Gauting:"Mir helfen zam, dann geht des schon"

Gauting: Johannes Hanrieder mit Ehefrau Katrin und Sohn Lenny vor ihrem abgebrannten Lotto-Laden in Gauting.

Johannes Hanrieder mit Ehefrau Katrin und Sohn Lenny vor ihrem abgebrannten Lotto-Laden in Gauting.

(Foto: Nila Thiel)

Nachdem das Gautinger Schreibwarengeschäft der Hanrieders ausgebrannt ist, muss die Familie den Neuanfang wagen. Doch sie sind nicht alleine. Eine Geschichte über Pressspanplatten und Solidarität.

Von Franziska Peer, Gauting

Es dauert keine zwei Minuten, da kommt die erste Solidaritätsbekundung: "Mir helfen zam, dann geht des schon!", ruft Dieter Mückenhausen vom Naturkostladen Katrin und Johannes Hanrieder entgegen. Die beiden stehen vor den Trümmern ihrer Existenz: Ein paar Rußflecken zieren die Fassade ihres langjährigen Schreibwagengeschäfts in der Gautinger Bahnhofstraße, der Eingang ist mit Pressspanplatten verriegelt. Ein Bauzaun versperrt den Zutritt. Auch die Tür zur Bankfiliale nebenan ist aufgrund der Rauchentwicklung mit rot-weißem Flatterband versehen.

Als das Feuer vor zwei Wochen hinter dem Kühlschrank ausbrach, rannte ein mutiger Kunde noch in den Naturkostladen nebenan und schnappte sich einen Feuerlöscher. Doch es half nichts: Das Schreibwarengeschäft Hanrieder in Bahnhofsnähe fing Feuer. Übrig blieb ein Container voller Schutt, die Kuscheldecke der Tochter und ein paar Lottolose. Für das Inhaberehepaar Katrin und Johannes Hanrieder mit ihren beiden Kindern, elf Wochen und fast sieben Jahre alt, ist das eine finanzielle und emotionale Katastrophe.

Mehr als 33 Jahre lang hat es den Lotto-Laden Hanrieder gegeben. Vor 21 Jahren hat Johannes den Betrieb von seinem Vater übernommen. Seitdem ist er Herz und Seele des Geschäfts und der Laden ein wichtiger Bestandteil des Dorfs, eine Gautinger Institution geworden. Ein vollgepackter Laden, der von Zeitungen, Zigaretten, Lottoscheinen und Pokémon-Karten fast alles im Angebot hatte. Nun ist alles verkohlt. Der Sachschaden liegt bei rund 750 000 Euro. Wann das Geld von der Versicherung kommt, weiß die Familie noch nicht. Zwischen sechs und neun Monaten werde es dauern, bis der Laden wieder bezugsfertig ist, wie den beiden prognostiziert wurde.

Alleine, das wird schnell bei einem Besuch vor Ort in Gauting klar, sind die Hanrieders aber nicht. Es ist dieser Tage gar nicht so einfach, mit der Familie zu sprechen. Sie selbst wohnen in Gilching. Sobald sie aber in Gauting sind, stoppen die Menschen auf der Straße, um ihre Solidarität zu bekunden und Hilfe anzubieten. Die Nachbarinnen von der Buchhandlung Kirchheim kommen extra aus ihrem Geschäft angelaufen. "Wir unterstützen wo es geht", heißt es dann, oder "ganz viel Kraft wünschen wir euch". Keine Minute später ruft ein Mann in weißer Maler-Montur: "I frei mich eich zu sehen, sagts wenn ihr was brauchts." Johannes entgegnet: "Der Laden könnte a neue Wandfarbe gebrauchen".

Der Lotto-Laden war ein Ort der Begegnung und des Austauschs

Sind die 50 Meter zwischen dem Laden zu einem Café geschafft, erzählen die Hanrieders. Mit Kopfschütteln beschreibt Katrin Hanrieder, wie Kunden versucht haben, durch die Polizei-Absperrung zu gelangen, um ihre Hermes-Pakete abzugeben. "Da hat der Laden aber bereits lichterloh gebrannt!". Sie bestellt eine große Cola, er einen Kaffee. Flüssige Energie als Nervennahrung. Sein Handy klingelt, es ist der Gutachter der Versicherung, der den Laden inspizieren möchte. Sie haben jetzt viel Bürokratie zu bewältigen, vor allem mit der Versicherung. Aber auch Zigaretten- oder Zeitschriftenlieferungen müssen auf unbestimmte Zeit abbestellt werden.

