Gauting:Grandios mit Hund

Gauting Buchhandlung Kirchheim, Lesung

Sie überzeugt nicht nur durch ihr Werk, sondern auch, weil sie Einblick in ihre Arbeit gewährt: Tanja Weber.

(Foto: Georgine Treybal)

Tanja Weber liest bei "Kirchheim" aus ihrem neuesten Buch

Von Blanche Mamer, Gauting

Es ist ein großer Hund, ein Berner Sennenhund, der sich ganz brav zu Füßen seines Frauchens, der Gautinger Autorin Tanja Weber legt und sich eineinhalb Stunden nicht von der Stelle rührt. Ziemlich genau ein Jahr nach der Lesung aus ihrem Buch "Die Frauen meiner Familie" liest Weber nun in der Buchhandlung Kirchheim aus der Neuerscheinung "Mein Herz ist ein wilder Tiger". Wobei Lesung vielleicht nicht ganz zutreffend ist, denn die Autorin erzählt erst mal von ihrer Art zu arbeiten und wie sie ein Sujet findet.

Nach der Familiengeschichte, die sich aus der Suche nach einem kleinen Gemälde eines Künstlers aus dem Umfeld des Blauen Reiter entwickelt, habe der Droemer Verlag ihr den Auftrag für ein zweites Buch gegeben - eine Carte blanche sozusagen. "Ist wollte keinen eskapistischen Roman schreiben, sondern eine relevante Geschichte", sagt sie. Und das Thema, das die Welt seit Sommer 2015 beschäftigt und auch ihr keine Ruhe lässt, ist die Flüchtlingsproblematik. Als passionierte Zeitungsleserin sammele sie Artikel, die sie wichtig finde und aus denen sie vielleicht irgendwann eine Geschichte entwickeln könne. Ein solcher Artikel, tief unten in ihrem Stapel, war 2001 in der SZ erschienen: "Der Tod der Schlangenfrau" ist ein Feature über die ehemalige Zirkusartistin Elfriede Pohl, die in einem Berliner Pflegeheim so massiv geprügelt wurde, dass sie daran starb. "Und niemand schritt dagegen ein", sagt Tanja Weber. Sie liest einige Absätze vor und nimmt die 160 Zeilen als Grundlage für eine ihrer Hauptfiguren, Elly Simon. "Mich hat das Zirkusleben schon lange interessiert, auch als Thema von Gleichheit der verschiedenen Nationalitäten der Artisten. Ebenso die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern und der Aspekt, wie Frauen die Attraktionen geprägt haben."

Ehrlich gibt Tanja Weber zu, dass nicht alle Ideen ihrem Kopf entsprungen sind, sie gibt ihre Quellen preis, berichtet, aus welchen Büchern sie ihre Informationen hat, wie und wo sie recherchiert hat. Beispielsweise in "Amazonen der Arena" von Stephanie Haerdle über das Leben von Raubtierdompteusen, Akrobatinnen und Zirkusdirektorinnen, oder in "Manege frei! Eine Kulturgeschichte des Zirkus" - Bücher, die jetzt sicher weitere Leser finden.

Die Grundlagen für ihre zweite Hauptfigur - der aus Somalia stammende John Mbete, den sie als Pfleger in dem Berliner Heim arbeiten lässt - sind Berichte aus der Zeit und vor allem eine Spiegel-Reportage über die Zustände in Mogadischu. John, in seiner Heimat Ingenieur, ist nach dem Tod seiner Frau und seines Kindes, vor dem Bürgerkrieg geflohen und nach einer langen Odyssee in Berlin angekommen. Er hat Deutsch gelernt, die Ausbildung zum Altenpfleger abgeschlossen und arbeitet jetzt seit drei Jahren im Seniorenstift, als die 101-jährige Elly Simon als neue Bewohnerin auf seine Station kommt. Sie ist die Erste, die sich sichtlich über ihn freut. "Ein schwarzes Gesicht, wie schön", sagt sie. John war andere Reaktionen gewöhnt. "Die meisten Alten bekamen einen Schreck, wenn er das Zimmer betrat. Fast einen Meter neunzig. Schwarz wie die Nacht. Einige hatten sich versteckt, wollten sich nicht anfassen lassen. Und Frau Schuster schrie", so liest es sich in Webers Roman. Die meisten der alten Menschen fügten sich in ihr Schicksal, gewöhnten sich an ihn, ließen sich von ihm waschen, die Haare kämmen, die Nägel schneiden. Von Anfang an galt er als liebevoller Betreuer, doch seit drei Jahren schrie Frau Schuster jedesmal gellend auf und seit drei Jahren nannte Herr Tonndorf ihn "Sarotti Mohr".

Es gelingt Tanja Weber mühelos, die beiden Protagonisten einzuführen und sie dem Leser als außergewöhnliche Menschen zu vermitteln, die sich auf Anhieb mögen. Sie schafft es grandios, den Kosmos eines Pflegeheimes mit den Problemen in der Draußen-Welt der Flüchtlinge zu verquicken und daraus eine spannende Geschichte zu entwickeln. Und sie hat mit der offenen Art ihrer Lesung ihr Publikum überzeugt und Maßstäbe gesetzt.

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