Gauting:Ironie und Freiheit

Gauting: Jonas Lüscher weiß, was ein Kulturschock bedeutet - und verarbeitet dies schon mal in einem Roman.

Jonas Lüscher weiß, was ein Kulturschock bedeutet - und verarbeitet dies schon mal in einem Roman.

(Foto: Arlet Ulfers)

Jonas Lüscher liest aus seinem Roman "Kraft"

Von Armin Greune, Gauting

Den Kulturschock, den sein Protagonist Richard Kraft erlebt, hat der Autor schon am eigenen Leib und Geist erfahren: Jonas Lüscher hat als Philosoph an der LMU München gearbeitet und wollte an der ETH Zürich promovieren. Dann verbrachte er neun Monate im Herzen des Silicon Valleys als Stipendiat am Comparative Literature Department der Stanford University. Die Folge: Lüscher verzichtete auf die Dissertation und widmete sich stattdessen stärker der Belletristik, so entstand sein Romandebüt "Kraft".

Und dies sehr zu Freude vieler Kritiker und vieler Leser, wie sich auch beim Gastspiel des gelehrten Schriftsteller in der Buchhandlung Kirchheim erwies. Inhaber Marc Schürhoff zeigte sich erfreut, Lüscher wieder zu einer Lesung begrüßen zu können, denn der Autor war der erste, den er nach der Übernahme des Traditionsgeschäftes im Herbst 2013 empfangen durfte. Damals rezitierte Lüscher aus seiner vielfach mit Preisen bedachten Novelle "Frühling für Barbaren". Nun also stand "Kraft" auf dem Programm: Das zu Jahresbeginn erschienene Werk, das in einigen Feuilletons enthusiastisch gefeiert wurde.

Den Titel-Antiheld verschlägt es als Tübinger Rhetorikprofessor ins bedingungslos fortschrittsgläubige Kalifornien: Er will die von einem Milliardär gestellte Theodizee-Frage beantworten und so eine Million Dollar Preisgeld einsacken, mit denen Kraft sein verschlissenes Privatleben zu flicken hofft. Die zweite Ehe sei "zu einem Klein-Klein aus Begehrlichkeiten, Eitelkeiten, Wichtigkeiten und gegenseitigem Aufrechnen von Verzicht und Leistung" verkommen, das schließlich in offenen Kampf umschlägt. Die an die ironische Distanz von Thomas Mann erinnernde Charakterisierung Krafts lässt das Publikum amüsiert kichern. Ein Effekt, der sich noch verstärkt, als der Autor auf das Jahr 1982 zurückblickt, in dem Kraft und ein befreundeter Möchtegern-Dissident in Berlin den Besuch Ronald Reagans bejubeln, um sich als reaktionäre Snobs von ihren linken Kommilitonen abzuheben.

Mit seinem Roman wolle er " eine Linie des liberalen Denkens von 1980 bis zum Silicon-Valley zeichnen", sagt Lüscher auf Schürhoffs Nachfrage. Für den Milliardär, der in "Kraft" Tobias Erkner heißt, habe Peter Thiel Modell gestanden, der als erster Kapitalgeber bei "Facebook" einstieg und nun zu den engsten Mitarbeitern von Donald Trump gehört. Anschaulich beschreibt Lüscher, wie ihm in Stanford "viel Klugheit begegnete aber auch der naive Technikoptimismus verblüfft hat". Dort fotografierten zahllose Touristengruppen aus Asien Gebäude, in denen Gründer von bekannten IT-Unternehmen gelebt oder gewirkt haben - während ein Park mit einer einzigartigen Sammlung von Rodin-Skulpturen kaum Beachtung erfährt. "Deswegen aber kulturpessimistisch zu werden, kommt einem auch lächerlich vor", findet Lüscher.

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