Gauting: Das Geschäft der Familie ist am 2. Mai ausgebrannt.

Das Geschäft der Familie ist am 2. Mai ausgebrannt.

(Foto: Tamara Göppel)

Der Lotto-Laden war ein Ort der Begegnung und des Austauschs. Die Menschen sind meist nicht nur für Zigaretten oder die Zeitung vorbeigekommen, sondern auch für ein Gespräch: "Hannes ist ein Frohgeist, er ist immer gut drauf. Ein Sechser im Lotto ist wahrscheinlicher, als dass er mal schlechte Laune hat", schwärmt Katrin über ihren Mann. Auch Johannes' Frau war weit mehr als nur Ladenbesitzerin: Als Kunden ins Krankenhaus mussten und das Taxi nicht kam, hat sie die Fahrerin gemacht. Als eine Kundin den Wunsch nach einem Geburtstagskuchen äußerte, wurde sie zur Bäckerin.

Katrin und Johannes Hanrieder hatten sich, wie würde es auch anders zu dieser Geschichte passen, vor acht Jahren im Lotto-Laden kennengelernt. Katrin, die ursprünglich aus Wolfsburg stammt, hat in Gauting gearbeitet und bei Johannes ihre Zigaretten gekauft. Die gemeinsame Tochter Lucy ist quasi im Laden großgeworden. Sie hat sehr gerne mit ihren Eltern im Laden gestanden und fleißig beim Verkauf mitgeholfen. Was jetzt mit ihren Gummibärchen passiere, war ihre erste Frage, als ihre Eltern ihr vom Brand erzählten. Dann fragte sich Lucy, ob der Papa nun arm sei?

Die Hanrieders wollen ihren Laden wieder aufbauen

Soweit dürfte es kaum kommen. Ganz Gauting scheint daran interessiert zu sein, wie es jetzt für die Familie und den Laden weitergeht. Für die beiden ist ganz klar: Sie werden ihren Laden wieder aufbauen. "Woast, I wollt zwar immer schon so a bissl restaurieren und a bissl sanieren, ober des hab ich mir anders vorgstellt", sagt der gebürtige Sauerlacher in seinem Dialekt und lacht.

Um die Zeit bis zum Wiederaufbau des Ladens zu überbrücken, möchte der Lottoverband Bayern einen sechs Meter langen, temporären Stand zur Verfügung stellen. "Dort können wir dann vorübergehend Lotto-Lose verkaufen und vielleicht ein paar Hendl oder Würste", sagt Johannes. Auch die Gemeinde Gauting habe laut den beiden in einem eigens organisierten Krisengespräch nach Lösungen gesucht, erzählt er. Am Gautinger Bahnhof steht ein kleiner Laden frei, eventuell kann dieser vorübergehend bezogen werden.

In der Parfümerie "Petit Flair" gegenüber dem Schreibwarenladen wurde bereits ein Sparfrosch aufgestellt und der Inhalt der Familie übergeben. Die Junge Union Gauting hat zusätzlich eine digitale Spendenmöglichkeit über "GoFundMe" eingerichtet. Dazu erhält die Familie Nachrichten, Anrufe und unzählige liebe Worte. Ständig klingelt das Telefon, dauernd trudeln Nachrichten ein. Da könne man sich nur bedanken, sagen die Hanrieders.

In einem Jahr wollen sie bereits wieder im neu renovierten Schreibwarenladen stehen. Trotz des Unglücks wirken sie voller Hoffnung und schmieden bereits Pläne für ein großes Wiedereröffnungsfest. "Mit Pauken und Trompeten, mit Band und Burgern und allem drum und dran", sagt Katrin voller Vorfreude.

Das Schreibwarengeschäft hatte sechs Tage die Woche von 6-18 Uhr offen. 20 Jahre lang stand Johannes Hanrieder im Laden. Er wache aus Gewohnheit auch jetzt noch sehr früh auf, sagt er. "Jetzt hab ich aber wenigstens mehr Zeit für mei Familie." Ob er sich vorstellen könnte, mal etwas Anderes zu arbeiten? Er kratzt sich am Kopf. Er habe ja schon immer mal ein Buch schreiben wollen, sagt er dann. Eines mit skurrilen und lustigen Geschichten, die er in all den Jahren im Laden Hanrieder erlebt hat. Zwar sind die vielen Notizen mit im Feuer verbrannt. Aber die wichtigsten Geschichten, sagt er, die habe er ohnehin im Kopf.

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