Süddeutsche Zeitung

Gauting:Feinsinnige Farbmixturen

Das Ensemble Varié erinnert an Enrique Granados

Von Reinhard Palmer, Gauting

Der britische Postdampfer Sussex wird im Ärmelkanal durch ein deutsches U-Boot torpediert, unter den Opfern befinden sich drei US-Amerikaner, heißt es in der Chronik des Ersten Weltkriegs. Dem Umstand, dass die Kultur- und Musikgeschichte dabei einen bedeutenden Protagonisten verlor, scheint die Weltgeschichte weniger Bedeutung beizumessen. Der große spanisch-nationaler Komponist Enrique Granados und seine Frau ertranken an jenem 24. März vor hundert Jahren. Dabei waren sie nur an Bord, weil ausgerechnet eine Einladung des US-Präsidenten Woodrow Wilson sie aufgehalten hatte, sodass sie die Abfahrt ihres Schiffes verpassten und einen Umweg über England nehmen mussten. Das Klavierrezital von Granados im Weißen Haus sollte sein letztes Konzert bleiben.

Ehrungen zum 100. Todestag häuften sich hierzulande nicht gerade. Für das Münchner Ensemble Varié, das einige Werke des großen katalanischen Meisters, der nur 48 Jahre alt werden durfte, im Repertoire hat, Anlass, an ihn mit dem Konzert in der Gautinger Christuskirche zu erinnern. Projiziert auf die Leinwand hinter dem Trio, verliehen Schwarzweiß-Fotografien mit spanischen Motiven - karge Landschaften, verfallene Gemäuer, maurische Relikte - von Johannes Green der Musik die adäquate Atmosphäre.

Es war nur sinnvoll, dass sie erst den 12 Danzas Españolas op. 37 von 1890 bildhaft Gestalt gaben, steht doch der Zyklus der Valses poéticos von 1899 eher im Glanze Pariser Romantik. Wie Chopin seine Nocturne mit der Atmosphäre der nächtlichen Salons anfüllte und seine Tänze, wie Walzer und Mazurkas, mit Noblesse adelte, so ging es auch Granados darum, nicht die Tanzseligkeit hervorzukehren, sondern vielmehr des Walzers vornehmen Glanz im feinst differenzierten Kolorit schimmern zu lassen.

Granados hatte zwar fast ausschließlich für Klavier komponiert, doch das Ensemble Varié trat hier den Beweis an, dass seine Klaviermusik den Klang von Flöte (Barbara Wagner, Schweiz), Violine (Olena Savka, Ukraine) und Gitarre (Wolfgang Renner) geradezu impliziert. Tatsächlich profitierten die Werke deutlich von der Farbigkeit der Besetzung, die sowohl temperamentvoll wie leidenschaftlich, melodisch wie tanzrhythmisch, warmtonig wie strahlend kolorieren und fesseln konnte. Besonders, da die 12. Danzas Españolas in gewisser Weise rhapsodisch angelegt sind und in beherzter Wendigkeit ein emotional reich differenziertes Kontrastprogramm durchwanderten. Schon alleine die Herkunft der Tänze zwischen dem keltisch grundierten galizischen Norden (Danza gallega) und dem orientalisch gefärbten andalusischen Süden (Zambra, Arabesca, Oriental, Andaluza) gab Anlass genug, tief in den Farbkasten zu greifen. Und das spielfreudig musizierende Ensemble Varié versteht es, aus den Timbres seiner Instrumente feinsinnige Farbmixturen zu kreieren. Nach begeistertem Applaus passierte noch einmal die ganze Gefühlspalette im Intermezzo aus der Oper "Goyescas" in der Zugabe Revue. Die Uraufführung dieser Oper führte einst Granados nach New York. Es wurde seine letzte Reise.

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Quelle:
SZ vom 27.09.2016
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