Vermutlich haben die Bomber ein ganz anderes Ziel als Gauting, als sie sich an jenem 21. Juli 1944 im Anflug auf den Raum München befinden. Klar, Gauting hat einen Bahnhof. Aber: Im Ort gibt es keine Rüstungsunternehmen wie BMW in Neuaubing oder Dornier in Oberpfaffenhofen. Wahrscheinlich beabsichtigen die Piloten der 193 Flugzeuge ihre tödliche Fracht eher hier loszuwerden. Aber offenbar fällt die Gegenwehr der Flakbatterien dort heftiger aus als erwartet: Ein paar der Flieger drehen ab, fünf oder sechs von ihnen fliegen über Gauting.
Plötzlich hat eine der B24-Maschinen technische Schwierigkeiten. Warum ist nicht ganz klar, vielleicht ist es von der Flak in Krailling getroffen worden. Jedenfalls gibt der Pilot den anderen Fliegern „Abwurfzeichen“ und wirft die erste Bombe ab. Die anderen folgen seinem Beispiel. Für 36 Menschen unten in den Luftschutzkellern bedeutet diese Entscheidung den Tod.
Die Gautinger Bombennacht am 21. Juli 1944 ist der einzige Angriff auf die Gemeinde mit Todesopfern. Allein 23 Leichen werden im Luftschutzraum unter der Werkstatt der Familie Rößler gefunden. Die Bombe ist in dem vermeintlich sicheren Keller explodiert. Unter den Opfern sind fünf Mitglieder der Familie Rößler, eine Nachbarin mit ihrem Sohn, ein Münchner Ehepaar, vier minderjährige Lehrlinge und zwei Zwangsarbeiter.
Im ganzen Ort gibt es nach Angaben von Gemeindearchivarin Regine Hilpert-Greger 35 Einschläge: In der Schloßstraße werden zwei Häuser schwer beschädigt. Die Spundfabrik Ruhdorfer in der Planegger Straße wird getroffen. Auch in der Hangstraße werden zwei Häuser zerstört. Am schwersten aber hat es die feinmechanische Werkstatt der Familie Rößler in der Münchner Straße 27 getroffen. Geplant war das laut Hilpert-Greger wohl kaum, der Betrieb sei aus Kriegs-taktischer Sicht für „eine gezielte Aktion nicht relevant genug“ gewesen.


Um an die Gautinger Bombennacht zu erinnern, haben Hilpert-Greger und die Gemeinde zum 80. Jahrestag eine Gedenkveranstaltung organisiert. In der St. Benedikt Kirche findet ab 11.30 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst statt, zudem gibt es Schautafeln, die an das Schicksal der Opfer von damals erinnern. Auch die Namen der Getöteten werden verlesen. Hilpert-Greger ist das wichtig, um angemessen an die Menschen zu erinnern, die im Bombenhagel von Gauting oder an dessen Folgen gestorben sind – und das ideologiefrei. Die Nazis hatten einst das Gedenken für Propagandazwecke missbraucht: Die Opfer wurden wenige Tage nach dem Angriff auf Gauting auf dem Waldfriedhof beerdigt, auf der vorderen Wand des Leichenhauses prangte ein Tuch mit Hakenkreuz. Während der Zeremonie reckten die Trauergäste den Arm zum Hitlergruß in die Luft. Hilpert-Greger hält fest: Die Trauerfeier „diente eindeutig propagandistischen Zwecken.“ Das soll mit der Gedenkveranstaltung an diesem Sonntag anders werden.