Mädchen sind etwa in dem Alter, in dem Christiane Lüst ihren Brief an Kanzler Kohl geschrieben hat.

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